Jan Weiler

"Die Midlife Crisis ist gefährlich"

Jan Weiler schreibt gerade über einen krisengeschüttelten Kommissar in der Mitte seines Lebens und ist selbst gerade in diesem Alter. Ein Gespräch über sich wandelnde Rollenbilder, ängstliche Männer und starke Frauen.

15.10.2019 UPDATE: 18.10.2019 06:00 Uhr 5 Minuten, 2 Sekunden
Jan Weiler. Foto: Tibor Bozi​

Von Simon Michaelis

Mit einer Radikal-Diät will Kommissar Martin Kühn der Midlife-Krise entkommen. "Kühn hat Hunger" heißt denn auch folgerichtig der dritte Kriminalroman von Jan Weiler, in dem sein vom Burnout gebeutelter Münchner Polizist diesmal ziemlich unterzuckert die Ermittlungen im Fall einer getöteten jungen Frau aufnimmt. Ein Gespräch über die Herausforderungen des modernen Mannes, die MeToo-Debatte, mächtige Frauen und wandelnde Rollenbilder.

"Erfolg ist männlich. Sonst würde es Siefolg heißen." Ein Satz aus Ihrem neuen Roman, der dem fiktiven Diätbuch von Ferdie Caparacq, Ikone einer neuen, besonders männlichen Männlichkeit, entspringt. Hat es Spaß gemacht, so etwas zu schreiben?

Hintergrund

BIOGRAFIE

Name: Jan Weiler

Geboren am 28. Oktober 1967 in Düsseldorf.

Karriere: Der Journalist und Schrift-steller war viele Jahre Chefredakteur des SZ-Magazins. 2003 erschienen sein

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BIOGRAFIE

Name: Jan Weiler

Geboren am 28. Oktober 1967 in Düsseldorf.

Karriere: Der Journalist und Schrift-steller war viele Jahre Chefredakteur des SZ-Magazins. 2003 erschienen sein erstes Buch "Maria, ihm schmeckt’s nicht!", das ebenso wie "Antonio im Wunderland" (2005) und "Das Pubertier" (2014) verfilmt wurde. Mit "Im Reich der Puber- tiere" (2016) sowie "Und ewig schläft das Pubertier" (2017) lieferte Weiler weitere amüsante Geschichten rund um den pubertierenden Nachwuchs. Die Reihe um den Münchner Ermittler Martin Kühn startete 2015 mit "Kühn hat zu tun", 2018 folgte "Kühn hat Ärger" und soeben erschien "Kühn hat Hunger". Weiler verfasst zudem Hörspiele und Hörbücher, die er auch selber spricht.

Privates: Er ist mit der Journalistin Sandra Limoncini verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt bei München.

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Wahnsinnig! Normalerweise darfst du so einen Schwachsinn ja nicht rausblasen. Eigentlich sorgen die natürliche Geschmacksgrenze, ein Moralempfinden und eine gewisse Intelligenz dafür, dass man so etwas nicht sagt. Im Fiktionalen kann man natürlich solche fürchterlich chauvinistischen, grauenhaften Figuren wie Ferdie Caparacq erfinden, die das sagen.

Steckt irgendwo in Ihnen denn auch ein kleiner Caparacq?

Nein, wir sind ja gerade dabei, die klassischen Rollenbilder zu überwinden. Da kann man so etwas nicht sagen. Aber es gibt Männer, die mit der Veränderung dieser Rollenbilder einfach nicht klarkommen. Wenn man in den 60er-Jahren geboren ist, wurde man eben mit den Mann-Frau-Rollen aus den 40er- oder 50er-Jahren, tradiert durch die Eltern, groß. Dann festzustellen, dass das alles nicht mehr gilt und vielleicht immer schon Blödsinn war, ist für manche ein schwerer Schritt.

Sie wurden 1967 geboren, haben also auch noch die klassische Rollenverteilung miterlebt?!

Klar! Meine Mutter ist jetzt 80 und sie sagte mal zu mir, sie sei die letzte angeschmierte Frau und beneide die jungen Frauen von heute. Viele Frauen in dem Alter haben ein starkes Bewusstsein und sagen sich: Verdammt noch mal, wenn ich noch mal jung wäre, würden die Karten aber anders gemischt. Das stand 1967 aber überhaupt nicht auf dem Speisezettel. Da hieß es: Du bist von Beruf Hausfrau, was inzwischen ja eine unfassbare Demütigung wäre. Heute heißt es: Ich bin Industriekauffrau, arbeite nur gerade nicht.

Auch Kühn trägt diese alten Rollenbilder noch in sich. Früher sollte ein Mann nicht weinen, stark sein, bestimmen, wo’s langgeht - all das sei heute nicht mehr gefragt, beklagt er. Wann ist ein Mann ein Mann?

Ein Mann ist dann ein Mann, wenn er den Grad seiner Männlichkeit gut regulieren kann. Wenn er genau so viel Mann ist, wie es gerade erforderlich ist. Das ist bei Frauen auch nicht anders. Am besten ist es, wenn man sich darüber nie Gedanken machen muss.

Wie definieren Sie den modernen Mann?

In den letzten Jahren dachte man, er trage Vollbart und Holzfällerhemd. Ich glaube, der moderne Mann ist der, der sich davon total freimacht und einfach versucht, Verantwortung zu übernehmen, seinen Job zu machen und seinen Weg zu gehen.

Apropos Job - der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist immer noch eklatant niedrig. Auch bei der Bezahlung klafft nach wie vor eine Lücke ...

Befragen Sie Männer dazu, heißt es: Klar, total ungerecht. Kommt aber der Chef ins Büro eines Mannes und sagt: "Die Frau Bachmann hat denselben Job wie Du, ist auch genauso lange da, verdient aber weniger. Wir möchten das ändern." Sagt der Mann: "Großartige Idee!" Der Chef: "Wir haben uns gedacht, Du verzichtest auf einen Teil Deines Gehaltes und wir heben das von Frau Bachmann an. Dann seid ihr gleich." Sagt der Mann: "Moment! Blöde Idee." Darüber hinwegzukommen und zu sagen, wir sitzen jetzt 15 Jahre hier Büro an Büro, ich habe jetzt schon so lange Vorsprung, das ist fair, fällt Männern schwer. Auch Kühn sieht sich damit überfordert.

Die Historikerin Mary Beard behauptet, dass Macht männlich codiert ist, mächtige Frauen quasi automatisch zu Männern werden, sie kopieren. Angela Merkel oder Hillary Clinton ziehen sich an wie Männer und reden auch so.

Ich glaube nicht, dass die Macht Frauen männlich macht. Macht macht Frauen mächtig. Das Mächtigsein ist bisher eher männlich codiert, ja. Aber das ändert sich gerade. Macht ist heute eben auch weiblich. Der Kleidungsstil der Bundeskanzlerin hat nichts damit zu tun, dass sie sich männlicher fühlt, sonst würde sie vielleicht eine Krawatte tragen. Sie zieht sich so an, dass sie sich in ihrer Haut und ihrem Job wohlfühlt. Vielleicht gefällt’s ihr ja auch. Es gibt in der Politik genug Frauen, die sich nicht männlich kleiden und auch auf ihre Weise mächtig sind. Sahra Wagenknecht sieht doch nicht aus wie ein Mann. Oder Ursula von der Leyen. Sie ziehen sich ihrem Typ entsprechend an. Da könnten sich viele Männer in der Politik ein Scheibchen abschneiden.

Denken Sie, Männer haben Angst vor starken Frauen?

Ich glaube, sie haben eher Angst davor, dass sie selber nicht mehr als stark wahrgenommen werden. Abgesehen davon: Männer haben auch vor starken Männern Angst. Es ist ja nicht so, dass plötzlich ein neu erfundenes Geschlecht auf den Markt kommt: Frauen, vor denen man sich fürchten muss. Männer sind ja auch im Umgang mit anderen Männern diplomatisch, vorsichtig, zurückhaltend, ängstlich, eingeschüchtert. Daran müssten sie dann vielleicht zuerst arbeiten.

Die MeToo-Debatte wurde vor rund zwei Jahren angestoßen. Hat sich Ihrer Meinung nach seither etwas geändert?

Auf jeden Fall. Die Debatte war sehr hilfreich, weil sie den Frauen eine laute Stimme gegeben hat. Und völlig unabhängig davon, ob alle Vorwürfe begründet und beweisbar waren, steht ja die Frage im Raum, was sich Frauen eigentlich gefallen lassen müssen und wann Sense ist. Diese Debatte hat die Grenzen neu gezogen und veranschaulicht, das finde ich total wichtig. Am Ende geht es nicht darum, ob ein Kollege jetzt anzüglich war oder nicht - das liegt ja auch immer im Sinne der Perspektive - sondern es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man nicht einfach alles sagen kann, worauf man gerade Lust hat.

Zurück zu Kühn: Er steckt mitten in der Midlife-Crisis, die fachlich Andropause heißt. Der Testosteronspiegel fällt, was Folgen wie Gewichtszunahme, Abgeschlagenheit bis hin zu Depression haben kann. Mittlerweile gibt es in Deutschland etliche Andrologen. Trotzdem findet das Thema in der Öffentlichkeit kaum statt. Warum nicht?

Gute Frage. Tatsächlich stecken in diesem Altersscharnier wahnsinnig viele Gefahren. Das Infragestellen von sich, seiner Umwelt, der Familie, der Beziehung, der Karriere - das kann schon auch ganz schön gefährlich werden. Da gibt es genug Leute, die hinten runter kippen. Den Begriff Midlife Crisis gibt es schon lange. Häufig fahren Männer dann plötzlich Sportwagen und lassen sich komische Trendfrisuren schneiden. Hintergründig geht es in der Mitte des Lebens darum, sich die Frage zu stellen: War das alles richtig? Und wie geht’s eigentlich weiter?

Sie sind 51. Wie gehen Sie mit diesen Fragen um?

Du musst eben anfangen, Dich mit Dir selbst auseinanderzusetzen. Viele Menschen tun viel dafür, das nicht zu müssen, dazu gehöre auch ich, und erleben sich lieber in Funktionen: Ich bin Mann, Vater, Nachbar, Freund, Kollege. Und in diesen Funktionen funktioniere ich auch gut. In der heutigen Zeit hat man aber häufig keine richtige Bindung mehr zu sich selber. Wer bin ich für mich? Bin ich mir ein guter Freund? Das ist anspruchsvoll, aber jeder muss sich diesen Fragen stellen.

Kühn reagiert mit Diät auf die Krise. Stellt das Essen einige Tage kompromisslos komplett ein. Typisch Mann?

Kann sein. Diäten sind ja total blöd, aber es gibt eben solche Trends, denen sich die Leute sklavisch unterwerfen. Kühn will interessanter für seine Frau werden und hat diesen Veränderungs- und Optimierungswillen. Da scheint ihm diese Schwachsinnsdiät genau richtig zu sein.

Was haben Sie heute gefrühstückt?

Nichts, ich mache momentan Intervallfasten (lächelt). Die letzte Mahlzeit abends um 20 Uhr und dann kannst Du am nächsten Tag um 12 Uhr wieder etwas essen. Das war einfach nötig, weil ich beim Schreiben immer wahnsinnig zunehme. Ich esse da gewaltige Mengen an Schokolade und Pralinen. Das fühlt sich für den Moment gut an, das Ergebnis ist aber scheußlich.