Von Ursula Brinkmann
Binau. Sie ist die zweitkleinste Landkreisgemeinde, wird dafür an drei Seiten vom Neckar umflossen. Aktuell leben rund 1420 Menschen hier, im vergangenen Jahr wurde der 1250. Geburtstag gefeiert. Im kleinen Binau gibt es eine Grundschule, einen Kindergarten, ein Pflegeheim, es gibt Schloss, Burg, Kirche, S-Bahn- und Neckarsteig-Anschuss und – es gibt ein Rathaus. René Friedrich wurde Anfang 2018 zum Bürgermeister gewählt, als Nachfolger von Peter Keller. Davor war Friedrich sieben Jahre lang Kämmerer in seinem Heimatort. Den Job macht seit zwei Jahren Bernd Schindler, als Quereinsteiger. Die RNZ hat sich mit beiden zur "Rathausrunde" getroffen. Mit Bürgermeister Friedrich als "Gesicht" der Verwaltung und mit Kämmerer Schindler als dessen "rechte Hand". Beide, das betonen sie im Gespräch immer wieder, verstehen sich als Teile eines Ganzen.
Um im Bild mit den Körperteilen zu bleiben, Herr Friedrich: Sie alle arbeiten hier Hand in Hand, aber den Kopf muss im Zweifelsfall der Bürgermeister hinhalten, oder?
Friedrich: So ist es. Bürgermeister (und damit Verantwortlicher) bin ich. Als Kämmerer ist Herr Schindler einer von vier "ganz normalen" Mitarbeitern im Rathaus, aber für mich – wegen seiner Lebenserfahrung und einem etwas anderen Blick auf die Dinge – ein wichtiger Berater.
Herr Schindler, Sie haben kein Problem damit, hinter dem 20 Jahre jüngeren Chef ein bisschen in der zweiten Reihe zu stehen?
Kämmerer Bernd Schindler (l.) und Bürgermeister René Friedrich sind ein eingespieltes Team.Schindler: Keineswegs. In einem kleinen Team gibt es ja so gut wie keine zweite Reihe! Wir lernen voneinander, wir tauschen uns aus. Im Team hat immer irgendeiner eine gute Idee. Die Wege sind kurz, das ist ein großer Vorteil einer kleinen Verwaltung. Und es ist befruchtend, nicht nur für uns beide. Und was Herrn Friedrichs Alter betrifft: Der hat ein Elefantengedächtnis.
Friedrich: An einem Thema sind oft mehrere Köpfe beteiligt. Das macht die Angelegenheiten interessant und beschleunigt ihre Erledigung.
Schindler: Und ich habe mich ja bewusst nur um den Posten als Kämmerer beworben, da ist es völlig klar, dass es jemanden gibt, der über mir das Sagen hat. So wollte ich das ja. Von daher: alles gut! Wir sind ein super Team mit einem tollen Chef!
Trotzdem hat sich das Personalkarussell in Ihrer Amtszeit, Herr Friedrich, geradezu rasant gedreht. Sieben Stellen wurden neu besetzt …
Friedrich: … mit denen aber nun alle Aufgabengebiete gut und passend abgedeckt sind. Zuschnitt und Zuständigkeiten haben ein neues Gesicht bekommen. Das gilt es jetzt zu leben. Die Rädchen müssen wieder ineinander greifen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und dieses Konstrukt funktioniert nur so lange, wie alle da sind. Wenn ein Rädchen ausfällt, wird’s schwierig. Unsere Homepage etwa, die schon lange (auch im Gemeinderat) angemahnt wird, harrt noch immer ihrer Neugestaltung, da die Mitarbeiterin, die damit betraut war, schwanger wurde und wegen Corona von jetzt auf gleich zuhausebleiben musste. Die Umsetzung muss nun von neuen Leuten erledigt werden, an die es ja noch andere Anforderungen gibt. An solch kleinen Beispielen sieht man, dass wir nicht überbesetzt sind ...
In den beiden letzten Gemeinderatssitzungen wurde ausgiebig über das Thema Kinderbetreuung gesprochen. Mit einer Containerlösung kann für einen Zeitraum von zwei Jahren die Nachfrage gedeckt werden. Und dann?
Friedrich: Wohin die Reise geht, wissen wir noch nicht. Ein Neu- oder Anbau plus Sanierung der bestehenden Gebäude wird richtig teuer und das nicht nur, was die Investitionen angeht. Wir denken über verschiedene Lösungswege nach. Fakt ist aber auch, dass nach zwei sehr geburtenstarken Jahren mit 20 und mehr Geburten 2020 bisher erst ein Neugeborenes in Binau gemeldet wurde. In den Jahren vor 2018 waren es jeweils im Schnitt etwa zehn Kinder pro Jahr, die in den letzten rund 40 Jahren alle gut im bestehenden Kindergarten untergebracht werden konnten. Vielleicht wacht ja unser Gesetzgeber mal auf, was die immer abstruseren Voraussetzungen und Normen angeht. Träumen darf man ja.
Binau als Wohngemeinde (für junge Familien) ist attraktiv. Mit dem Baugebiet Heldenäcker sind fast 60 Bauplätze ab 2003 entstanden, die fast alle bebaut sind.
Schindler: Wir würden gern dafür sorgen, dass auch die noch unbebauten Grundstücke bebaut werden, denn die Nachfrage ist da, und im Ort gibt es allenfalls einige wenige Baulücken, die mit Leben gefüllt werde könnten.
Friedrich: Nur auf ganz wenigen davon lastet ein Bauzwang. Wir werden prüfen müssen, wie wir diesen durchsetzen können. Aber das wird nicht einfach. Unsere schöne Lage ist Segen und Fluch zugleich. Umgeben von Naturschutzgebieten und "Urwald" haben wir fast keine Möglichkeiten mehr, ansonsten weitere Bauplätze zu erschließen. Einzig unterhalb der Bodenweinberge in Binau-Siedlung sehen wir Möglichkeiten für dreizehn Plätzchen. Ich selbst wohne ja in Lohrbach, weil ich in Binau nicht fündig wurde …
Wird vom Bürgermeister nicht erwartet, dass er in "seiner" Gemeinde lebt?
Friedrich: Es kommt nicht darauf an, wo mein Bett steht, sondern wo mein Herz ist. Und das schlägt für Binau. Hier bin ich verankert.
So verankert, dass Sie Ihren Blick nicht unbedingt über den ganz großen Tellerrand schweifen lassen müssen und sich im Netzwerk Junge Bürgermeister umtun, in dem Ihr Kollege Salomo ja eifrig engagiert ist?
Friedrich: So sehr ich mich über das Kompliment freue, ganz jung bin ich nicht mit 39 Jahren. Beide Kollegen in unserem Gemeindeverwaltungsverband, Norman Link in Neckargerach und Markus Haas in Waldbrunn, sind jünger als ich. Aber in der Tat hilft es mir mehr, wenn ich mich mit Kollegen aus dem Neckar-Odenwald-Kreis austausche. Gern mit denen, die noch mehr Erfahrung haben als ich. Die Älteren wissen, wie der Hase läuft. Deshalb komme ich ja mit Bernd Schindler so gut aus.
Schindler: Zudem ist es doch so, dass unser Gestaltungs- und Handlungsspielraum ziemlich begrenzt ist. 90 Prozent der Ausgaben sind fremdbestimmt.
Friedrich: Und viele der Aufgaben auch ...
Der Bau des neuen Feuerwehrgerätehauses geht auch aufs Konto "Fremdbestimmung".
Friedrich: Sozusagen. Der Weiterbetrieb am alten Standort war nicht mehr zulässig. Das Gerätehaus hatte keinen geltenden Normen und Vorschriften mehr entsprochen. Alleine der Weg der Einsatzkräfte und -fahrzeuge über den Pausenhof unserer Grundschule ginge heute gar nicht mehr. Da wurde (noch vor meinem Amtsantritt als Bürgermeister) diese Gelegenheit genutzt, das Rathaus nach etwa fünf Jahrzehnten ein wenig auf Vordermann zu bringen. Insgesamt eine 1,7 Mio. Euro schwere Maßnahme.
Das mit dem Vordermann ist ja nicht so ganz gelungen …
Schindler: Wir sind noch immer hier und da mit Nachträgen und dem Feinschliff beschäftigt. In der praktischen Durchführung der Arbeiten hat es an manchen Stellen gehakt. Aber für die Beseitigung von Baumängeln sind wir eigentlich nicht da.
Friedrich: Auf Vordermann ist es grundsätzlich schon gebracht. Geplant war halt ein barrierefreies Rathaus, und dann ließ sich zum Beispiel (zunächst) die schwere Haupteingangstür ohne elektrische Öffnung von Hand kaum öffnen, schon gar nicht von einem Besucher, der im Rollstuhl kommt. Heute haben wir (dank Corona) endlich die neue Klingelanlage in Betrieb, können damit aber aus der Ferne überhaupt nicht die Tür öffnen. Dafür müssen wir nun noch nachträglich Leitungen verlegen – auf Putz! Im Gegenzug dazu piepst unsere Klospülung plötzlich wie ein Brandmelder, weil sie ein Firmware-Update braucht. (lacht) Wer bitte rechnet denn mit so was? An einem Besucherleitsystem mangelt es noch heute. So ist das in einer kleinen Verwaltung. Viele Aufgaben fallen uns quasi vor die Füße, und was wir eigentlich machen woll(t)en, wie zum Beispiel die neue Homepage, das muss mitunter etwas warten.
Klingt mehr nach Schwarzbrot als nach Obstkuchen mit Sahne …
Friedrich: Obst hat in unserem Dorf einen schönen Klang und eine lange Tradition, die sich mit dem Apfelgarten und erst neulich gepflanzten regionaltypischen Bäumchen auf der Binauer Höhe sowie mehr als 130 in Binauer Privatgärten fortsetzt. Aber ja, mehr Schwarzbrot – ohne Butter und Käse drauf. Aber das weiß ich und übe den Beruf trotzdem mit Freude aus. Man muss sich darauf einlassen. Für Kaffeekränzchen mit Obstkuchen werden wir schließlich nicht gewählt und nicht bezahlt.
Schindler: Ich hadere nicht mit meinem Job, wünsche mir aber, dass manchmal mehr gesehen werden könnte, was geleistet wird und dass ein nicht so hohes Anspruchsdenken herrscht. Wir können’s leider nicht allen recht machen.
Und zu all dem kam dann Corona …
Schindler: Das hatte ja niemand auf dem Schirm.
Friedrich: Wir haben einen zweiköpfigen Krisenstab gebildet, immerhin fast 50 Prozent unserer Rathausmannschaft. Dann wurde unsere schwangere Bürgerbüro-Mitarbeiterin zu einer Risikoperson erklärt und zu sofortigem Homeoffice verdonnert. Seitdem und bis heute bin ich der Krisenstab. Für unsere Bürger habe ich mehrere Info-Broschüren selbst geschrieben, gestaltet, 600 Mal kopiert und gefaltet. Das Austeilen haben dann zum Glück Mitglieder der Feuerwehr übernommen. Ansonsten haben wir hier im Rathaus Schicht gemacht, ab Mitte April waren morgens die "Lerchen" da und ab mittags die "Eulen". Ich bin eine "Eule".
Schindler: Und ich eine "Lerche".
Friedrich: Das oberstes Prinzip lautet(e): Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs. Es gilt mit und ohne Corona. Als "systemrelevante Infrastruktur" können wir nicht einfach mal zuschließen und alle Mitarbeiter für zwei Wochen in Quarantäne schicken. Leider wird das bei allen (vertretbaren) Komforteinbußen manchmal vergessen.
Bleibt zu hoffen, dass es künftig keine zweite Welle geben wird. Apropos Zukunft: Wie sehen denn die Zukunfts-Pläne der Gemeinde Binau aus?
Friedrich: Alle Pläne für dieses Jahr sind über den Haufen geworfen worden. Wir müssen aktuell erst sehen, wohin uns die Pandemie noch bringt. Davon abgesehen gibt es viele Pläne und Ideen im Rathaus und im Gemeinderat, die wir verwirklichen möchten. Es steckt viel Potenzial in Binau. Ob wir unsere Projektwünsche umsetzen können, ist angesichts einer ungeklärten Fördermittel-Situation ungewiss. Alleine für Kindergarten und Wasserversorgung werden wir in den nächsten Jahren zwischen sechs und acht Mio. Euro investieren müssen. Um es mit John Lennon zu sagen: "Leben ist das, was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen." Da bin ich sehr froh, einen Gemeinderat hinter mir zu haben, der sich seiner Verantwortung bewusst ist.
Schindler: Durchs neue Haushaltsrecht war es schon ohne Corona schwierig, ausgeglichene, leistungsstarke Haushalte aufzustellen, oder gar Raum für Investitionen zu schaffen. Wir als Wohngemeinde und nicht als Wirtschaftsstandort hängen am Tropf des Landes mit Zuweisungen und Zuschüssen. Auch die Kommunalaufsicht prüft genau, ob wir nicht über unsere Verhältnisse leben.
Friedrich: Es geht aber auch auf Plattdeutsch: Wat mutt, dat mutt! Der Rest ist Sahne.