Mit den bremsenden Kupferkabeln auf der sogenannten letzten Meile soll im Neckar-Odenwald-Kreis bald Schluss sein: Das Unternehmen Breitbandversorgung Rhein-Neckar GmbH (BBV) will (fast) alle Haushalte im Landkreis mit Glasfaserleitungen bis zum Gebäude an das Hochgeschwindigkeitsinternet anschließen. Foto: getty images
Neckar-Odenwald-Kreis. (jam) "Welchen unschätzbaren Wert eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur hat, erleben wir zurzeit am eigenen Leib." Laut Roland Burger, der am Mittwoch die Kreistagssitzung in Walldürn leitete, sind es vor allem die "digitalen Brücken", die die Menschen während der Pandemie verbinden. Daher bezeichnete er es als "historische Chance", dass das Unternehmen Breitbandversorgung Deutschland (BBV) nun allen Haushalten im Landkreis einen Glasfaseranschluss bis ins Gebäude ermöglichen möchte. Und das Beste: In den flächendeckenden Glasfaserausbau "müssen wir keinen einzigen Euro investieren", so Burger.
Das wirtschaftliche Risiko für das auf 110 Mio. Euro veranschlagte Projekt trägt die BBV – allerdings nur unter der Bedingung, dass in einer Vorvermarktungsphase ausreichend Hauseigentümer und Unternehmen einen Vorvertrag abschließen. Nach aktuellen Berechnungen müssen rund 35 bis 37 Prozent der Haushalte und Gewerbebetriebe einen solchen Vorvertrag abschließen, damit die BBV das Glasfasernetz wirtschaftlich betreiben kann. Diese Mindestquote könnte aber noch um bis zu ein Drittel sinken, so die Prognose von BBV-Ausbauleiter Marcus Böker. Die Zahl der benötigten Vorverträge ist unter anderem abhängig davon, ob das Unternehmen bereits auf Leerrohre zurückgreifen kann, um ihre Glasfaserkabel zu verlegen.
Bis 2024 will die BBV das Hochgeschwindigkeitsinternet im gesamten Landkreis ausgebaut haben. In einzelnen Kommunen könnte es jedoch deutlich schneller vorangehen. "Gemeinden, die ihr Vermarktungsziel früher erreichen, belohnen wir mit einem früheren Baubeginn", sagt Böker. Ganz nach dem Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" soll es dann aber doch nicht ablaufen. Der Startschuss für das Glasfasernetz fällt aller Voraussicht nach in Aglasterhausen und Buchen. "Dort können wir möglicherweise noch in diesem Jahr mit dem Bau beginnen", teilte der BBV-Ausbauleiter den Kreisräten mit.
"Wir müssen außer Zeit und Energie nichts investieren, damit wir die Quoten erfüllen", fasst Roland Burger zusammen. Die Städte und Gemeinden müssten nun Überzeugungsarbeit leisten. Die BBV selbst geht mit ihrer Marke "toni" auf Kundenfang, schickt ein Infomobil in jede Gemeinde, öffnet Shops in Aglasterhausen, Buchen und Mosbach, nutzt die Stadtwerke als lokale Partner und bietet auf digitalem Weg jede Menge Informationsmaterial.
Bei der Akquise setzt BBV vor allem auf den Gratisanschluss bis ins Haus, der all jenen zugesagt wird, die in der Vorvermarktungsphase unterschreiben. Wer seinen Vertrag während der Bauphase abschließt, zahlt 400 Euro; wer nachträglich aufspringt, muss für den Hausanschluss 1200 Euro in die Hand nehmen. Für Freischaltung, Anschlussgerät und interne Leitungsverlegung muss jeder Haushalt mit Kosten von 100 bis etwa 400 Euro rechnen. Die Monatstarife bewegen sich für Privatkunden zwischen 40 Euro für eine garantierte Bandbreite von 100 MBit/s und 200 Euro für 1 GBit/s. Telefonie und HD-Fernsehen können Kunden gegen Aufpreis buchen.
Die 100-MBit-Tarife inklusive Telefonie kosten bei Telekom und BBV gleichviel (45 Euro), die Telekom setzt allerdings weiterhin auf ihre veraltete DSL-Vectoring-Technologie mit Kupferkabeln ab dem Verteilerkasten. Die Telekom hatte 2016 und 2017 rund 90 Prozent aller Gewerbebetriebe und Haushalte im Kreis mit möglichen Bandbreiten zwischen 80 und 100 MBit/s versorgt. Dafür verlegte sie die Glasfaserkabel aber nur bis zu den Verteilerkästen, und der Landkreis musste sich mit 9,6 Mio. Euro an den Kosten beteiligen. Auf der letzten Meile hingegen liegt immer noch Kupfer – also Telefonkabel, die meist über 100 Jahre alt sind. Datenübertragungen im Gigabit-Bereich sind damit unmöglich.
Das mittelfristige Ziel des Landkreises, jeden einzelnen Anschluss mit einer direkten Glasfaserverbindung bis ins Gebäude hinein zu versorgen, war zunächst in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren gescheitert, an dem sich lediglich die Telekom beteiligt hatte – und zwar mit einem Teilangebot, das für den Landkreis deutlich zu teuer war. "Mit dem Angebot der BBV haben wir nun die Chance, den bisherigen Weg des kooperativen Ausbaus, der ins Stocken geraten ist, zu verlassen", freut sich Burger.
Dass der Landkreis nun für den tatsächlich flächendeckenden Anschluss ans Glasfasernetz für immerhin knapp 44.000 Gebäude noch nicht einmal einen Euro in die Hand nehmen muss, verdankt man kapitalstarken Fondsgesellschaften, die das Großprojekt finanzieren und ihr Vermögen damit in zukunftsfähige Infrastrukturmaßnahmen anlegen.
Gleichermaßen könnten nun die Bürger des Neckar-Odenwald-Kreises zukunftsfähig investieren, wie Roland Burger in seinem Fazit betonte: "Jeder Grundstücksbesitzer wird gewinnen: Ein Haus, eine Wohnung mit Glasfaseranschluss ist einfach mehr wert."
Die Fraktionssprecher des Kreistags schlossen noch während der Sitzung die ersten Vorverträge mit der Breitbandversorgung Deutschland ab. Landrat Dr. Achim Brötel war per Video aus der häuslichen Quarantäne zugeschaltet. Foto: Janek Mayer