Von Peter Lahr
Neunkirchen. Sie liegt nur unweit des Neckars zwischen Lindach und Eberbach, doch schützen große Bäume die Burgruine Stolzeneck vor Blicken aus dem Flusstal. Wer sich der Anlage nähert, ist sofort fasziniert von der steil aufragenden Schildmauer: Mehr als 20 Meter hoch, fast drei Meter stark und rund 26 Meter lang ist diese Mauer, die zum ansteigenden Berg hin vor Feindbeschuss schützen sollte. Davor haben die Erbauer einen tiefen Halsgraben in den Stein gehauen, der zugleich das Baumaterial lieferte.
In Kooperation mit der Gemeinde Neunkirchen und dem Verein "Burglandschaft" untersuchte der Kirchhausener Burgenforscher Nicolai Knauer die Stolzeneck zentimetergenau und veröffentlichte seine Erkenntnisse in einem Burgenführer. Maßstabsgerechte Modelle von Erwin Merz im Neunkirchener Heimatmuseum bildeten die Grundlage für die virtuellen Modelle auf der Webseite der "Burglandschaft".
Burg Stolzeneck Neunkirchen - die FotogalerieWeshalb es auch bei einer seit Jahrhunderten verlassenen Burgruine einen Neustart geben kann, erläutert Frank Berkenhoff, der neue Leiter des Heilbronner Amts Vermögen und Bau. Denn wegen akuter Steinschlaggefahr ist der Innenhof der Stolzeneck (wie auch die Minneburg) derzeit gesperrt. Beide Anlagen sollen in den nächsten Jahren "ertüchtigt" werden. Spätestens bei den Finanzen landen wir bei den drei Herren der Stolzeneck. Diese liegt zwar auf der Gemarkung der Gemeinde Neunkirchen, befindet sich aber im Grundeigentum des staatlichen Forstamts Schwarzach. Für Renovierung und Sicherung ist jedoch die Hochbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg zuständig.
Nicolai Knauer ist Grafiker, hat aber seine Passion fürs Mittelalter ausgebaut und vertieft. Für den Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald arbeitete er am Infozentrum in Neckarsteinach und listete dort die rund 100 Burgen des Odenwalds auf; zusammen mit dem Burgen-Experten Thomas Steinmetz. Als dann Jürgen Jung von der "Burglandschaft" auf der Suche nach Kennern der Neckarburgen war, bot sich die Kooperation an. Beim ersten Treffen wollten es die beiden nicht bei Infotafeln oder Flyern belassen: "Wir könnten doch weitergehen und einen Burgenführer konzipieren."
Zunächst trug Knauer die gesamte Literatur für die Stolzeneck zusammen. Gemeinsam mit dem Wieslocher Geologen und Archäologen Dr. Ludwig Hildenbrandt machte sich der Bauforscher auf die Suche. Im Internet und in den Landesarchiven fanden sich zahlreiche Urkunden. Nach Sagen forschte Knauer ebenso wie nach Sekundärliteratur. Zu den ältesten Werken zählt die 1786 erschienene "Beschreibung der Kurpfalz", des Topografen und Historikers Johann Goswin Widder. "Wir gucken alles durch, was schon mal jemand gesagt und geschrieben hat, aber wir bilden uns dann auch unser eigenes Bild, ausgehend von den alten Quellen", so Knauer. Auch Berichte des ehemaligen Eberbacher Archivleiters Dr. Rüdiger Lenz und Beiträge aus dem RNZ-Heimatkalender "Unser Land" landeten in Knauers Ordnern.
Im Gelände konnte Knauer einige Lesefunde vor Ort entdecken: Keine Scherbe datiere auf die Zeit vor 1200. "Das aufgehende Mauerwerk ist mein Spezialgebiet", berichtet Knauer. Bestehende Pläne gleicht er im Detail mit dem Jetzt-Zustand ab. Wo nötig, vermisst er selbst.
Vor Ort fotografierte der Bauforscher die gesamte Anlage. Rund 500 Aufnahmen sortierte er dann zu Hause nach einem besonderen System ein. Im Zuge seiner Vermessungen trug er auch alte Pläne zusammen. Er erkannte dabei, dass viele Forscher des 19. Jahrhunderts keinen Wert auf maßstabsgerechte Pläne legten. Die Kernburg der Stolzeneck hat das Staatliche Hochbauamt Heidelberg bereits vermessen; leider nicht die Vorburg. Ein wichtiges Hilfsmittel ist für Knauer das Geoportal des Landes. Die dort gezeigten Lasermessungen tasten die Erdoberfläche gewissermaßen ab und zeigen so die Geländestruktur ohne die Vegetation.
So lässt sich nicht nur der Halsgraben zwischen der Schildmauer und dem ansteigenden Waldhang gut erkennen. Knauer betrachtet die gesamte Geländestruktur rund um die Burg ganz genau, denn er hat eine wichtige Frage: Wo könnten Feinde Platz für eine Belagerung mit Wurfgeschossen gefunden haben? Denn nach 1200 kamen immer häufiger sogenannte "Bliden" zum Einsatz. Es handelte sich dabei um eine Art Katapult, das Kugeln von zum Teil über 100 Kilogramm zielgenau bis zu 300 Meter schleudern konnte. Und genau so eine Blidenkugel von der Stolzeneck hat Knauer im Schwarzacher Forststützpunkt ausfindig gemacht.
Mit dem Einsatz der Wurfmaschinen boten die Bergfriede keinen Schutz mehr. Man versuchte in der Folgezeit, die Anlage stattdessen mit einer hohen Schildmauer zu schützen. Dass auf die Stolzeneck (mindestens) eine Blidenkugel donnerte, passt gut zu den Berichten über König Albrecht. Der wollte sich nämlich am Pfälzer Kurfürst dafür rächen, dass dieser ihn nicht bei der Königswahl unterstützte und beschoss daher dessen Burgen. Ins Bild passt auch, dass die Stolzeneck um das Jahr 1300 für einige Zeit aus der Urkundenlandschaft verschwindet. Es spricht also einiges dafür, dass es eine Ur-Stolzeneck mit Bergfried gab, die nach dem Blidenbeschuss wieder neu errichtet wurde – dieser alte Baukern ist bis heute sichtbar. Für die Theorie sprechen auch einige ältere Mauerstrukturen unter den jetzigen Mauern, deren Funktion man allerdings nur durch gezielte Nachgrabungen genauer bestimmen könnte. Nach der Zerstörung, so vermutet Knauer, baute man die Burg mit einer Schildmauer wieder auf – und war so immerhin bis zur Erfindung der Büchsen um 1400 halbwegs sicher.
Leider gibt es keine schriftlichen Quellen aus der Gründungszeit der Stolzeneck. Aber nicht zuletzt der Fund von wiederverwendeten Quadersteinen mit sogenannten "Wolfslöchern", lässt die Burg auf die Zeit um 1200 datieren. Ein Rittergeschlecht "von Stolzinecke" wird erstmals 1268 genannt. Ursprünglich als staufische "Reichsburg" angelegt, kaufte sie der Pfälzer Kurfürst bereits 1283. Im 16. Jahrhundert wurde die Stolzeneck vermutlich im Verlauf des bayerisch-pfälzischen Erbfolgekriegs zerstört. Nachdem mit den Freiherren zu Frauenberg die letzten Lehensträger ausstarben, beschloss die Kurpfalz den Abriss. Entsprechende Unterlagen über die geplanten Abrissarbeiten kennt Nicolai Knauer – und schüttelt den Kopf ob der bereits damals beachtlichen Bürokratie. Immerhin zeigen die historischen Bestandslisten der Immobilie, dass die letzten Herren der Burg eher bescheiden lebten, was sicher am eher überschaubaren Grundbesitz liegt: Lediglich die Weiler Rockenau und Krösselbach sowie ein Teil von Schwanheim gehörten dazu.
Einen guten Eindruck von einst und jetzt bieten die Burgmodelle, die Erwin Merz vor rund zehn Jahren im Maßstab 1:100 anfertigte. Auch er recherchierte zuvor ausführlich und dokumentiert die Anlage mithilfe von 300 Digitalaufnahmen. "Normalerweise gehen wir mit den Grundschulkindern zuerst in unser Burgenzimmer und wandern dann zu der Anlage", erklären Adam Frey und Joachim Winkler vom Neunkirchener "Heimat- und Museumsverein", wie die Modelle zum Einsatz kommen.
"Wir stehen ganz am Anfang", sagt Frank Berkenhoff. Nachdem Steine aus der Mauerkrone heruntergefallen seien, gehe es nun um eine grundlegende Maßnahme. Deshalb habe man die Burgruine bereits ordentlich vermessen. In den nächsten Monaten soll eine Schadenskartierung folgen. Diese liefere dann die Grundlagen für einen Sanierungsmasterplan. "Wir nehmen uns die nötige Zeit", beantwortet Berkenhoff die Frage nach dem zu erwartenden Zeitrahmen. Doch beim Stichwort "Finanzen" vermutet er bereits heute: "Unter einer Million Euro wird nichts zu machen sein." Ob eine Sanierung dann "en bloc" oder in Teilschritten erfolgen könne, das entscheide letztlich Stuttgart. Aber vielleicht könne man auch schon Teilbereiche der Anlage nach kleineren Maßnahmen wiedereröffnen ...
Info: Der Burgenführer kann bei der Gemeinde Neunkirchen und beim Verein Burglandschaft für fünf Euro erworben werden. Kontakt: post@neunkirchen-baden.de. Heimat- und Museumsverein Neunkirchen, Telefon 0 62 62 / 9 26 22 50.