Schließung nahezu in letzter Minute abgewendet: Das Tierarzt-Paar hat die Praxis nach fast 38 Jahren an seine Nachfolgerin Amiya Wilhelm-Olany (Mitte) übergeben. Fotos: privat
Von Elisabeth Murr-Brück
Neckargemünd. Manchmal entscheiden Sekunden. Blitzschnell wickelt sich eine Boa Constrictor um ein Bein des Behandlungstisches, als Dr. Angela Busse-Wohlfarth sie gerade zurück in ihre Tasche zurücklegen wollte. "Zum Glück nicht um meinen Arm", sagt die Tierärztin. Jetzt konnte sie nur warten, bis sich die Würgeschlange von selbst entspannte. Die RNZ hat das Tierarzt-Paar Wohlfarth-Busse anlässlich der Übergabe seiner Praxis an eine Nachfolgerin besucht.
Nach dem Studium in Berlin wollten der gebürtige Pforzheimer Dr. Ulrich Wohlfarth und seine Frau im Herbst 1983 zurück in den Südwesten – möglichst in die Nähe einer Universitätsstadt. Eine Freundin hatte ihnen Neckargemünd vorgeschlagen: Hier gab es zu dieser Zeit keinen Tierarzt. Ein renommierter Mannheimer Kollege warnte das Paar vor dem wirtschaftlichen Risiko: Abseits der Großstadt auf dem Land würden nur wenige Menschen ihre Haustiere behandeln lassen.
38 Jahre später reicht das Einzugsgebiet der Praxis weit über Neckargemünd hinaus. Mit 66 Jahren möchten die "leidenschaftlichen Großeltern" mehr Zeit für die Enkel in Berlin haben, der langjährige Urlaubsvertreter hat vor Kurzem gleichfalls aus Altersgründen aufgehört. Als sie in einer Rundmail die Praxisschließung ankündigten, war das für viele Haustierbesitzer ein Schock – bis sich fast in letzter Minute mit Dr. Amiya Wilhelm-Olany eine Nachfolgerin fand. Seit dem 1. März führt sie die Praxis, auch die seit Jahren vertrauten Helferinnen Antje Kühn, Verena Mielenz und Anke Siffling bleiben.
1983 kamen Angela und Ulrich Wohlfarth-Busse als Tierärzte nach Neckargemünd.Veterinärmedizin sollte für Ulrich Wohlfarth ursprünglich der Schleichweg zum Studienplatz der Humanmedizin sein, aber schnell fand er Tiere "viel spannender" – nicht nur, weil es im Praxisalltag immer wieder besondere Herausforderungen gibt. So holten die Tierärzte aus Hundemagen schon eine beträchtliche Sammlung an Steinen, manche so groß wie Hühnereier. Und ein Rottweiler hatte mehrere Fünf-Mark-Stücke verschluckt, ein anderer Rouladenspieße – immer ging es um Leben und Tod. Durch die Lage am Neckar werden in der Praxis regelmäßig Enten abgegeben, denen ein Stück Schnur aus dem Schnabel hängt: Den Angelhaken haben sie verschluckt. Von einer Angelschnur gefesselt war auch die Sumpfohr-Eule, die ein Binnenschiffer am Wieblinger Wehr gefunden hatte.
Viel hat sich im Laufe der Jahre verändert: Haustiere wurden zunehmend als Familien-Mitglieder gesehen. "War eine Katze früher krank, war das eben Schicksal." Wurden es zu viele, war da ja der Neckar ... Viele Gespräche brauchte es oft, bis sich jemand entschließen konnte, sein Tier kastrieren zu lassen. Flöhe, Parasiten überhaupt, galten als normal. Katzen mit total vereiterten Augen waren häufig, sie hatten Katzenschnupfen, der unbehandelt für Katzen in der Regel tödlich ist, ebenso Leukose und Katzenseuche.
Ein ähnliches Krankheitsbild mit den typischen schweren Brechdurchfällen sah man Anfang der 1980er Jahre plötzlich auch bei Hunden. Auslöser sind die hoch ansteckenden Parvo-Viren. Seit es dagegen Impfstoffe gibt, treten diese Krankheiten kaum noch auf. Heute gibt es ungleich bessere Behandlungsmöglichkeiten. Viele Krankheiten, die heute gut behandelbar sind, kamen in der Ausbildung gar nicht vor.
Komplizierte Fälle sind auch nach Feierabend noch ein Thema. Ratlos blieb das Paar allerdings bei der Katze, deren Durchfall erst bei einer stationären Aufnahme gestoppt werden konnte. Kaum zu Hause, hatte sie wieder Probleme. Mehrmals ging das so – und hörte schlagartig auf, als sie ein neues Futter-Schälchen kriegte: Ulrich Wohlfarth vermutet, dass der alte Metallnapf Nickel enthielt, die Katze reagierte allergisch darauf.
Auch angefahrene Tiere sind ab und an zu versorgen. Ein Dachs war nicht allzu schwer verletzt und hatte die Narkose offenbar gut vertragen. Sie packten ihn in die Kiste, als er bereits hellwach war. Gerade noch konnten sie den Deckel schließen: "Der hätte uns sonst die Praxis zerlegt ..."