Eintragungen im Kirchenbuch. Foto: Karl Heinz Neser
Von Noemi Girgla
Neckar-Odenwald-Kreis.Pandemien gab es schon immer. Auch im Neckar-Odenwald-Kreis. Die bekannteste ist wohl die sogenannte "Spanische Grippe", deren Ursprung eigentlich in Kansas/USA lag. Zwischen 1918 und 1920 verbreitete sie sich in drei großen Wellen. Während der Neckar-Odenwald-Kreis von der ersten Welle in Frühjahr 1918 weitestgehend verschont blieb, traf es ihn im Spätherbst desselben Jahres um so heftiger. Im Mosbacher Jahresheft von 2018 befasste sich bereits Karl Heinz Neser mit der Spanischen Grippe: "Wie eine Auswertung des Sterberegisters der Stadt Mosbach für die Jahre 1916 bis 1919 (siehe Fotoauszug) ergab, lag im Oktober 1918 die Zahl der Todesfälle mit 30 deutlich über dem Durchschnitt der anderen Oktoberwerte von elf (...)".
Wie viele Menschen der Spanischen Grippe im Kreis wirklich zum Opfer fielen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. "Die bekannten Zahlen sind Schätzungen", erläutert Prof. Dr. Karen Nolte, die das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Heidelberg leitet. "Es bestand damals keine Meldepflicht." Ein vager Überblick lässt sich jedoch durch die Kirchenbücher der damaligen Zeit gewinnen, in denen die Pastoren die Todesursache vermerkten. Diese haben der Haßmersheimer Hobbygenealogen und Heimatforscher Fritz Müßig und ein Team des VHS-Arbeitskreises Genealogie und Heraldik Mosbach ausgewertet.
Bei ihren (noch nicht abgeschlossenen) Nachforschungen stießen die Hobbyforscher auf 352 Todesfälle, die im Zusammenhang mit der Spanischen Grippe auffallen. Wie wichtig ihre Arbeit ist, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie stark der Kreis von der Pandemie betroffen war, zeigt sich darin, dass weder dem Generallandesarchiv in Karlsruhe, noch dem Statistischen Landesarchiv die damaligen Fallzahlen vorliegen. Aus der Pressestelle des Statistischen Archivs erfuhr die RNZ: "Kreisergebnisse/Gemeindeergebnisse müssten in den monatlichen statistischen Berichten des Großherzogtums Badens vorliegen, diese sind unseres Wissens nach im Zweiten Weltkrieg in Karlsruhe alle verbrannt."
Doch wie kam die Pandemie von der Front des Ersten Weltkrieges in den Neckar-Odenwald-Kreis? Aufschluss hierüber gibt möglicherweise ein tragischer Fall aus Fahrenbach. Das kleine Dorf im Odenwald mit damals gerade rund 600 Einwohnern war laut Aufzeichnungen der Kirchenbücher 1918/19 besonders stark betroffen – 17 Personen starben.
Während seines Heimaturlaubs erkrankte der Militärkrankenwärter Wilhelm Riedinger in Folge der Spanischen Grippe an einer Lungenentzündung. Innerhalb weniger Stunden verstarben er, seine Frau und seine Schwiegermutter am 14./15. Oktober 1918. Als am 24. Oktober in der "Badischen Neckarzeitung" über den Fall berichtet wurde, hieß es: "Die beiden Kinder von sechs und elf Jahren und der alte Vater Peter Balschbach liegen jetzt noch darnieder." Peter Balschbach überlebte die Infektion. Was aus den beiden Töchtern wurde, ist ungewiss. Da ihre Namen in dem Kirchenbuch jedoch zeitnah nicht mehr auftauchen, ist davon auszugehen, dass auch sie die Krankheit überstanden. Wilhelm Riedinger und seine Frau wurden nur 37 bzw. 34 Jahre alt.
Charakteristisch für die Spanische Grippe war, dass ihr vornehmlich jüngere Menschen erlagen. Weshalb ist bis heute nicht final geklärt. "Eine Möglichkeit wäre", merkt Karen Nolte an, "dass die Älteren sich schon Jahre zuvor mit einem ähnlichen Erreger infiziert hatten und vielleicht eine Immunität entwickelt hatten." Schon 1889/90 hatte es eine Influenza-Welle gegeben. "Des Weiteren muss aber auch festgehalten werden", so Nolte, "dass es mit dem allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung damals nicht zum Besten stand. In Folge des Ersten Weltkriegs herrschte eine massive Mangelversorgung mit Nahrungsmitteln und durch eine Vielzahl von Erregern war das Immunsystem der meisten vermutlich bereits angegriffen."
Die Ergebnisse der Ahnenforscher belegen auch, dass die Gemeinden sehr unterschiedlich von der Pandemie betroffen waren. Nach derzeitigem Kenntnisstand waren besonders Neunkirchen, Haßmersheim, Mosbach, Neckarelz, Fahrenbach, Lohrbach, Limbach und Mudau betroffen. Hingegen ergaben die Nachforschungen in Kleineicholzheim, Auerbach und Neckarburken bislang keine Toten durch die Grippe.
"Auffällig waren aber auch noch zwei weitere Aspekte", fasst Fritz Müßig zusammen: "Zum einen war eine besonders hohe Kindersterblichkeitsrate im Zeitraum der Spanischen Grippe festzustellen, zum anderen ist bemerkenswert, dass die Gemeinden im Odenwald wesentlich früher von der Spanischen Grippe betroffen gewesen zu sein scheinen. In den Neckargemeinden sind in der ,Hochzeit’ der Spanischen Grippe weniger Todesfälle vermerkt, dafür scheint sich der Zeitraum, in dem Menschen an ihr erkrankten, aber bis weit in die 1920er-Jahre hineinzuziehen."
Interessant ist, dass die Empfehlungen der Mediziner, wie der Krankheit entgegenzuwirken sei, sich in den letzten 102 Jahren kaum verändert haben. "Durch die aufkommende Bakteriologie waren die Übertragungswege bekannt geworden", erläutert Nolte. "Auch damals trugen viele Menschen Masken, es wurde zum regelmäßigen Händewaschen und allgemein zur Hygiene geraten." Akut Erkrankten habe man versucht, mit Eisbädern, Umschlägen und Aderlass Linderung zu verschaffen. "Als Hauptbehandlung ist damals wie heute die Pflege zu benennen", konstatiert Nolte. Geändert hat sich zum Glück, dass dieser heute noch ganz andere Mittel zur Verfügung stehen.