Gymnasium Walldorf

"Hitlerjunge Salomon" Sally Perel erzählte seine Geschichte

Beeindruckender Bericht eines Zeitzeugen - Leben als Kind und Jugendlicher zur Zeit des Zweiten Weltkriegs

13.12.2019 UPDATE: 14.12.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden
„Ich wünsche mir, in euch neue Zeitzeugen hinterlassen zu haben“: Das gab Sally Perel den Schülern des Walldorfer Gymnasiums (im Bild mit Schülersprecherin Emilia Sauter) mit auf den Weg. Foto: Pfeifer

Walldorf. (homa) Mit einem einfachen "Schalom" begrüßt Sally Perel seine Zuhörer. Das Wort aus dem Hebräischen bedeutet Friede. Ein so kurzes, kleines Wort, das aber aus dem Mund von Sally Perel ein unvergleichlich größeres Gewicht hat. Denn Sally Perel ist der Verfasser der Autobiografie "Ich war Hitlerjunge Salomon", einer wahren Geschichte, in der er von seinem Leben als Kind und Jugendlicher zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erzählt. Er berichtet darin, wie er es als kleiner jüdischer Junge schaffte, in der Hitlerjugend zu überleben und wie er ein Teil von ihr wurde.

Die Geschichte des mittlerweile 94-Jährigen wurde auch verfilmt ("Hitlerjunge Salomon", 1990). Heute besucht der in Israel lebende Zeitzeuge sowohl deutsche als auch israelische Schulen und berichtet von seiner Zeit in der Hitlerjugend. Auf diesem Wege machte er auch Station in Walldorf, in der Astoria-Halle. Rund 300 Schüler hatten die Ehre, diesem Mann zwei Stunden lang zuzuhören und danach ein Exemplar der Autobiografie zu erwerben, von denen er jedes Exemplar signierte.

Als Perel beginnt zu sprechen, wird es schlagartig mucksmäuschenstill im Saal, was die kompletten zwei Stunden anhält. Er beginnt mit einer Mahnung: "Nur aus der Geschichte können wir lernen. Denn wer die Vergangenheit in Frage stellt, lebt in der Gegenwart ohne Boden." In diesem Zuge thematisiert er auch die "Auschwitz-Lüge", also die Leugnung des Holocaust. Perel entgegnet darauf: "Auschwitz wurde zum Symbol der schlimmsten Tragödie der Menschheit, Auschwitz war ein Selbstmord der deutschen Kultur.

Das Erschreckendste ist aber, dass sich unter dem Deckmantel der Uniform, der Ideologie, normale Menschen versteckten, bei denen scheinbar jede Menschlichkeit verloren ging. Das Konzept der Nächstenliebe wurde gänzlich über Bord geworfen." Hass sei die Wurzel allen Verbrechens, Hass das Instrument der Nationalsozialisten gewesen. "Und die neuen Rechten haben diesen Hass übernommen", fügt er hinzu.

Nun kommt er auf seine eigene Geschichte zu sprechen. "Ich war versteckt unter der Haut des Feindes und lebe bis heute ein Doppelleben. Ein möglichst verdrängtes, das der prägenden Zeit in der Hitlerjugend; und eines als Jude, der einfach nur versuchte, die Worte seiner Mutter ’Du sollst leben’ in die Tat umzusetzen." Überhaupt erst zur Hitlerjugend gekommen war Perel, als er während des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion von der Wehrmacht gefangen genommen wurde, wie man im Internet nachlesen kann. Wie er in Walldorf erzählt, schaffte er es, sich unter dem Namen Josef als sogenannter "Volksdeutscher" auszugeben, sein späterer Spitzname war "Jupp".

Das für ihn auch heute noch sehr Erschreckende, mit welcher Überzeugungskraft die Ideologie vermittelt wurde. "Nachts war ich ein verängstigter, jüdischer Junge, tagsüber ein Teil der Hitlerjugend, währenddessen ich ’Heil Hitler’ schreien, Hakenkreuz tragen musste. Und in der Minute, in der auch ich die Siege Deutschlands feierte, ’Es lebe der Sieg’ schrie, wurden meine Glaubensbrüder vergast, einfach nur weil sie Juden waren. Und auf das systematische Töten von Kindern hat doch noch nicht einmal der Teufel eine Antwort."

Der Vortrag hatte schon jetzt viele im Saal zu Tränen gerührt, niemand wagte einen Laut von sich zu geben. Als größte Wunde in seiner Kindheit beschrieb Perel allerdings nicht die Hitlerjugend: Der kommentarlose Rausschmiss aus der Schule nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze, das sei die größte, offene Wunde seiner Kindheit. "Dieses Land von Kant, Schiller und Lessing hat mit einer nie da gewesenen Grausamkeit einen gesetzlich legitimierten Völkermord begangen", betont er abermals das Beispiellose an diesem pechschwarzen Kapitel deutscher Geschichte. Und um dagegen anzukommen, habe er als "einzige Waffe", wie Perel es nannte, die Lüge gehabt.

"So etwas darf nie wieder vorkommen", hebt er immer wieder während seiner beeindruckenden Äußerungen hervor, spricht allerdings auch große Bedenken an, gerade mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen. "Was ich da sah, verfolgt mich bis heute in meinen Albträumen. Damit das nie wieder vorkommt, muss die Jugend selbstkritisch denken." Gerade hier stehe auch die Schule in der Verantwortung. "Schaut euch an, wie bunt wir alle sind. Wir wollen auch bunt bleiben, nicht braun werden."

Zu Beginn hatten sich bereits die Organisatoren des Gymnasium Walldorfs und Roland Papesch von der "Friedrich Naumann Stiftung" herzlichst bei Sally Perel fürs Kommen bedankt. Auch ein Präsent gab es gegen Ende für Sally Perel von der Schülersprecherin Emilia Sauter, woraufhin er sie umarmte. Geschichtslehrer Alexander Hahn, federführend für die Organisation verantwortlich, bezeichnete es als den schönsten Tag in seinem Leben, diesen Mann zu treffen. Dass dieses Gefühl bei allen Anwesenden aufkam, zeigten auch die Standing Ovations des kompletten Saals nach dem Vortrag.

Zum Schluss mahnte Perel abermals Wachsamkeit angesichts der neuen Rechten an: "Respekt und Toleranz sind ein elementares Grundrecht des Menschen. Solange mich meine Schuhe tragen, werde ich über die Geschehnisse erzählen. Ich selbst kann aber nicht ewig umherziehen und über die Wahrheit als Zeitzeuge berichten. Ich wünsche mir, in euch neue Zeitzeugen hinterlassen zu haben. Bitte überliefert die Wahrheit weiter. Es darf niemals gelingen, die Verbrechen als Lüge darzustellen."

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