Von Harald Berlinghof
Gaiberg. Die Schlacht ist verloren. Für den BUND und auch für den Verein zur Erhaltung der Gaiberger Streuobstwiesen. Am heutigen Montag um die Mittagszeit legte der Baggerfahrer auf Anweisung seines Vorgesetzten mit der Baumfällung am "Oberen Kittel/Wüstes Stück" los. Wenn der Greifer des Baggers zupackt, dann bleibt nur Kleinholz. Es kracht und knirscht.
Und das wird in den nächsten drei bis vier Tagen auch so bleiben. In diesem Zeitraum sollen die verteilt auf dem Gelände stehenden Obstbäume und ein paar benachbarte Fichten entfernt werden. Zunächst die Kronen und die Äste, dann wird ein Arbeiter mit der Kettensäge den Rest erledigen. "Ich kann nichts dafür. Ich bin nur ein kleiner Befehlsempfänger", sagt der Baggerfahrer aus dem Fenster seines Arbeitsgerätes gelehnt entschuldigend. Dass er keinen Spaß an seiner Arbeit hat, ist ihm dabei anzusehen.
Am frühen Morgen war noch einmal kurz Hoffnung aufgekeimt bei den Vertretern der Initiative: Dem Baggerfahrer wurde von seinem Chef untersagt, mit der Rodung zu beginnen. Als Grund wurden von den Vereinsmitgliedern bislang nicht umgesetzte Ausgleichsmaßnahmen durch die Gemeinde vermutet. Dann kam allerdings doch die Freigabe zur Rodung. Allerdings nur der Bäume, nicht der Hecken. Laut Aussage des Landratsamtes, das als Untere Naturschutzbehörde die Art der Ausgleichsmaßnahmen festlegt, wurden die vorgeschriebenen Maßnahmen als Ersatz für die gefällten Bäume von der Gemeinde umgesetzt.
Nicht jedoch die Ausgleichsmaßnahme für die Hecken, die entfernt werden. Aus diesem Grund müssen die Rodungsarbeiten der Hecken auf der Streuobstwiese noch zurückstehen. Dort leben geschützte Arten wie der Bluthänfling, die Goldammer und der Neuntöter. Exakt diese Anweisung hatte der Baggerfahrer von seinem Vorgesetzten auch bekommen: "Die Bäume können weg, die Hecken müssen noch stehen bleiben". Ein gleichzeitig mit dem Normenkontrollverfahren gegen das ausgewiesene Baugebiet in Gaiberg eingereichter Eilantrag des BUND beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim ist noch nicht entschieden. Und er hat auch keine aufschiebende Wirkung, wie man beim VGH auf Nachfrage erklärt. Eine deshalb durch den BUND eingereichte Zwischenverfügung zur Untersagung der Rodung wurde vom VGH aus formalen Gründen abgelehnt. Mitten in diesem rechtlichen Tohuwabohu machte sich bei trübem Novemberwetter im Februar spürbar Wut, Aufgewühltheit und Trauer unter den anwesenden Naturschützern breit, als der Bagger seine Tätigkeit aufnahm. Lange hatte man um den Erhalt von "Gaibergs ökologisch wertvollster Wiese" gekämpft.
Die Streuobstwiese, die durch mehrheitlichen Gemeinderatsbeschluss am 27. Februar 2019 zum Bauland wurde, gehört nach Aussage der Vereinsmitglieder großteils der Gemeinde. Im Amtsblatt bekannt gemacht wurde er allerdings erst im darauf folgenden November. Der BUND hatte darauf sofort reagiert und ein Gerichtsverfahren in Gang gesetzt. Die Projektidee eines Bebauungsplans auf dem Gebiet der Streuobstwiese am westlichen Rand der Gemeinde, das zusätzliche Wohnungen ins Dorf bringen soll, hat die jetzige Bürgermeisterin Petra Müller-Vogel noch von ihrem Vorgänger Klaus Gärtner geerbt.
Seit neun Jahren arbeitet man an dem Projekt in Gaiberg. Der Bebauungsplanbeschluss erfolgte allerdings erst in Müller-Vogels Amtszeit. "Das war manchmal auch keine schöne Zeit. Viele E-Mails, die mich erreicht haben, gingen unter die Gürtellinie", sagt die Rathauschefin. "Dabei habe ich nur Beschlüsse des Gemeinderats umgesetzt."
Update: Montag, 3. Februar 2020, 20 Uhr
Von Harald Berlinghof und Thomas Frenzel
Gaiberg. Wenn man von Heidelberg, Waldhilsbach oder dem Königstuhl kommend nach Gaiberg fährt, dann bietet sich zu linker Hand ein idyllisches Bild: Eine Wiesenlandschaft in Form einer Streuobstwiese, Pferdeunterständen und einzeln stehender alter Obstbäume. Dort überschlugen sich zum Wochenende die Ereignisse. Bagger wurden vorgefahren, Dutzende Bürger schmückten Bäume und Büsche mit roten Luftballons und stellten Transparente auf.
Die Leute reagierten damit auf eine Mitteilung, die von der Gemeinde im Internet verbreitet worden war. Auf dem Grünareal soll bekanntlich nach dem Willen des Gaiberger Gemeinderats ein neues Wohngebiet mit 49 Wohneinheiten entstehen. Wohnraum ist ein rares Gut geworden in deutschen Städten und auch in den Orten drumherum. Insofern wäre gegen das Projekt, wenn es denn bezahlbaren Wohnraum hervorbringt, wenig einzuwenden. Allerdings gibt es in Baden-Württemberg eine politische Prämisse, die sich praktisch alle größeren Kommunen zu eigen machen.
In der vergangenen Woche hatten die Gaiberger dann wieder einmal ein buntes Flugblatt im Briefkasten gefunden. Der "Verein zur Erhaltung der Gaiberger Streuobstwiesen", der sich aus Sorge um die Bauabsichten 2011 formierte hatte, richtet in dem Flugblatt einen dringenden Appell an die Gaiberger Bürgermeisterin Petra Müller-Vogel und an den gesamten Gemeinderat, vorerst keine Baumfällungen und Rodungen auf dem Gelände "Oberer Kittel/ Wüstes Stück" vorzunehmen.
Und zwar so lange nicht, bis die Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beim Mannheimer Verwaltungsgerichtshof (VGH) gegen die Rechtmäßigkeit des ausgewiesenen Baugebiets nicht entschieden ist. Der BUND und die Streuobstwiesen-Initiative befürchten, dass mit der Fällung von Bäumen unwiederbringlich wertvolle Naturräume verloren gehen.
Die Normenkontrollklage des BUND gegen die Rechtmäßigkeit des beschlossenen Baugebiets ist noch nicht entschieden. Und eine sogenannte und von der Naturschutzorganisation beantragte Zwischenverfügung im Rahmen einer vorläufigen Anordnung, die Fällung zu untersagen bis die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans auf juristischer Ebene entschieden ist, kann der VGH nach eigener Aussage nicht erlassen.
Mit Transparenten und roten Luftballons bäumen sich die Gaiberger Streuobstschützer gegen die geplanten Rodungen am westlichen Ortsrand auf. Fotos: AlexNatürlich gibt es für die Gemeinde Gaiberg Sachzwänge. Wenn diese nach Aussage der Initiative angekündigt habe, dass ab Februar Baumfällungen auf der Fläche möglich wären, dann liegt das auch daran, dass ab März wegen Vogelschutzbestimmungen keine Baumfällungen mehr möglich sind. Die Gemeinde würde damit bei der Entwicklung der Fläche wesentlich an Zeit verlieren. Die Streuobstinitiative treibt denn auch die Angst um. Die Angst, dass schon heute im Morgengrauen mit dem Roden begonnen wird und vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor der VGH überhaupt entschieden hat.
"Verantwortung = Warten!" ist auf einem der aufgebauten Transparente zu lesen. Härter gegen Gaibergs Bürgermeisterin Petra Müller-Vogel formuliert ist ein zweites: "BUND klagt, Müller-V. fällt". Valeska Koller-van Delden von den Streuobstschützern zieht einen Vergleich mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der seine Pkw-Maut unbedingt hatte durchsetzen wollen und dann vom Europäischen Gerichtshof auf harsche Weise zurückgepfiffen wurde. "Der Schuss", so sagt sie mit Blick auf den VGH, "kann auch nach hinten losgehen."
Die derart kritisierte Rathauschefin Müller-Vogel verwies auf telefonische Nachfrage auf die gemeindliche Mitteilung. Die war am späten Nachmittag auf der Gemeindehomepage aufgetaucht.