Gestalteten gemeinsam einen ebenso informativen wie unterhaltsamen und vergnüglichen Abend, vorne von links: Gustl Riemensperger, Klaus Engwicht, Prof. Hubert Klausmann und Thomas Ostermann; hinten die "Scones" Helmut Dörr und Jürgen Köhler. Foto: Pfeifer
Walldorf. (kvs) Die Walldorfer Heimatfreunde hatten dieser Tage zu der ganz besonderen Veranstaltung "Kumm, geh fort!" eingeladen. Der Dialektforscher und Sprachwissenschaftler Prof. Hubert Klausmann von der Uni Tübingen referierte zu Entwicklung und Eigenarten der Dialekte im Allgemeinen und des Kurpfälzischen im Besonderen. Im bis auf den letzten Platz ausverkauften Pfarrsaal begrüßte der Vorsitzende Klaus Engwicht die Gäste. "Nach einer langen Planungsphase wurden wir von der riesigen Nachfrage total überrascht", berichtete er. M
anche Dinge entwickelten eine gewisse Eigendynamik, meinte er, und war sichtlich stolz, dass der Verein im Rundfunk und SWR-Fernsehen vorgestellt wurde. "Immer wenn de Kerweschell schellt, passiert ebbes Wichtiges uf de Welt!" Mit diesen Worten eröffnete Klaus Engwicht den Abend, der neben dem wissenschaftlichen Vortrag von mundartlichen Beiträgen Gustl Riemenspergers und Musik der "Scones - Little Kurpfalz Cover Band" bereichert wurde.
Dialekt, was ist das eigentlich und vor allem, wo kommen die verschiedenen Dialekte her? Mit dem weitverbreiteten Vorurteil, dass dialektsprechende Menschen einfach nur kein ordentliches Deutsch könnten, räumte Prof. Klaus-mann grundlegend auf. Die Dialekte sind das Ergebnis einer ganz natürlichen Sprachentwicklung und haben sich aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen zum Ende des Mittelalters entwickelt, so der Sprachforscher. Das Hochdeutsch ist eine Standardsprache, die zur Allgemeinverständlichkeit als Kunstprodukt entstanden ist.
Die Tübinger Arbeitsstelle für Sprache in Südwestdeutschland, die Prof. Klausmann leitet, ist ein Ort zukunftsgerichteter Sprachforschung und ein Archiv für Schätze der Vergangenheit. Im Rahmen zweier Forschungsprojekte wird der Sprachalltag in Nord-Baden-Württemberg untersucht. Bis zum Jahr 2020 soll ein Sprachatlas entstehen, der auch die letzte Lücke in der Erforschung der Basisdialekte des gesamten süddeutschen Raumes schließen soll.
Mit seinen zwerchfellerschütternden Textbeiträgen gab Gustl Riemensperger Kostproben angewandter Dialektsprache zum Besten. Mühelos wechselte der erfahrene Theatermann vom Kurpfälzischen ins Hochdeutsche und zurück, wenn es die Textdramaturgie erforderte. Ob es der Hund namens Horst, das traurige Ende einer echten Männerfreundschaft oder das Geheimrezept für Kartoffelsalat ist, das Publikum quittierte seine Auftritte mit viel Applaus und lachtränenfeuchten Augen.
Anhand zahlreicher Karten zu Lautgeografie, Grammatik und Wortschatz sowie unter Zuhilfenahme von Hörbeispielen stellte der Tübinger Professor einen digitalen Sprachatlas vor, der Anfang nächsten Jahres offiziell online gehen soll. Mittels standardisierter Fragebücher und Tonaufzeichnungen in mehr als 50 Ortschaften werden Baden-Württembergs Dialekte hörbar gemacht. Walldorf darf sich freuen, denn dank der Mitarbeit von Heinz Merklinger wird die Astorstadt auch auf dem Atlas vertreten und ihr ehemaliger Bürgermeister zu hören sein.
Es gibt Geschichten, die kann man nur in Mundart erzählen. Das Walldorf-Wieslocher Duo "The Scones" weiß das nur zu gut. Sie setzen bei ihren Coversongs neben den originalen englischen Text eine eigene Interpretation in Dialekt. Da werden aus den "Streets of London" von Ralph McTell kurzerhand die "Streets of Walldorf" oder der Beatles-Song "In my Life" mutiert zu "En meim Lewe". Immer gelingt es den beiden, nicht in Kitsch abzurutschen, sondern mit viel Herzblut und Empathie vom richtigen Leben zu erzählen. Nicht von ungefähr haben Helmut Dörr und Jürgen Köhler in diesem Jahr beim Wettbewerb "De gnitze Griffel" den ersten Platz belegt. Das Siegerlied wurde selbstverständlich genauso präsentiert wie ihre erste brandneue CD mit eigenen Songs. Zum Abschluss rockten die beiden den Saal mit "Hey Jude" (Hey Du) von den Beatles.
Die Frage, ob der Dialekt eine Zukunft hat, konnte Prof. Klausmann mit einem optimistischen Ja beantworten. Er gab zu, dass voraussichtlich alte von der Landwirtschaft geprägte Worte in naher Zukunft untergehen werden, einfach weil sie keine Verwendung mehr finden. "Der Dialekt als solcher aber hat eine unglaubliche Kraft als Gegenbewegung zur Globalisierung und gibt uns Heimat." Für das Walldorfer Publikum stand von vornherein fest: Der Kurpfälzer Dialekt ist der schönste.
Wer diesen einzigartigen Abend verpasst hat, für den eröffnet sich eventuell Ende Februar oder Anfang März 2018 bei einer Wiederholung die Möglichkeit, Karten zu ergattern. Ein endgültiger Termin steht aber noch nicht fest.