Übersehen kann man den kahlen Stamm vor dem Mosbacher Finanzamt kaum. In seiner ursprünglichen Pracht wird die Pappel nie wieder erstrahlen. Foto: Caspar Oesterreich
Von Caspar Oesterreich
Mosbach. An ihre ursprüngliche Pracht erinnert nicht mehr viel: Die große Pappel vor dem Mosbacher Finanzamt ist ihrer Krone beraubt, und auch alle Äste hat man ihr genommen. "Wie ein Baum sieht der kahle Stamm jetzt nicht mehr aus – eher wie ein Marterpfahl für Steuersünder", witzelte kürzlich eine RNZ-Leserin im Gespräch mit der Redaktion.
Eine solch archaische Art der Bestrafung, mit der einst einige Stämme der amerikanischen Ureinwohner ihre Feinde malträtierten, werde man natürlich nicht im Odenwald einführen, verspricht Daniel Quattrucci. "Wir greifen da lieber auf rechtsstaatliche Mittel zurück, wenn jemand seinen Steuerpflichten nicht nachkommen sollte", betont der stellvertretende Leiter des Mosbacher Finanzamtes.
Aber warum dann der radikale Rückschnitt? "Solch eine drastische Maßnahme ist schon eher unüblich", sagt jedenfalls der städtische Baumkontrolleur Simon Heck. Die vielen großen Schnittwunden, die beim Absägen der zahlreichen Äste entstanden sind, seien Einfallstore für Pilze und schädliche Insekten. "Dem Baum stehen jetzt schwere Zeiten bevor", prophezeit der Fachmann. "Sofern er die Maßnahme überhaupt übersteht wird es dauern, bis sich der Baum erholt hat. In seiner alten Pracht wird er aber höchstwahrscheinlich nie wieder erstrahlen", vermutet Heck.
Also eher ein Sinnbild für die Coronapandemie und ihre Folgen? Immerhin sind Weidengewächse, zu denen die Pappel gehört, Lebensraum für viele Tiere. Ohne schützendes und nährreiches Blätterdach, ohne Landemöglichkeiten und "Sitzbänke" bleiben Schmetterlinge, Vögel, Eichhörnchen und Insekten ihrem einstigen Treffpunkt erst einmal fern. Eine krasse Maßnahme für "Social Distancing". So gesehen können wir ganz froh sein, dass Restaurants und Friseursalons nicht gleich abgerissen wurden. Trotzdem wird es noch dauern, bis auch wir Menschen uns wieder wie früher begegnen und die Hände schütteln können – sofern wir jene Form der Begrüßung dann nicht längst verlernt haben ...
Anderseits könnte der geschundene Baumstamm vor dem Finanzamt in der Pfalzgraf-Otto-Straße auch als Symbol für die geschwächte Staatskasse angesehen werden. Immerhin fielen die Steuereinnahmen im Pandemiejahr 2020 deutschlandweit um 53,5 Milliarden Euro, was laut dem Bundesfinanzministerium immerhin einem Rückgang von 7,3 Prozent im Vergleich zum ertragreichen Vorjahr entspricht. Von den finanziellen Coronafolgen bleibt auch Mosbach nicht verschont: Unterm Strich weist der Haushalt 2021 ein Negativergebnis von 1,4 Millionen Euro auf. Rund 8,5 Mio. Euro neue Schulden wird die Stadt in diesem Jahr aufnehmen müssen. Der Schuldenstand erhöht sich damit auf rund 45 Mio. Euro. Um bis 2024 unterhalb der Schuldenmarke von 50 Mio. Euro zu bleiben, werden die Ansparungen der Stadt bis auf eine "Mindestliquidität"aufgebraucht werden müssen, hieß es in der Gemeinderatssitzung im Dezember.
Man könnte hier noch viele weitere metaphorische Vergleiche rund um die Pappel spinnen, bietet ihr Aussehen und Standort doch Spielraum für allerlei "Casparei". Der wahre Grund für den Rückschnitt ist aber alles andere als außergewöhnlich: "Wegen starkem Pilzbefall und Stockfäule ist die Standsicherheit des Baumes nicht mehr gewährleistet", teilt die für die Liegenschaft verantwortliche Vermögen und Bau Baden-Württemberg mit. Anfang des Jahres sei zunächst das Astwerk entfernt worden. Der Stamm solle noch bis Ende dieser Woche fallen.