Noch vor Tagen musste ein Abendspaziergang durch die Fußgängerzone ohne die obligatorische Tasse Glühwein zu Ende gehen. Seit Dienstag ist der Ausschank erlaubt. Foto: Alexander Becker
Von Tim Kegel und Alexander Becker
Sinsheim. Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Innenstadt: Es darf wieder Glühwein ausgeschenkt werden. Trotz Corona-Verordnung können die Bratwurststände, Buden und Wirtschaften im Herzen von Sinsheim ab sofort wieder alkoholische Getränke ausgeben, wenn auch mit Einschränkungen.
Den Verkäufern war die Erleichterung anzuhören: "Zum guten Glück", sagt Peter Erdelyvari vom "Quint’s". "Wir machen damit 80 Prozent Umsatz", erklärt Thomas Hesz, der seit 1994 mit seiner hölzernen Imbissbude während der Adventswochen direkt neben dem Eingang des Stadtmuseums steht. Und "Linde"-Wirtin Gudrun Wurzer wirkt fast gerührt: "Und das stimmt echt?", fragt sie. Es stimmt. Mit der Entscheidung, die im Lauf des Dienstags fiel, setze die Stadtverwaltung "auf Eigenverantwortung und Augenmaß", sagte Oberbürgermeister Jörg Albrecht auf Nachfrage. Die Lage an den Wurstbuden habe Albrecht als "erdrückend" wahrgenommen. Einiges davon dürfte sich nun ändern.
Tatsächlich gaben die Stände noch zu Beginn der Woche ein deprimierendes Bild ab: Verwaiste Steaks und Würste verwandelten sich auf den Grills allmählich in Kohlenstoff. Passanten wandten sich ab: Für den sogenannten "Glühpunsch", den die Betreiber laut Vorgaben der Behörden einzig und allein verkaufen durften, konnten sich nur die wenigsten erwärmen. Grotesk mutete dann manchem Wirt noch an, dass selbst der Terminus "alkoholfreier Glühwein" im Aushang nicht erwünscht war. Zumindest ein Fall ist bekannt, in dem dazu aufgefordert wurde, den Kreide-Anschrieb an einem Stand corona-konform abzuändern.
Außerdem wurde von Sinsheimern berichtet, die sich "nach Heidelberg und Bad Rappenau" aufmachten, um dort reinen Glühwein eingeschenkt zu bekommen. Während wieder andere – durchaus solide, gefestigte Menschen – Flachmänner einsteckten, um den "Punsch-to-go" in einen "Do-it-yourself"-Glühwein zu verwandeln. Das kann man mögen oder nicht. Fakt ist, dass ein dampfender roter Pott mit süßem Wein oder auch ein kühles Bier für viele zum vorweihnachtlichen Stadtbummel gehören. Und nicht alles lässt sich haarklein regeln und überwachen.
Dass das Leben seine Wege sucht und findet, weiß man auch im Rathaus. Schon im Rahmen der Einschränkungen im März hatte man Gastronomen den Bierverkauf erlaubt, als dies möglich wurde, und damit viel zur Verbesserung des Klimas und der Finanzsituation beigetragen. Also habe sich, wie Albrecht schildert, Michael Jerabek, beim Ordnungsamt zuständig für allerlei Markt- und Handelsfragen, wie seinerzeit "umgehend auf den Weg vor Ort" gemacht, "als wir diese Möglichkeit sahen". Die mündliche Mitteilung, erläutert Albrecht, ersetze ein komplizierteres Antragsverfahren.
Nun kann also wieder Alkohol in der Innenstadt getrunken werden, wenn auch unter strengeren Auflagen als im Frühjahr, wie Albrecht sagt. Wirte und Standbetreiber müssten "jetzt umso mehr" auf die Einhaltung der geltenden Corona-Auflagen achten: Diese änderten sich, auch das weiß der OB nur zu gut, "zurzeit gefühlt täglich". Doch gerade deswegen seien Wirte künftig am besten beraten, "wenn sie es umsichtig und besonnen angehen". Es gehe mehr um "den einen Glühwein zur Wurst", der künftig möglich sein soll, "nicht ums Gelage".
Beobachte man, dass es zu Exzessen kommt, sei man "gezwungen, das ganze wieder bleiben zu lassen". Wirte, Gäste und Behörden bräuchten nun "viel Augenmaß". Alle müssten darauf achten, "dass kein Weihnachtsmarkt durch die Hintertür entsteht", mahnt Albrecht an, etwa indem "Zehnergruppen Glühwein bestellen" oder Zechbrüder weinseelig an den Ständen lagern. Es sei "zumutbar, etwas zu bestellen, weiterzulaufen und Abstand zu halten". So komme man zu einem "tragbaren Kompromiss".
Dass es Bevölkerungskreise gibt, die die Aufhebung des Alkoholverbots kritisch sehen, auch aus Angst vor einer Verbreitung des Corona-Virus, müssten sich "alle Beteiligten vor Augen halten". Doch auch bei der Familie Trost, die in der Bahnhofstraße einen Stand betreibt und sich über die jüngste Änderung freut, heißt es: "Wir wollen auf keinen Fall zum Corona-Hotspot werden."