Beratungsgespräche mit Hinterbliebenen am Telefon zu führen, war früher die Ausnahme, berichtet Stephanie Pitz-Willert, Geschäftsführerin des Bestattungshauses Meny. Doch in Corona-Zeiten sei das häufiger notwendig. Foto: Christian Beck
Von Christian Beck
Sinsheim. Zu Todesfällen kommt es das ganze Jahr. "Aber diesen Januar und Februar sind wir zumindest gefühlt mehr auf dem Friedhof als in anderen Jahren", berichtet Pfarrer Hendrik Fränkle über den Eindruck, den seine Kollegen und er gewonnen haben. Und Stephanie Willert-Pitz, Inhaberin des Bestattungshauses Meny, erklärt: Etwa 40 Prozent der Menschen, die sie und ihr Team im Januar bestattet haben, sind mit oder an Corona gestorben.
Das liege vor allem an den Infektionsgeschehen in verschiedenen Pflegeheimen, die zu mehreren Todesfällen geführt haben. Einige der Verstorbenen waren älter und hatten Vorerkrankungen, berichtet Willert-Pitz. Doch das treffe nicht auf jeden zu. Fränkle betont: "Ich habe auf jeden Fall Leute beerdigt, die definitiv nicht mit, sondern an Corona gestorben sind."
Vor allem für die Angehörigen sei das nicht leicht. Ihm sei mehrfach berichtet worden, dass den Erkrankten der Lebenswille verloren gegangen sei, erzählt Fränkle. "Das wird nicht mehr", hätten manche Corona-Patienten gesagt, noch bevor die Ärzte sich überhaupt zu den Aussichten auf Genesung geäußert hatten. Doch Corona-Patienten können aus Gründen des Infektionsschutzes nur in Ausnahmefällen besucht werden. Nämlich dann, wenn absehbar ist, dass sie sterben. Einige Hinterbliebene machten sich Vorwürfe, ob der Verstorbene noch leben würde, wenn er mehr Besuch bekommen, mehr Zuwendung erfahren hätte, berichtet Fränkle.
Und nach dem Tod gehen die Schwierigkeiten für Hinterbliebene oft weiter: Personen, die mit oder an Corona gestorben sind, dürfen nicht aufgebahrt werden. "Normalerweise bestärken wir Angehörige, noch einmal Abschied zu nehmen. Den Verstorbenen noch einmal anzufassen, um zu merken, dass er kalt ist", erklärt die Bestatterin. So würden die Hinterbliebenen selbst spüren, dass die Person wirklich tot ist. Das sei ein wichtiger Teil der Trauerarbeit. Bleibe der Sarg zu, "ist die Person einfach weg", berichtet Willert-Pitz von den Empfindungen der Hinterbliebenen. Was das mit der Psyche der Menschen mache, sei momentan noch nicht absehbar.
Kann hier die Kirche Trost bieten? "Wir haben das auf dem Schirm", sagt Fränkle. Ein Gedenkgottesdienst sei eine Möglichkeit. Doch diesen hält er erst für sinnvoll, wenn Menschen sich wieder ohne Einschränkungen in der Kirche versammeln können.
100 Personen dürfen momentan zu einer Beerdigung kommen. Sei jemand gestorben, der von vielen gekannt wurde und vielfältig aktiv war, sei das wenig. Dann heiße es: "Schade, dass der Chor nicht singen kann", oder: "Der ganze Verein wäre gerne dabei gewesen", berichtet Fränkle. "Manchen ist das glaube ich aber ganz recht", sagt die Bestatterin dazu. Denn unter normalen Umständen fühlten sich viele verpflichtet, alle zur Beerdigung einzuladen. Eigentlich würden sie alles aber viel lieber im kleinen Kreis halten. Und noch etwas sei schwierig, berichtet Willert-Pitz: In Aussegnungshallen dürfen im Regelfall nicht alle 100 Besucher der Beerdigung; in Sinsheim sind es 37, der Rest muss im Freien warten. Darf die Tante nun in die Halle oder nicht? Diese Frage sorge mitunter für Irritationen, erzählt die Bestatterin.
Singen ist auch auf Beerdigungen nach wie vor verboten. Manche Hinterbliebene erklärten daraufhin, dass sie dann auch keinen Organisten bräuchten, sagt Fränkle. Er setze sich aber dafür ein, dass Musik gespielt wird. Denn so würden sich Pausen zum Nachdenken ergeben.
Beim Trauergespräch hat sich auch manches verändert: Beratungsgespräche am Telefon hat es früher nur im Ausnahmefall gegeben, berichtet die Bestatterin. Nun befänden sich manche Hinterbliebenen in Quarantäne, und man greife häufiger aufs Telefon zurück. Doch auch das Gespräch von Angesicht zu Angesicht sei nicht einfach. "Alles ist so kühl, im wahrsten Sinn des Wortes", findet Willert-Pitz. Denn aus Infektionsschutzgründen muss häufig gelüftet werden, den Leuten sei kalt, das wirke sich auf die Gesprächsatmosphäre aus. Berührungen als Geste des Trostes, und sei es nur ein Händedruck, sind auch nicht möglich. "Und wenn die Trauernden weinen, laufen ihnen die Tränen in die Maske", erzählt die Bestatterin. "Wir sehnen uns nach Normalität."