Clueso im Interview

"Musik ist meine Droge"

Unser Autor Olaf Neumann sprach mit Clueso, 41, über Straßenmusik in Zeiten von Corona, seine wilde Jugend im Osten und die Zusammenarbeit mit dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre

27.09.2021 UPDATE: 30.09.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden
Foto: Christoph Koestlin

Seit Februar 2020 haben Sie allein sieben Singles veröffentlicht, die ein breites musikalisches Spektrum abdecken. Wie finden Sie die Vorstellung, eines Tages nur noch einzelne Songs anstatt ganzer Alben herauszubringen?

Clueso: Ich bin nie nur einen Weg gegangen. Mir macht es Spaß einzelne Songs rauszuhauen, aber ich könnte mir auch vorstellen, kleine Inseln wie EPs zu machen und mich in Projekte zu werfen, weil ich nie nur einen Song schreibe. Mit Bozza zum Beispiel habe ich an zwei Tagen drei Dinger geschrieben. Nach dem narrativen "Handgepäck" wollte ich jetzt gerne ein Album mit engagiertem Pop machen.

Ist der schlichte Titel "Album" auch als Bekenntnis zum aussterbenden Format des Longplayers zu verstehen?

Ich habe in letzter Zeit zwar wahnsinnig viel veröffentlicht, aber das Ziel war immer ein Album. Es ist der Abschluss eines Zyklus. Ich bin so im Flow, ich denke, ich werde das Ding digital auffüllen. Ich stehe auf Namen, die irgendwie draufhauen, wie "Pop" von Madonna. Die Idee zu dem Titel "Album" kam von meinem Freund Benjamin von Stuckrad-Barre beim gemeinsamen Spaziergang. Fand ich saugeil.

Stuckrad-Barre hat ja bereits mit Udo Lindenberg zusammengearbeitet. Wie klappt das bei Ihnen beiden?

Was wir machen, kommt dem Schreiben sehr nahe. Wir beleuchten unser Dasein und werfen Sätze hin und her. Der eine oder andere Satz von Benjamin hat es auf mein Album geschafft. Ich brauche jemanden, der so schnell ist wie er. Das macht Spaß.

Die Musik auf dem prallgefüllten Album klingt ziemlich entspannt. Haben Sie die Zeit der Pandemie gar nicht als so apokalyptisch empfunden?

Die Stimmung auf der Platte gibt eher eine Sehnsucht wieder. Man kann mich auch in einen Keller werfen. Wenn da zwei Boxen, ein Mikrofon, eine Matratze und ein Fenster sind, werde ich geile Mucke machen. Dadurch, dass diese Pandemie mich eingesperrt hat, konnte ich das in Ruhe machen. Das war ein schöner Moment, aber ich habe auch Unsicherheiten erlebt. Die Pandemie hat alles platt gemacht, was Style hat und alles Industrialisierte hat weiter funktioniert. Außer der Musik.

Angeblich können Sie sich nur beim Musikmachen so richtig entspannen.

Ja, die Musik ist der Ausgleich zu meinem verrückten Leben. Der Prozess des Schreibens ist sehr ruhig, und das Spielen auf der Gitarre hat etwas Meditatives. Ohne das würde es um mich gar nicht so gut stehen, weil ich sehr neugierig und rastlos bin.

Geht es Ihnen als Künstler darum, sich ständig zu verändern und danach noch derselbe zu sein, wie es auf Ihrem Album heißt?

Auf jeden Fall. Ich hätte gedacht, dass das irgendwann aufhört, tut es aber nicht. Es gehört zu meinem Künstlerdasein dazu. Ich wollte immer, dass meine Alben nicht gleich klingen. Aber sobald ich den Mund aufmache, ist es doch Clueso.

Was befeuert Ihre Kreativität?

Tatsächlich andere Kunst, aber meistens nicht so perfekte. Bei perfekten Songs geht bei mir nichts auf, die bringen mich lediglich zum Staunen. Ein Zusammenspiel von Menschen, Begegnungen, Erlebnissen und Sehnsüchten macht einen guten Song aus. Wie viele Mikrofone man da angeschlossen hat, ist eigentlich egal. Die Beatles hatten gar nicht so viele. Mich inspiriert auch mal ein Satz, den jemand raushaut. Für mich ist Musik durchaus eine Droge, weil es dabei sehr schnell zu einem Ergebnis kommt. Nur das Fertigfeilen eines Songs dauert meistens sehr lange.

Der aus Bosnien stammende Rapper Bozza gastiert auf dem Lied "Heimatstadt". Warum gehören die Straßen von Erfurt so sehr zu Ihnen?

Es gibt den Spruch "Du kriegst den Jungen von der Straße, aber nicht die Straße aus dem Jungen". Die Gegend deiner Kindheit und Jugend und das Aufwachsen prägen deine Bio, egal wo du dich im Leben hinbewegst. Die Straßen von Erfurt und die Wende haben mich schon sehr geformt. Die Häuser sahen damals teilweise aus wie weggebombt. Krass, wie der Putz von den Wänden fiel. Die leeren Fabriken, das Wegrennen vor den Nazis, die aggressive Stimmung unter Jugendlichen, das erste Mal Klauen. Ich war viel draußen und bin oft bei Obrigkeiten angeeckt, so dass die Polizei mich nach Hause gefahren hat.

Weil Sie etwas gestohlen hatten?

Manchmal wegen Graffiti, manchmal, weil ich etwas geklaut oder irgendeine andere Scheiße gebaut hatte. Ich könnte jetzt tausend Sachen aufzählen. Erfurt war für mich ein einziger Spielplatz, weil wir nicht das Empfinden hatten, in einem geregelten System zu leben. Niemand von uns hatte ein Gefühl dafür, wem das jetzt alles gehört. Es gab ja keinen Sozialismus und kein Volkseigentum mehr. Ist es jetzt Kapitalismus? Keine Ahnung! Und die Erwachsenen waren zu der Zeit zwangsläufig mit sich selber beschäftigt, so dass man als Jugendlicher gar nicht unter Beobachtung stand. Man dachte, alles sei gerade verrückt geworden.

Und wie lief es in der Schule für Sie?

Es war sehr schwierig, weil wir dieses Freiheitsgefühl mit in die Schule genommen haben. Auch die Lehrer hatten das Problem, sich sehr mit sich selber beschäftigen zu müssen. Sie mussten ja umdenken und neuen Unterrichtsstoff lernen. Es war auch für sie sehr schwierig, den jungen Leuten ein neues, kapitalistisches System beizubringen. Da bin ich häufig angeeckt.

Wären Sie ohne die Musik auf die schiefe Bahn geraten?

Ich hätte zumindest regelmäßig Probleme mit Autoritäten und Verboten gehabt. Ich hätte mich wahrscheinlich nicht zu allzu düsteren Sachen hinreißen lassen, aber ich wäre nicht sehr weit gekommen.


Das neue Album von Clueso, das auch den Titel "Album" trägt, kommt am 1. Oktober auf den Markt.