Hintergrund: Interview Lesbos

Die Asylsituation in Griechenland

01.11.2020 UPDATE: 02.11.2020 12:09 Uhr 1 Minute, 35 Sekunden

Die Asylsituation in Griechenland

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Seit dem großen Zustrom an Flüchtenden 2015 sind die EU-Außengrenzen chronisch überlastet – allen voran in Griechenland. Wie viele Menschen dort ankommen und was die EU nun ändern will:

Griechenland – das Tor nach Europa

721.075 Menschen suchten nach Angaben des Europaparlaments 2019 in der EU Asyl. Das waren 140 Asylsuchende pro 100.000 Einwohner. In Griechenland waren es umgerechnet auf die Bevölkerung mehr als fünfmal so viele. Hier kamen 721 Asylsuchende auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 199 Asylsuchende pro 100.000 Einwohner, in Spanien 251, in Italien 73. Die Zahl der Asylanträge in Griechenland hat sich innerhalb von vier Jahren fast verfünffacht – sie stieg von 13.205 (2015) auf 77.275 (2019). Stärker wuchs die Zahl nur in Zypern und Spanien.

Seit Januar 2020 kamen laut UNHCR 13.787 Menschen auf der Flucht in Griechenland an. 8240 davon, also sechs von zehn Menschen, landeten auf den Inseln Lesbos, Samos, Chios, Leros und Kos, die meisten auf Lesbos – knapp ein Drittel aller in Griechenland Angekommenen.

Ein überlastetes Aufnahmesystem

2015 begann die EU, sogenannte Aufnahme- und Identifikationszentren (RICs), auch Hotspots genannt, an den südlichen Außengrenzen einzurichten. Fünf solcher Zentren stehen auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos, Chios, Leros und Kos. Geflüchtete, die dort registriert werden, müssen zunächst auf den Inseln bleiben. Für sie gibt es zwei Optionen: Entweder sie werden im Rahmen des sogenannten EU-Türkei-Abkommens zurück in die Türkei überstellt und können dort einen Asylantrag stellen oder sie beantragen Asyl in Griechenland – in diesem Fall dürfen sie die Insel nicht verlassen, bis ihr Antrag bearbeitet wurde.

Laut UNHCR gab es Anfang des Jahres rund 90.000 offene Asylfälle in Griechenland. In den dortigen Hotspots waren über 36.000 Menschen untergebracht. Ursprünglich waren diese Zentren auf insgesamt 5400 Menschen ausgelegt gewesen. Das Lager Moria auf Lesbos war das größte der fünf Aufnahmezentren. Statt der eigentlich vorgesehenen 2500 lebten dort zwischenzeitlich rund 20.000 Menschen.

Hilft ein neues Migrations- und Asylpaket?

Die Europäische Kommission legte Ende September ihren Entwurf eines neuen Migrations- und Asylpakets vor. Es soll eine Brücke schlagen zwischen den eher migrationsoffenen und den migrationsskeptischen Mitgliedsstaaten. Der Entwurf strebt eine gemeinschaftliche Verpflichtung und Arbeitsteilung der Mitgliedsstaaten an. Sie sollen künftig die Wahl haben zwischen der Aufnahme Schutzsuchender und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber.

Ein zentrales Ziel des Entwurfs ist es, die Asylgesuche an den Außengrenzen zu reduzieren. Die Kommission will Verhältnissen wie im Lager von Moria vorbeugen, indem entsprechende Verfahren beschleunigt werden. So sollen alle Asylsuchenden und irregulären Migranten innerhalb von fünf Tagen registriert und medizinisch untersucht werden. Geplant ist unter anderem, Asylanträge in aussichtsreiche und wenig aussichtsreiche vorzusortieren.