Evangelos Tsirtsakis, Tochter Alexia und seine Frau Monika sitzen im „Quint’s“ in der Bahnhofstraße. Mehrmals im Jahr kommt „Zacki“ nach Sinsheim. Hier wuchs er auf. Er liebt diese Stadt. Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Das Sinsheim, in dem er damals aus dem Zug ausstieg, war das Sinsheim von 1965 und rund 2300 Kilometer von seiner Heimat Griechenland entfernt. Das Sinsheim, in dem er "der Zacki" werden sollte.
Am Bahnhof hingen noch die ausgeblichenen Vermisstenmeldungen von Weltkriegssoldaten. "Wir gehen nach Deutschland", hatte sein Vater damals zu ihm gesagt, "zwei Tage vor der Abreise", erinnert sich Evangelos Tsirtsakis. Über Neckarsulm als Zwischenstation kam er mit seinem Vater Theodoros und Mutter Sultana in den Kraichgau, der typische Weg der Gastarbeiter damals.
Heute, wenn Tsirtsakis nach Sinsheim zurück kommt, ist es für ihn wie Heimkommen, sagt er. Fest glaubt er an die Liebe auf den ersten Blick, und wenn man so zurückschaut, "dann wär’ das damals wohl so was", sagt er, mit Sinsheim. Eine Liebe. Bis heute.
Er war einer der ersten, wenn nicht gar der erste Bub’ aus dem Ausland an der damals jungen Theodor-Heuss-Schule. Seine Klassenkameraden hießen Nora Meny oder Dietmar Kunzelnick, Margot Keitel oder Harry Weinelt. Und auch die liebt Zacki, wie er sagt. Das ging los beim Fangenspielen, als sie ihn wegen seinen schwarzen Locken "Schwarzer, Schwarzer" geneckt hätten. "Nö, dat hat mir nichts ausgemacht", sagt Zacki mit seinem rheinischen Akzent. "Wir waren doch Kinder. Und Kinder sind neugierig."
Und es sei "auch ganz normal, dass man sich gegenseitig fragt, wo man her kommt". Überhaupt habe er Rassismus in Sinsheim "nie erlebt" und "Integration nie gebraucht". Die "schöne Gemeinschaft" habe von den ersten Tagen an "auf ganz natürliche Weise" bestanden und sich nie gewandelt. Man hat sich geholfen und schöne Zeiten erlebt, sagt Zacki fast gerührt, alles sei in Sinsheim freundlich und überschaubar. Bis heute böten ihm die alten Kameraden ihre Zimmer an. In Sinsheim erlebt Zacki immer so etwas wie Heimattage. Alles habe sich so ergeben, gut ergeben. "Das sind nicht bloß Freunde", sagt er, "das ist Familie für mich".
Jeder Jeck ist anders: Zacki verschlug es nach Jahren in Sinsheim in den Kölner Raum, als er Monika kennen lernte. Vor 33 Jahren war das. Wieder Liebe auf den ersten Blick. Sie heirateten vor 29 Jahren. Wo? "In Sinsheim. 320 Leute waren versammelt in der Stadthalle." Die Fotos machte Burkhardt Stork, "der Mokka", wie sie ihn nannten, kleinwüchsig und eine Lokalreporter-Legende damals, oft für die Lokalredaktion der RNZ unterwegs. Monika erinnert sich gut. Ja, auch sie mochte dieses Sinsheim auf Anhieb.
Jede Pore von Zacki atmet Sinsheim, irgendwie: Das Sinsheim von 1965, als er schnell den Sprung in die dritte Klasse schaffte. In den 1956er-Jahrgang, der sich heute alle fünf Jahre zum Klassentreffen in der Reiterklause versammelt. Erst kürzlich war Zacki wieder dabei. Und wie immer wollte er gar nicht so richtig wieder heim. Weil er Sinsheim eben so schön findet.
Sinsheim, das auch in den 1970ern schon perfekte Städtchen. Damals, als die Autos noch durch die Bahnhofstraße und über den Karlsplatz gebrettert sind, was alle "den Idiotenring" nannten. Mit 14 Jahren machte Zacki hier den Hauptschulabschluss, lernte Kraftfahrzeugmechaniker bei "BMW Krauth". Erwarb dort den Gesellenbrief. Einige Zeit später lernte er "den Hansi" kennen – Hans Hartmann, Wirt des "Watussi", dem damaligen Szenelokal in der Hauptstraße. Zacki und "Hansi" – fast wieder Liebe auf den ersten Blick – schnell wurden sie miteinander warm. Und mit dem Blick auf Zackis Kontakte fiel "Hansi" schnell auf: "Mensch Junge, Du kannst hier den besten Umsatz machen."
Und Zacki machte Umsatz: Mit 24 Jahren ließ Hartmann ihn Geschäftsführer im "Beach Club" werden, seiner Großraumdisco am Heidesee in Forst. 1981 bis 1985 war das. "Das macht man halt, wenn man jung ist", sagt Zacki. Später, in Bad Bentheim, Niedersachsen, versuchte er sich noch einmal an einer eigenen Bar. Die Liebe kam und er beschloss: "Kein Nachtleben mehr." Drei Töchter kamen zur Welt. Tsirtsakis machte sich selbstständig und ist heute Chef einer eigenen Firma für Rohrleitungsbau. War in seiner Freizeit einige Jahre Stadtrat "für die Roten".
Heimweh nach Griechenland habe er "nie gehabt": Zwar besucht er seine Verwandten im Dörflein Kotronia immer mal wieder und kommt gern in die Gegend. Doch sei er "auch dort Tourist". Und den griechischen Pass gab er ab, als ihm die Behörden damals bei der Verlängerung des Dokuments Schwierigkeiten machten. "Der kleine Zacki bleibt Sinsemer", sagte er sich dann.
Und inzwischen, da denkt er allmählich über den Ruhestand nach. Und den könnte man ja in Sinsheim verbringen – oder nicht? Tatsächlich spielt Zacki mit dem Gedanken, umzuziehen und in Sinsheim sesshaft zu werden. "Das hat sich ja so gemacht." Drei- oder viermal im Jahr komme er sowieso zurück, und die Töchter leben in Köln und München. Da läge Sinsheim auf dem halben Weg – und wäre allein schon aus diesem Grund wieder ideal, irgendwie.