Vorurteile überwinden

18.06.2021 UPDATE: 19.06.2021 06:00 Uhr 1 Minute, 24 Sekunden

Kommentar von Noemi Girgla zu "Fremde Söhne"

Das Buch ist ein Muss für jeden, der bereit ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Zeitgleich ist es ein wichtiger Leitfaden für all diejenigen, die sich selbst ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren wollen. Beim Lesen und beim Gespräch im Garten der Schneiders hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Zwar ist die Flucht über das Mittelmeer immer wieder Bestandteil der Berichterstattung, es ist aber etwas völlig anderes, plötzlich mit den Geschichten ganz realer Menschen konfrontiert zu sein.

Ich selbst habe Syrien vor dem Krieg als ein wundervolles Land kennengelernt, wurde mit einer Gastfreundschaft aufgenommen, die mir bis dahin fremd war, wurde überrascht, wie fortschrittlich das Land damals schon war. Als Aleppo brannte, habe ich geweint. Ebenso, als Palmyra fiel und der Islamische Staat den syrischen Archäologen Khaled Asaad brutal ermordete. Und genau das ist die Welt, aus der diese Leute geflohen sind. Krieg und Mord bestimmen in ihrer Heimat seit einem Jahrzehnt den Alltag.

Ich werde nicht behaupten, dass unter den Geflüchteten keine "schwarzen Schafe" sind. Die findet man in jeder Bevölkerung. Ich finde es aber wichtig, sich vor Augen zu halten, was zahlreiche Flüchtlinge durchgemacht haben. In der Hoffnung auf ein sicheres Leben. Lange ist es noch nicht her, dass auch viele unserer Angehörigen fliehen mussten. Meine eigene Großmutter zog im Januar 1945 mit zwei kleinen Jungen an der Hand von Königsberg über das brüchige Eis des Frischen Haffs. Haben wir das etwa schon vergessen?

Die Schneiders haben Mut bewiesen, sind einer fremden Kultur offen gegenübergetreten, haben sich auf Unbekanntes eingelassen. Anders ist es nicht möglich, die eigenen Hemmungen und Vorurteile zu überwinden. Denn die Angst vor dem Islam ist groß. Verständlich, wenn man immer wieder mit Anschlägen konfrontiert wird.

Aber wir sollten uns klar machen, dass diese Extremisten genau jene sind, vor denen die Syrer und andere flohen. Jeder Anschlag trifft sie bis ins Mark. Denn ihre Peiniger aus der Heimat sind auch die, die sie bei uns in Verruf bringen, weshalb sie oft auf Ablehnung stoßen. Jede Anfeindung gegenüber Flüchtlingen bringt diesen (Un-)Menschen einen kleinen Sieg. Wollen wir Extremisten, egal welchen Glaubens und welcher Kultur wirklich gewinnen lassen? Sollten nicht gerade wir es besser wissen?