Jaguar baut den I-Pace seit 2018 – dieses Modell gehört zu den ersten,
die vom Band liefen. In diesem Jahr kam der Nachfolger auf den Mark, der
sich zwar äußerlich kaum unterscheidet, aber laut Hersteller über eine
deutlich verbesserte Ladetechnik verfügen soll. Foto: Welzel
Von Klaus Welzel
Heidelberg. Ich hätte es mir gleich denken können. Der freundliche Kollege, der den I-Pace, zwei Jahre alt, von Neuss nach Heidelberg überführte, hatte bereits unter Schweißausbrüchen gelitten. Reicht die "Tankfüllung"? Bei knapp 300 Kilometern eigentlich kein Problem. Schließlich fährt der Jaguar I-Pace, um den es hier geht, bis zu 470 Kilometer weit. Sagt das Werk.
Heute weiß ich es besser.
Wobei: Als der Autokenner, also mein Kollege, in der Neugasse 2 ankommt, stehen noch saftige 41 Prozent Batteriefüllung auf dem Display. Nie hat er mir verraten, wie er das hinbekam. Denn schneller als 100 bis maximal 130 Kilometer pro Stunde bin auch ich nicht "gerast". Aber tanken musste ich andauernd. In Heidelberg habe ich mir angewöhnt den rund eineinhalbstündigen Ladevorgang mit einem Jogginglauf zu verbinden. Zeitlich passt das ganz gut – vorausgesetzt, man hat Zeit.
Heute soll es aber nach Hamburg gehen. Familienbesuch. Es herrscht also kein Zeitdruck. Wenn man da ist, ist man da. Dennoch packe ich vorsichtshalber die Joggingschuhe ein. An einem Sonntagmorgen mache ich mich auf die 574 Kilometer lange Reise. Zuhause habe ich bereits die Rasthöfe entlang der Strecke rausgesucht, die über Schnellladestationen verfügen (eine hat sogar einen 100-kW-Anschluss). Meine Wahl fällt auf den Rasthof Seesen. Wenn ich es bis dahin schaffe, müsste ein halbstündiger Stopp reichen, um die 90-kW-Batterie wieder auf 80 Prozent zu füllen. Rechtzeitig zum Kaffee müsste ich am Ziel sein.
Kurz vor Frankfurt kommen mir Zweifel. Schon 35 Prozent verfahren? Es müssten doch – bei einer Reichweite von mindestens 400 Kilometern höchstens 20 Prozent verbraucht sein? Doch der grüne Balken wird Kilometer für Kilometer schmaler. 2,2 Tonnen Automasse sind eben trotz der 400 PS nicht so leicht zu bewegen. Alles kostet Energie. Also Radio aus, Klimaanlage aus und das Handy wird auch vom Ladekabel geklemmt.
Wobei sich der I-Pace ansonsten fährt wie Zucker. Selten entwickelt man in einem Auto so schnell ein Wohlgefühl. Die Kurvenlage (bereits im Odenwald getestet) ist perfekt. Das Raumklima gut. Allenfalls das sehr unübersichtliche Display, über das alle Funktionen im Auto bedient werden müssen, ist eher etwas für junge Menschen mit sehr guten Augen. Fraglich, ob die sich ein Auto leisten können, dessen Grundpreis bei 78.000 Euro liegt.
Für die Klimaanlage gibt es übrigens ein zweites Display, dort, wo andere Autos den Schalthebel verorten. Über dieses Zweitdisplay kann dann aber auch wieder das Telefon bedient werden. Sehr verwirrend.
Eine haptische Freude stellt dagegen die Verarbeitung der Materialien im Wageninnern dar – Tesla, der ewige Konkurrent, kann da bei Weitem nicht mithalten. Cool zudem, dass das Jaguaremblem nachts auf den Asphalt projiziert wird, sobald man die Tür öffnet. Ein sehr hübscher Gimmick.
Noch eine Besonderheit: Der I-Pace bremst "regenerativ": Sobald der Fahrer vom Gas geht, verlangsamt sich die Geschwindigkeit abrupt. De facto berührt man das eigentliche Bremspedal dadurch quasi gar nicht mehr. Oder nur im Notfall. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber pfiffig.
Also alles prima? Schon. Wäre da nur nicht der hohe Verbrauch. Kurz hinter Bad Hersfeld werde ich nervös. Die Anzeige "reizt" nach unten: 20, 18, 16. Zum Glück habe ich die Liste mit Elektroladenstationen parat. Nur wird die erste dieser Stationen gerade umgebaut. Vollsperrung bis Oktober. Also raus bei der Nächsten auf meiner Liste. Der zuvorkommende Tankwart fragt nur nach der Marke: "Kein Tesla? Dann müssen Sie weiterfahren. Wir rüsten erst im Frühjahr nach. Und so lange wollen Sie sicher nicht warten".
Noch zehn Kilometer bis zum Autohof Malsfeld. 12 Prozent Ladung. Zehn "Supercharger"-Plätze für Tesla-Fahrzeuge stehen dort. Zwei für "normale" Stromer. Einer davon defekt. Aber: Einer frei. Ladezeit: 1,34’. Okay. Joggingschuhe raus. Nordhessen ist ja auch wirklich schön. Rein in den Wald, nur einmal falsch abgebogen. Der Rückweg verläuft dann sehr lange direkt neben der Autobahn. Jetzt ist mir klar, wieso ich immer wieder – innerlich kopfschüttelnd – Menschen beobachte, die scheinbar sinnfrei parallel zur A5 joggen. Alles E-Fahrer?
Nach 1,20’ bin ich wieder da. Batterie zu 99 Prozent voll. Weiter geht’s. Am Abend, also nicht zum Kaffee, erreiche ich Hamburg. Die zweite Hälfte der Fahrt im Schleichgang. An der Hamburger Messe steht die im Fahrzeug gemeldete Tankstelle. Dass sie nicht funktioniert, dass der Ladevorgang gegen 22 Uhr abbricht – ist doch nicht die Schuld von Jaguar ... Aber ärgerlich.
Tags darauf – selbe Strecke zurück. Getankt wird an der Superladestation von Ionity, dem Verbund deutscher Autohersteller, beim Autohof Lutterberg. Aber wieder können nur Teslas "superchargen". Während meines Tankvorgangs kommen und fahren sieben andere Autos, also Teslas. Bei mir dauert es statt 30 Minuten, wie erhofft, dreimal so lange. Dafür reicht die Ladung für den restlichen Weg nach Hause. Dank des Tempomats, der im Grunde alles macht. Insofern ist der I-Pace ein wirklich tolles Auto. Aber mit Elektromotor auf Reisen? Vielleicht in 20 Jahren wieder.