Verbrecherjagd

Tätererkennung: Polizei setzt auf Super-Recogniser

Es gibt Menschen, die besonders gut Gesichter wiedererkennen können. Klingt erstmal nicht nach einer spektakulären Superhelden-Kraft? Dabei könnte die Fähigkeit die Polizeiarbeit revolutionieren.

11.03.2021 UPDATE: 11.03.2021 14:13 Uhr 1 Minute, 55 Sekunden
«Super-Recogniser»
Andreas H., Super-Recogniser von der Polizei München, demonstriert im Polizeipräsidium nach einer Pressekonferenz einen Test zur Erkennung seiner Fähigkeiten. Foto: Sven Hoppe/dpa

Stuttgart (dpa) - Zugegebenermaßen, die Bezeichnung ist erstmal gewöhnungsbedürftig: Super-Recogniser. So nennen Wissenschaftler Menschen, die sich Gesichter besonders gut merken können - egal ob diese teilweise verdeckt waren, eine Begegnung schon Jahre her ist oder das Filmmaterial unscharf.

Dieses besondere Talent macht sich auch die Polizei zunehmend bei der Verbrecherjagd zunutze. Super-Recogniser können etwa Täter auf Überwachungsvideos erkennen - woran andere Menschen und Computer oft scheitern.

Die Polizei in Baden-Württemberg will Beamte mit dieser Begabung künftig flächendeckend an allen Polizeipräsidien im Land einsetzen, wie das Innenministerium am Donnerstag mitteilte. Sie können Gesichter von Verdächtigen auch in Menschenmassen besonders gut wiedererkennen, egal, ob sie geschminkt, verkleidet oder verdeckt sind. "Das ist eine angeborene Begabung, über die nur rund zwei Prozent der Bevölkerung verfügen", betonte Innenminister Thomas Strobl (CDU). "Viele Personen wissen gar nicht, dass sie diese Fähigkeiten besitzen."

Deshalb sollen Polizisten an der Hochschule für Polizei nun intensiv auf ihre Wiedererkennungs-Fähigkeiten getestet werden. Nach Schätzung des Innenministeriums besitzen rund 700 Polizisten im Land diese Gabe. "Dieses Potenzial wird uns helfen, mehr Kriminelle zu identifizieren und damit der Strafverfolgung zuzuführen", betonte Strobl. Künftig könne jeder Absolvent der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg herausfinden, ob er ein Super-Recogniser ist, sagte der Präsident der Hochschule, Martin Schatz. Alle regionalen Polizeipräsidien würden über ein Testverfahren ab diesem Frühjahr identifizierte Super-Recogniser einsetzen können.

In dem mehrstufigen Verfahren, das wegen der Corona-Pandemie online stattfindet, werden Fähigkeiten zur Einprägung und Wiedererkennung von Gesichtern oder einzelner Gesichtspartien in den Bereichen Kurzzeit, Langzeit, Gesichtsvergleich und aus Menschenmengen überprüft. Mehrere hundert Teilnehmer haben sich dem Ministerium zufolge bereits testen lassen.

Dass es Leute gibt, die ein Gesicht nicht vergessen oder auf noch so verschwommenen Fotos Personen wiedererkennen, weiß die Wissenschaft erst seit wenigen Jahren. Die Forschung zu Super-Recognisern steckt noch in den Kinderschuhen. Der Begriff kommt vom englischen Wort "recognise", das unter anderem "wiedererkennen" bedeutet. Der Einsatz dieser Talente könnte aber viele Bereiche der Sicherheit revolutionieren. Solche Beamten könnten Pässe an Flughäfen oder Grenzen kontrollieren, bei Antiterror-Einsätzen helfen oder bei der Suche nach Verschwundenen.

Auch in Baden-Württemberg kamen die cleveren Cops bereits zum Einsatz - etwa bei der Aufklärung der Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020. Ein erheblicher Teil der bislang identifizierten rund 130 Tatverdächtigen gehe auf die Fähigkeiten dieser Beamtinnen und Beamten zurück, sagte Strobl. Und das, obwohl die Aufnahmen aus der Nacht häufig verwackelt und dunkel gewesen seien, die Gesichter oft nur kurz und teilweise zu sehen. "Da geht es um Gewalttäter und Randalierer, die wahllos Straftaten verübten, im Schutz der Dunkelheit, Einzeln oder in Kleingruppen."

Auch anderswo arbeiten bereits solche Gesichtserkenner. 2015 gründete die Londoner Polizei bereits eine Einheit von Super-Recognisern. Die Frankfurter Polizei entdeckte in einem Auswahlverfahren in ihren Reihen unter 1000 Interessierten 45 Mitarbeiter mit der besonderen Gabe, wie sie Mitte Februar mitteilte. Auch in Bayern gibt es bereits mehrere Dutzend solcher Spezialisten bei der Polizei - sie waren schon auf dem Münchner Oktoberfest unterwegs, kontrollierten das Gelände und Videobilder der Überwachungskameras.

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