Da staunte Cetin Inci nicht schlecht: Die beiden zehnjährigen Sandhäuser Mädchen Anne (l.) und Hannah sammelten im Ort für den Corona-gebeutelten Schuhmacher 107 Euro. Foto: Alex
Von Lukas Werthenbach
Sandhausen. "Eigentlich bin ich ja ein harter Hund", sagt Schuhmacher Cetin Inci, "aber da kamen mir echt die Tränen." Er meint den Moment, als zwei zehnjährige Mädchen bei ihm auftauchten, um ihm eine Spende zu überreichen: 107 Euro hatten Anne und Hannah im Ort gesammelt, um dem plötzlich existenzbedrohten 57-Jährigen zu helfen. Sie hatten erfahren, dass auch Inci seinen Laden für Schuh- und Lederreparaturen samt Schlüsselnotdienst Mitte März aufgrund der Corona-Verordnungen schließen musste. Dabei sah er im Gegensatz zu anderen Schuhmachern in der Region keine Möglichkeit, in der Zeit des "Lockdowns" seine Dienste zumindest eingeschränkt weiterhin anzubieten.
"Meine Mutter hat das mitbekommen und zu Hause davon erzählt", berichtet die zehnjährige Anne. "Wir wollten ihm helfen, wussten aber erst noch nicht wie." Dann habe sie die Idee gehabt, einfach mal auf Sammeltour zu gehen. "Hannah ist meine beste Freundin, wir telefonieren jeden Tag", erzählt Anne. Und sie sei sofort dabei gewesen. Die beiden Sandhäuser Mädchen gehen in die fünfte Klasse des Friedrich-Ebert-Gymnasiums und hatten in den vergangenen Wochen aufgrund der Schulschließung mehr Zeit. "Wir haben bei Nachbarn, Freunden und Bekannten geklingelt und erzählt, wofür wir sammeln", berichtet die Zehnjährige. Und so kamen 107 Euro zusammen, die sie letztlich dem total verblüfften Schuhmacher übergaben. "Da wurde mir richtig warm ums Herz. Ehrlich, mir haben die Worte gefehlt", berichtet Inci.
Im Gespräch mit der RNZ betont der 57-Jährige mehrmals, dass er der Gemeinde keine Vorwürfe machen wolle. "Ich bin seit 25 Jahren hier im Ort und verstehe mich gut mit den Leuten und der Verwaltung." Dennoch habe es ihn etwas "geärgert", wie "rigoros" das Ordnungsamt im März die vorübergehende Schließung seines Ladens durchgesetzt habe. "Ich hatte keine Chance, eine Alternative anzubieten", sagt Inci. Er wisse von anderen Schuhmachereien in der Region, die offen blieben. "Ich hätte ja auch die Schuhe durch ein Fenster geben oder einen Tisch draußen hinstellen können", meint er.
Tatsächlich berichten auf Anfrage etwa Kai-Uwe Kalischko und Annette Hettinger, dass sie ihre Schuhmachereien in Leimen und Eppelheim durchgehend hätten öffnen dürfen. Dies sei aber auch damit zu erklären, dass beide orthopädische Arbeiten anbieten – was Inci nicht tut. Dennoch hätte auch er laut "Auslegungshinweisen zur Corona-Verordnung" des Landes weiter öffnen dürfen, weil er Schuh- und Schlüsselreparaturen anbietet.
Der Sandhäuser Ordnungsamtsleiter Peter Schmitt erklärt auf Nachfrage, dass die Landesregierung diese Auslegungshinweise erst einige Tage nach der Schließung geliefert habe. "Wir haben von Anfang an alle Gewerbetreibenden gebeten, sich stets über die Nachrichten zu informieren und unsere Hilfe für Rückfragen angeboten", so Schmitt. Schließlich seien insbesondere im März ständig neue Verordnungen zu beachten gewesen. Und es liege ja auch im Interesse der Gemeinde, dass jeder Gewerbetreibende "gut durch diese Phase" komme. So habe die Verwaltung neben den aktuellen Informationen auf der eigenen Internetseite auch eine Telefonnummer zur Verfügung gestellt, die jeder anrufen konnte. Inci habe es nach eigenen Worten dort "mindestens fünfmal" versucht – allerdings sei immer entweder besetzt gewesen, oder niemand habe abgenommen.
Doch nun will der Schuhmacher "nach vorne schauen", was nicht einfach sei, denn sein Geschäft laufe seit der Wiederöffnung schlecht: Viele würden zurzeit eher auf eine Schuhreparatur verzichten, stellt Inci fest. "Meine Schulden wachsen." Zum Glück arbeite auch seine Ehefrau: Sie betreibt einen Friseursalon in Nußloch – bei ihr hingegen herrsche seit der Öffnung Anfang Mai Hochbetrieb.