Fassungslos sind die Einsatzkräfte ob der hemmungslosen Sensationsgier. Foto: Priebe
Von Alexander Albrecht
St. Leon-Rot. Fabian Geier hat schon viele schreckliche Unfallorte gesehen - doch der Einsatz am Montagnachmittag auf der A 5 nahe dem Walldorfer Kreuz ging auch dem erfahrenen Feuerwehrmann an die Nieren. In zweierlei Hinsicht. Vier Menschen kamen bei dem Auffahrunfall ums Leben. "Grausam", sagt der Sprecher der Feuerwehr im Kreis Karlsruhe der RNZ. Doch als fast genauso schlimm empfand er das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer und Schaulustigen. Und dann zählt Geier auf: "Lastwagen hielten kreuz und quer, versperrten die Rettungsgasse und behinderten unsere Arbeit massiv. Menschen standen mitten auf der Fahrbahn, kletterten über die Leitplanken und machten Bilder mit dem Handy", berichtet er.
Jogger seien eine sieben Meter hohe Böschung hochgeklettert, um einen Blick auf das Geschehen zu werfen. "Das Vorgehen der Gaffer wird immer schlimmer und heftiger", sagt Geier und seufzt. Und macht dafür auch die Sozialen Netzwerke verantwortlich: "Manche Leute denken, es sei cool, Fotos zu machen und dann auf Facebook zu posten." Verstehen kann er das nicht. Einsatzkräfte, die Tote und Verletzte aus Fahrzeugwracks schnitten, seien emotional enorm belastet. "Vor diesem Hintergrund ist es mir völlig unerklärlich, was die Schaulustigen antreibt", sagt Geier fassungslos.
Wie am Dienstag bekannt wird, hat der schwere Unfall eine Familie aus Nordrhein-Westfalen in den Tod gerissen. Nach Angaben der Polizei kamen die Eltern im Alter von 51 und 46 Jahren sowie eine 13 Jahre alte Tochter ums Leben, eine zweite Tochter im Alter von 15 Jahren überlebte schwer verletzt - befindet sich aber nicht in Lebensgefahr. Bei dem vierten Opfer handelt es sich um den Fahrer des zweiten Wagens, der 60-Jährige stammt aus dem Raum Worms. Ein Sattelschlepper war von hinten auf die beiden Fahrzeuge aufgefahren. Er schob die beiden Autos mit Wucht unter einen weiteren Laster, der seine Fahrt wegen hohen Verkehrsaufkommens stark verlangsamt hatte. Laut Fabian Geier konnte die Autobahn in Richtung Frankfurt erst kurz vor 2 Uhr wieder komplett freigegeben werden. Der Rückstau betrug in der Spitze circa 13 Kilometer.
Der Unfallverursacher ist nach Polizeiangaben ein 62-jähriger Pole aus dem südlichen Baden-Württemberg. Der Mann habe einen Schock erlitten und werde medizinisch betreut. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat derweil Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung aufgenommen. Den Sachschaden schätzt die Polizei auf rund 100.000 Euro. Eine halbe Stunde nach dem schweren Unfall zwischen der Anschlussstelle Kronau und dem Kreuz Walldorf hatte sich am Montag auf der Gegenfahrbahn ebenfalls ein Unfall ereignet, an dem sieben Autos beteiligt waren. Dabei wurden drei Menschen verletzt.
Die Behörden gehen davon aus, dass die Fahrer vermutlich aus Sensationslust gebremst hatten. "Gaffen" beinhalte ein erhebliches Gefahrenpotenzial für weitere Zusammenstöße, sagt der Mannheimer Polizeisprecher David Faulhaber. Er schließt sich der Kritik von Feuerwehrmann Fabian Geier an: "Das sind Dinge, welche die Arbeit sämtlicher an dem Unfall beteiligter Organisationen vermeidbar erschweren." Und Faulhaber wird noch deutlicher: "Dass man auf der Gegenfahrbahn effekthascherisch Aufnahmen eines schweren Unfalls machen kann, ist für uns schlicht pietätlos."
Die Feuerwehr sei - neben den schweren Bergungsarbeiten - damit beschäftigt gewesen, Sichtschutz aufzubauen. Im Kampf gegen die hemmungslose Sensationsgier hat das Land Baden-Württemberg angekündigt, Sichtschutzwände anzuschaffen. Sie sollen nach Angaben eines Behördensprechers Mitte des Jahres zum Einsatz kommen. Aktuell wollen das Verkehrs- und das Innenministerium noch die Standorte der Wandelemente festlegen.
Knapp 24 Stunden nach dem schlimmen Unglück kommt es am Dienstag an fast der gleichen Stelle zu einem weiteren Auffahrunfall. Der Ablauf ist laut Polizei ähnlich: Ein Lkw-Fahrer muss an einem Stauende anhalten, der nachfolgende Schwertransport-Lenker erkennt dies zu spät und fährt auf. Zwei Fahrspuren müssen bis kurz vor 15 Uhr gesperrt werden, es bildet sich ein bis zu 16 Kilometer langer Rückstau. Die beiden Fahrer werden leicht verletzt.
Zur Vermeidung von weiteren schweren Auffahrunfällen mit Lastern auf den Autobahnen sollte es nach Ansicht des Automobilclubs von Deutschland (AvD) noch mehr Kontrollen geben. Lkw-Fahrer stünden wegen ihres eng getakteten Zeitplans enorm unter Druck, sagt Verbandssprecher Herbert Engelmohr der dpa. Neben den vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten kämen noch die Wartezeiten in Staus auf den überlasteten Fernstraßen hinzu. Ein Fortschritt seien automatische "Notbremsassistenten" für Lkw, die aber bislang nur für Neufahrzeuge vorgeschrieben seien. Der AvD fordert zugleich, dass in Deutschland mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden.