Einer der Raufbolde trug, wie Richterin Tieg es nannte, einen merkwürdigen „Einteiler“. Es handelte sich um ein Einhorn-Kostüm. Symbolfoto: Thinkstock
Von Tim Kegel
Sinsheim. Ein Mann im Einhornkostüm und ein etwas unbeholfener Kleindealer geraten in einem Etablissement in der Sinsheimer Innenstadt in einen irren Streit mit Folgen. Eine denk- und merkwürdige Februarnacht wie aus einem schlechten Film wurde am Dienstag am Sinsheimer Amtsgericht aufgearbeitet.
Eine afrikanische Tänzerin räkelt sich an der Stange in der Pole-Dance-Bar. Ein 30-jähriger Sinsheimer hat ihr einen Sekt spendiert, wie man es in Läden wie diesem so macht, und gönnt sich selbst noch einen letzten Drink, während er ihr Glas hütet, was später noch wichtig wird. Kurz vor 4 Uhr kommt ein Trio Männer in die Bar am Kirchplatz – das "Nachglühen" eines Fastnachtsumzugs und, wie sich herausstellen wird, eine Schnapsidee: Die Gäste im besten Mannesalter kriegen sich in die Wolle.
Das "Einhorn" – ein 34-jähriger Kfz-Fachmann aus dem Raum Sinsheim – packt den 30-Jährigen am Hals und würgt ihn, bis dieser sich fühlt "wie eine Maus im Käfig". Der Unterlegene drückt dem Würger das Sektglas in den Hals, bis Blut spitzt und die Tänzerinnen "im Schock" durcheinander springen; eine der Damen holt sich hierbei eine tiefe Schramme an der rechten Hand.
Kurz wird noch ein Marmortisch zertrümmert, dessen Stahlfuß der 30-Jährige dem "Einhorn" drohend entgegenhält, "zur Abwehr", wie er sagt. Und als sich das Gerangel auflöst, suchen die Raufbolde das Weite. Krankenwagen? Polizei? "Nicht nötig", soll das "Einhorn" noch gesagt haben.
Doch das war erst der Anfang: Polizisten greifen das Trio in der Sinsheimer Innenstadt auf, bemerken, dass einer blutet. Die Männer sagen, sie seien überfallen worden. Von Südländern. Am Krankenhaus treffen die Männer und die Polizisten dann auf die verletzte Tänzerin. Die Frau wundert sich, warum sie nichts mit ihr "zu tun haben" wollen.
"Naja", sagte am Dienstag der 34-Jährige, der als Zeuge aussagte, "ich habe eine Freundin mit Kind." Vom Nachtklub-Besuch an diesem "Männerabend" sollten die besser nichts erfahren, "das kommt nicht so gut". Die Wunde am Hals des 34-Jährigen ist zehn Zentimeter lang, zwei Zentimeter tief, muss mit 14 Stichen genäht werden.
Ein Totschlagsdelikt? Schwere Körperverletzung? Ermittlungen führten die Polizei nun zum 30-Jährigen. Bei einer Hausdurchsuchung wurden die Tatkleidung gefunden – aber auch 326 Gramm Marihuana und "Kleinstmengen" Amphetamine und Kokain. Der 30-Jährige kam in Mannheim in Untersuchungshaft, "in den schlimmsten Knast, die Hölle", wie er es nennt, "wo man ausgeraubt wird und Schutzgeld zahlen soll". Er wurde am Dienstag – von Freunden und Familie erwartet – in Fußfesseln in den Sitzungssaal gebracht.
Entscheidend war, ob nun länger gestochen als gewürgt und ob überhaupt gestochen oder eher geschnitten wurde. War es Notwehr, lag’s am Suff? Rund 1,9 Promille Alkohol hatte das "Einhorn" in jenen Stunden im Blut – zuviel, um sich auch nur an irgend etwas zu erinnern. Auch den beiden Bardamen gelang es nicht – trotz ihrer "raumgreifenden" Schilderungen mit viel Körpereinsatz – mehr als höchstens Schummerlicht ins Dunkel zu bringen. Das "Einhorn" kam mit einem blauen Auge, beziehungsweise einer langen Narbe im Nacken, davon – und auch die Tatvorwürfe gegen den 30-Jährigen wurden, aufgrund der Schwere des folgenden Tatvorwurfs fallen gelassen. Beide verabschiedeten sich im Gerichtssaal eher kleinlaut mit Entschuldigungen.
Blieben noch die Betäubungsmittel, die der 30-Jährige, wie er sagt, zum Eigengebrauch angeschafft und – wohl eher selten – an Bekannte abgegeben hat. Nach dem plötzlichen Tod eines engen Familienmitglieds habe er sich "betäuben müssen" und das Zeug abends in großen Mengen geraucht.
Einiges Insiderwissen half Richterin Tieg, der Vorsitzenden des Schöffengerichts, bei der Wahrheitsfindung: Gewitzt hinterfragte sie die enormen Füllmengen der Marihuana-Joints, die der Angeklagte angab, und ob sich Drogenverkauf überhaupt lohne, "wenn man keine Feinwaage besitzt". Einschlägige Vorstrafen – zweimal Drogenbesitz in geringen Mengen und eine handfeste Stadtfest-Schlägerei im Pulk, bei der ein anderer junger Mann "nach dem Wurf einer Pflümli-Flasche" vor Jahren die Sehkraft eines Auges nahezu verloren hat – lagen am Schluss außerdem in der Waagschale der Sinsheimer Justitia. Der 30-Jährige sagt, er habe gebüßt – und allein rund 15.000 Euro Entschädigung gezahlt.
Wilde Zeiten, mit denen der 30-Jährige nun abgeschlossen haben will: Sowohl seinen Dealer, wie auch seine Abnehmer, hat er erst kürzlich an die Polizei verraten. Sein jahrelanger Arbeitgeber hat ihm schriftlich die Wiedereinstellung zugesichert. Seine Sozialprognose sei günstig, hieß es. Auch die Eigentums-Wohnung, die er besitzt, sorge für ein gewisses Maß an Solidität. Die Fußfesseln wurden am Ende der Sitzung abgeschraubt.
Das Urteil lautete 18 Monate Gefängnis auf Bewährung mit drei Jahren Bewährungszeit. Der 30-Jährige muss sechs unangekündigte Drogentests über sich ergehen lassen und bezahlen sowie ein Anti-Gewalt-Training beim Psychologen besuchen. Über zwölf Zahlungen zu je 100 Euro, die er leisten muss, freut sich das Tierheim. Über all dies wacht ein Bewährungshelfer.