Von Volker Oesterreich und Alexander R. Wenisch
Heidelberg. Klaus Staeck ist einer der bekanntesten, international erfolgreichsten Plakatkünstler. Seit den 70er Jahren hat er in der Heidelberger Altstadt sein Atelier, dessen Fenster außen mit seinen provokanten Plakaten tapeziert sind, und in dem innen bergeweise Papiere, Zeitungsausschnitte, Fotos, Kameras, Scheren liegen.
Wenn er etwas suche, behauptet er, wisse er zumindest ungefähr, auf welchem der unzähligen Stapel er suchen muss. Kommende Woche wird Staeck 80 – Grund genug für ein Atelierbesuch, bei dem der Künstler zweieinhalb Stunden aus seinem Leben erzählt, aber auch die aktuelle Politik nicht vergisst.
Herr Staeck, die SPD heute, reizt die zur Satire?
(lacht) Die SPD ist derzeit ja ständig Gegenstand auch schlechter Satire! Klar, der Partei geht es nicht gut und als Sozialdemokrat muss man leidensfähig sein. Aber in den allgemeinen Abgesang stimme ich nicht mit ein. Stellen Sie sich vor, es gäbe die beiden Volksparteien nicht mehr. Wollen wir Bertelsmann die Verwaltung übertragen oder das Gemeinwesen dem Bild-Parlament anvertrauen? Auch die Direkte Demokratie hilft da keineswegs weiter.
Aber würde das nicht helfen, dass sich die Bürger wieder mehr mit politischen Inhalten auseinandersetzen?
Politik lebt vom gut ausgehandelten Kompromiss, der maximale Information voraussetzt.
Wie gefällt Ihnen, was Juso-Chef Kevin Kühnert gerade veranstaltet? Er will die GroKo verhindern – und belebt die Debatte.
Einmischung ist sein gutes Recht. Seine Argumente teile ich allerdings nicht. Natürlich erhält er große mediale Aufmerksamkeit, schon weil er die eigene Truppe angreift. Und Aufmerksamkeit ist ja heute schon ein Wert an sich! Denn in Wahrheit interessieren sich die Medien doch nicht für die Politik der Jusos.
Was raten Sie der SPD in der aktuellen Lage?
Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Im Zweifel plädiere ich für die GroKo. Denn was ist die Alternative? Dann doch lieber Politik mitgestalten, aber ohne das quälende Weiter-so, statt Recht zu haben in der Opposition. Auch in einer Regierungsbeteiligung muss mit dem Erneuerungsprozess konsequent begonnen werden.
Ist es die AfD wert, sich satirisch mit ihr auseinanderzusetzen?
Es gibt ein Plakat zum Thema Leitkultur. Und jetzt höre ich: Wir bekommen ein Heimatministerium. Das ist schon skurril. Aber warum muss ich abends in der Tagesschau jeweils die neuesten Provokationen der AfD-Politiker hören? Es wäre die Verantwortung der Medien, nicht jede gezielte Attacke zu multiplizieren, nur weil sie Quote bringt.
War Politische Kunst vor 30 Jahren einfacher als heute?
Nicht einfacher, aber anders. Die CDU war oft ein Gegner, aber kein Feind. Kanzlerkandidat Strauß war nicht nur für mich eine Zumutung. Und heute? Was ich Merkel vorwerfe: Sie hat mitgeholfen, die Gesellschaft zu entpolitisieren, alles in Watte gepackt. Aber Probleme sind nun mal da und jeder kennt die Folgen von Verdrängung. Demokratie und Langeweile schließen sich aus. Die Auseinandersetzung um den hoffentlich besten Weg muss doch öffentlich stattfinden.
Sie sind als 18-Jähriger aus der DDR geflohen. Wie haben Sie die letzten Jahre der Flüchtlingskrise empfunden?
Als jemand, der es am eigenen Leib erfahren hat, in die Fremde zu kommen und dort nicht willkommen zu sein, habe ich natürlich viel Verständnis. Überrascht hat mich aber dann doch die neue Willkommenskultur in Deutschland. Das hätte ich dieser vorher so breiig beschriebenen Atmosphäre, in der viele nur ihre eigene kleine Ich-AG pflegen, gar nicht zugetraut. Ich staune über die Integrationsleistung und lobe wo es nur geht Menschen, die nicht jammern, sondern sich hier engagieren. Insoweit sind wir doch ein tolles Land.
Jetzt haben wir in der jüngsten Vergangenheit darüber diskutiert, was Satire darf. Hat Sie dies in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Dem viel zitierten Satz von Tucholsky: "Satire darf alles!" füge ich immer hinzu "in Verantwortung!" Die Würde des Menschen ist meine Leitlinie. Deshalb konnte ich mit dem Schmähgedicht von Jan Böhmermann über Erdogan auch nichts anfangen. An der Gürtellinie ist für mich immer Schluss. Aber man muss zugestehen: Böhmermann hat es geschafft, dass wir über Satire, Meinungsfreiheit und die Zustände in der Türkei intensiv diskutieren. Er hat etwas ausgelöst.
Sie haben sich immer wieder mit den Starken und Mächtigen angelegt. 41 Prozesse wurden gegen Sie geführt. Welcher hat Ihnen schlaflose Nächte bereitet?
Der Schwierigste war gegen Rheinmetall, den Rüstungskonzern. Auf meinem Plakat präsentieren fünf Vorstandsmänner ihre Waffen so stolz wie Mütter ihre Babys. Das war mitten in den friedensbewegten Achtzigern. Mein Text lautete: „Alle reden vom Frieden. Wir nicht.“ Nach drei Tagen kam ein Brief der Anwälte mit all den juristischen Drohungen. Da schlief ich schon unruhig, weil ich ja wusste, mit wem ich mich angelegt hatte – und was das kosten kann. Ich bin kein besonders mutiger Mensch, aber ich bin risikobereit. Und ich weiß, dass man für seine Rechte kämpfen muss, sonst verkümmern sie. Aber es gab auch eine Zeit der Drohanrufe, der anonymen Briefe, es wurden mir Scheiben eingeworfen – da habe ich auch schon einmal einige Nächte nicht daheim übernachtet.
Mussten Sie jemals ein Plakat zurückziehen?
Nein, nie! Und auch gegen Rheinmetall habe ich die juristische Auseinandersetzung durchgestanden. Ich konnte nicht klein beigeben; das wäre gegen mein Berufsethos. Am Ende waren die Richter stets auf meiner Seite. In Sachen Meinungsfreiheit hat David eine gute Chance gegen Goliath.
Eines Ihrer Plakate bringt Facebook, Amazon & Co. mit den apokalyptischen Reitern in Verbindung. Nutzen Sie diese Kanäle zum Kommunizieren oder Einkaufen gar nicht?
Nein. Ich mache mich doch nicht freiwillig zu einem Subjekt à la George Orwell! Ich bin auch davon überzeugt: Mit Amazon zerstören wir unser Gemeinschaftsleben. Jetzt wollen sie auch noch in den Lebensmittelhandel einsteigen! Das macht die kleinen Läden in den Städten kaputt. Und die Nutzer scheinen gar nicht zu verstehen, was sie mit ihrer Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit anrichten. Ich gehe sogar regelmäßig ins Kino, hier die kleine Gloriette. Und wenn ich das in Schulen erzähle, wo ich ab und zu eingeladen bin, und sage: Ich gehe da sogar öfter rein, obwohl mich der Film nicht brennend interessiert, weil ich möchte, dass das Kino überlebt – da schauen mich die Schüler oft verständnislos an. Vielleicht kommt der eine oder die andere aber doch ins Grübeln. Ich glaube immer noch an die Kraft der Vernunft, auch wenn das verwegen scheint.
Gibt es Plakate, die Sie heute nicht mehr machen würden?
Ja, einige zu Nebenschauplätzen. Aber schauen Sie sich alle meine Plakate zum Thema Umweltschutz an: Die sind heute aktueller als vor Jahrzehnten ihrer Entstehung. Das ist schon frustrierend. Der Mensch lernt unglaublich langsam dazu. „Nichts ist erledigt!“ Das könnte man auf meinen Grabstein schreiben (lacht).
Was sind Ihre neuen Pläne?
Ich plane gerade eine Doppel-Ausstellung hier in Heidelberg im „Forum für Kunst“ und im Landgericht. Ich würde gerne meine Plakate zusammen mit Akten-Auszügen aus den zahlreichen Prozessen zeigen.
Apropos Landgericht: Da läuft ja seit einigen Jahren die Plakatreihe „Mut zur Wut“. Wie gefällt Ihnen, was die Erben da veröffentlichen?
Ich freue mich, dass mit den gezeigten Plakaten die eigene Arbeit eine äußerst vielfältige Fortsetzung und öffentliche Verbreitung findet. Und bei einigen habe ich schon gedacht: Warum ist mir das nicht eingefallen (lacht).