Die letzten Juden in Schriesheim

Erst geehrt, dann verfemt: Das Schicksal von Julius und Mina Fuld

20.10.2020 UPDATE: 21.10.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 17 Sekunden

Die letzten Juden in Schriesheim

Erst geehrt, dann verfemt: Das Schicksal von Julius und Mina Fuld

Schriesheim. (hö) Mina und Julius Fuld waren die letzten Juden, die 1939 in Schriesheim lebten. Ihr Schicksal hat Prof. Joachim Maier in seinem Erinnerungsbuch on 2019 nachgezeichnet. Julius Fuld, geboren 1871, führte ab 1900 mit Ferdinand Marx eine Viehhandlung. Im Jahr zuvor hatte er Marx’ Schwester Mina geheiratet. Sie bekamen zwei Kinder, Leopold und Flora, 1913 zogen sie in ihr eigenes Haus in der Passein 1. Fuld war ein mustergültiger Bürger: Er gehörte eine Weile dem Bürgerausschuss, der damaligen Form des Gemeinderates, an, er war Mitglied im Militärverein, im GV 1841 Liederkranz – hier wurde er sogar 1932 Ehrenmitglied – und im TV 1883. Er diente im Ersten Weltkrieg und wurde dafür ausgezeichnet. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 änderte sich schlagartig alles: Sein Geschäft wurde boykottiert, auch der Liederkranz führte ihn nicht mehr in seiner Mitgliederliste. Dabei galt Fuld auch beim NS-Bürgermeister Fritz Urban als unbescholten – zumindest gab er das an, als 1934 die NS-Behörden die jüdischen Viehhändler überprüften. 1936 baten Fuld und Marx beim Finanzamt Weinheim darum, ihnen die Gewerbesteuer zu reduzieren, weil die Geschäfte so schlecht liefen. Doch Urban bestand auf dem Gemeindeanteil dieser Steuer und lehnte den Antrag ab. 1938 wurde die Firma aufgegeben, fast zeitgleich verkauften die Fulds ihr Haus – von dem Geld sollten sie kaum etwas haben, 1942 zog es der Staat ein. Bei der Pogromnacht im November 1938 musste das Ehepaar Fuld die Zerstörung der Schriesheimer Synagoge erleben – zu diesem Zeitpunkt waren sie die letzten Schriesheimer Juden. Ihr Sohn Leopold war im März 1938 mit seiner Familie nach Argentinien emigriert, ihre Tochter Flora lebte in den USA.

Am 20. September 1939 meldeten sie sich nach Feudenheim ab. Bürgermeister Urban erstattete dem Bezirksamt Mannheim zufrieden Bericht: "Mit diesem Abzug ist Schriesheim nunmehr judenfrei." 1940 wurde das Ehepaar nach Gurs deportiert, dort erkrankte Julius Fuld schwer. Im Dezember 1941 gelang beiden die rettende Flucht in die USA, zur Familie ihrer Tochter. Er starb 1943 mit 72 Jahren in New York, seine Frau 1959 im Alter von 87 Jahren. Auch sie hatte durch die Lagerhaft bleibende gesundheitliche Schäden erlitten.