Regina Thies ist seit 2016 als Stadtarchivarin für das Stadtarchiv in Bad Rappenau zuständig. Foto: Falk-Stéphane Dezort
Von Falk-Stéphane Dezort
Bad Rappenau.Vergilbte Fotos, jahrzehntealte Rechnungen und Urkunden, Zeitungsartikel, hohe Papierberge und ein Archiv-Programm: Mit all dem hat Regina Thies täglich zu tun. Seit 2016 ist sie als Stadtarchivarin in der Kurstadt tätig.
"Es ist manchmal auch echt gruselig", sagt sie und berichtet von ihrem wohl kuriosesten Fund. In einem Gemeinderatsprotokoll aus den 1930er- oder 1940er-Jahren habe sie von einer Frau gelesen, die beerdigt wurde. Diese war aber wohl nicht tot und klopfte an den Sarg, damit man sie befreit. Die Trauergesellschaft habe dies aber nicht für möglich gehalten und den Sarg erst nach drei Tagen wieder ausgegraben, weil das Klopfen nicht aufhörte. Generell findet sie solche Protokolle "äußerst interessant". Es sei spannend, zu sehen, was die Gemeinde damals beschäftigt hat. Ein vorrangiges Thema – wie auch noch heute – seien die Kur und die Bäder gewesen.
Einen weiteren Überraschungsfund hat Thies 2017 im Zwischenarchiv gemacht. Hier wurden seit 20 Jahren nur Ordner reingestellt, die Dokumente aber noch nicht erfasst. Dort fand sie in einem Karton mehr als 40 Bademoden-Modelle der Firma Benger Ribana, die von 1963 bis 1983 ihren Sitz in der Kurstadt hatte. Die Textilien aus den 1950er-Jahren wurden als Dauer-Leihgabe an das kürzlich eröffnete "BikiniArtMuseum" (BAM) in Bonfeld übergeben.
Dort plant Thies in Zusammenarbeit mit dem Museum und den Heimatfreunden auch einen geschichtlichen Vortrag. Doch aufgrund von Corona und den damit einhergehenden Hygieneregeln scheint eine Veranstaltung in den Räumlichkeiten des BAM ausgeschlossen. Ein Termin steht auch noch nicht fest, sagt Thies, die mit den Planungen aber unterstreicht, dass die Arbeit als Stadtarchivarin alles andere als ein reiner Schreibtischjob ist. Zusätzlich bereitet sie anlässlich "90 Jahre Bad in Rappenau" im Oktober eine Fotoausstellung im Foyer des Rathauses vor.
Besonders gefällt ihr an ihrer Arbeit aber, dass sich die Ortsgeschichte immer weiter ergänzen lässt. So habe sie kürzlich eine Postkarte aus dem Jahr 1898 erhalten, auf dem die ehemalige Pension Reichardt – die neben dem heutigen Hotel Häffner stand – zu sehen und das Wort Schweizerhof zu lesen ist. "Den Begriff habe ich noch nie gehört", erklärt Thies. Auch viele heimatgeschichtliche Interessierte habe sie gesprochen, die mit dem Wort ebenfalls wenig anfangen konnten. Letztendlich stieß sie darauf, dass Gutshöfe mit Milch- und Viehwirtschaft Schweizerhof genannt wurden. "Es sind Bruchsteine, mit denen man die Geschichte ergänzt", sagt Thies.
Das im Jahr 1955 aufgenommene Foto des Kurhotels ist eines der Lieblingsstücke von Regina Thies, die anlässlich „90 Jahre Bad in Rappenau“ eine Fotoausstellung vorbereitet, die im Oktober im Foyer des Rathauses zu sehen sein wird. Foto: Stadtarchiv"Zu den klassischen Aufgaben des Archivs gehört das Sammeln und Bewahren der Akten der Stadtverwaltung", führt sie weiter aus. "Ergänzend dazu werden stadtgeschichtliche Unterlagen und Dokumente unterschiedlicher Herkunft gesammelt." Dazu zählen auch Spenden aus Nachlässen, selbstverfasste Chroniken oder Postkarten. Letztere kauft sie hin und wieder auf einem Postkarten-Portal an. Eines der ältesten Schriftstücke ist die Kopie einer am 2. November 1447 ausgestellten Urkunde, in der das Domkapital zu Worms, Stift Wimpfen, der Gemeinde Rappenau den "Spessart mit aller seiner Zugehörung walt, ecker und wiesen als wyt" verleiht.
Die von geschichtlichen Hintergründen faszinierte Thies kam als Quereinsteigerin zu dem Job als Archivarin. Zuvor war sie in der Stadtbücherei tätig. In ihrer Anfangszeit erhielt sie viel Unterstützung vom weit über die Region hinaus bekannten Heimatforscher Dr. Hans Heinz Hartmann, der im Februar im Alter von 88 Jahren gestorben ist. "Das war toll. Vor allem, wenn man recht frisch dabei ist." Unter anderem mit Hartmann arbeitete Thies auch am "Heimatboten", der einmal im Jahr erscheint. In der 31. Auflage, die im Januar 2021 erscheint, widmet sich die Archivarin dem Kinderkurheim Stuttgart, das in der Salinenstraße beheimatet war. Beispielsweise hat sie von einer Zeitzeugin, die 1962 zu Kur in Bad Rappenau war, ihre Erinnerungen aufgeschrieben bekommen, die Thies nun verwenden kann.
Die unzähligen Akten, die sich auf dem Dachboden des Rathauses befinden, dienen aber nicht nur der Verwaltung, betont Thies. "Jeder, der Interesse an Stadtgeschichte, Familien- oder Heimatforschung hat, ist willkommen und kann die Archivalien nach Anmeldung einsehen." Anfragen kämen dabei aus allen Teilen der Welt. So habe Thies Kontakt zu einer Australierin gehabt, die auf der Suche nach Informationen zu ihrem Großvater war. Als die Archivarin ihr dann helfen konnte, sei die Frau "zu Tränen gerührt" gewesen.
Während der Corona-Krise habe man deutlich mehr Anfragen bekommen, als üblich. "Die Leute hatten Zeit, sich mit der Familie zu befassen", sagt Thies. Während im Normalfall rund zehn bis 15 Anfragen im Jahr gestellt werden, seien es während des Lockdowns zwei bis drei pro Woche gewesen.
Aber auch bei weniger Anfragen geht der Archivarin die Arbeit nicht aus: In den vergangenen Jahren passierte vieles noch analog. Inzwischen ist die Digitalisierung in vollem Gange. So wird momentan das erste Findbuch – es dient als Bestandsübersicht, an welcher Stelle sich die Antwort auf eine bestimmte Frage verbergen kann – in ein Archiv-Programm eingearbeitet. Dort sollen die Akten dann auch besser verschlagwortet werden. "Manchmal ist es unübersichtlich", sagt Thies. Denn oft stecke in den Akten mehr drin, als in den Findbüchern mit einem Wort beschrieben ist. Bis aber alles erfasst ist, wird es noch einige Zeit dauern.