Im Neckar-Odenwald-Kreis sind 41 Prozent der Hausärzte über 60 Jahre alt. Dabei ist die ärztliche Versorgungsquote schon jetzt schlechter als im Landesdurchschnitt. Mit Stipendien und Zuschüssen wollen Landratsamt und Kassenärztliche Vereinigung Nachwuchsmediziner gewinnen sowie der Landflucht von Ärzten begegnen. Grafik: RNZ-Repro
Von Caspar Oesterreich
Neckar-Odenwald-Kreis. Ob man die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung oder die des Landratsamtes analysiert – die Diagnose fällt schlecht aus: Im Neckar-Odenwald-Kreis fehlen schon heute Ärzte. Und in den kommenden Jahren wird sich die Situation noch verschärfen. "Wir stehen vor einem großen Problem", sagt Lisa-Marie Bundschuh von der Stabsstelle Kreisentwicklung im Gespräch mit der RNZ.
Vor allem bei den Hausärzten sieht die sogenannte Versorgungsquote alles andere als gesund aus. Allein in der Umgebung der Städte Mosbach, Buchen und Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) fehlen schon jetzt 18 Allgemeinmediziner. "Und in den nächsten fünf bis zehn Jahren brauchen 33 weitere Hausarztpraxen einen Nachfolger", macht Bundschuh deutlich. "Denn 41 Prozent der Hausärzte sind bereits über 60 Jahre alt." Bei den Fachärzten sehen die Versorgungsquote und der Altersdurchschnitt zwar etwas besser aus. Aber auch hier sind im Kreis aktuell neun Planstellen nicht besetzt.
Mit diesen Quoten steht die Region selbst im Landesvergleich nicht gut da. Kommen in Baden-Württemberg im Durchschnitt 1559 Menschen auf einen Hausarzt, sind es im Neckar-Odenwald-Kreis 1773 Einwohner. Deutlich besser gestaltet sich die Versorgungsquote dagegen in Heidelberg (1428 Einwohner je Hausarzt) oder im benachbarten Main-Tauber-Kreis (1400 Einwohner je Hausarzt).
Die Ursache dafür sieht Bundschuh in einer "geringen Attraktivität des ländlichen Raums für junge Ärzte und Medizinstudenten". Viele ziehe es nach der Ausbildung in die Großstädte. "Daher gilt es, Konzepte zur Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Neckar-Odenwald-Kreis zu entwickeln und die daran beteiligten Akteure zu unterstützen", sagt die Kreisentwicklerin.
Um der Problematik entgegenzuwirken, gründete das Landratsamt gemeinsam mit dem Lehrkrankenhaus der Neckar-Odenwald-Kliniken das Netzwerk "Wir für Medizin(er)". 74 Teilnehmer hätten sich seit dem Start im Frühjahr 2020 bereits registriert, freut sich Bundschuh über das Interesse. "Ziel ist es, die Netzwerkteilnehmer durch regelmäßige Newsletter am aktuellen Geschehen im Kreis und der gesundheitlichen Versorgung zu beteiligen."
So zeige das Netzwerk etwa Möglichkeiten auf, welche Praxisanteile angehende Ärzte während ihres Medizinstudiums im Kreis ableisten können. Ferner informiere man über mögliche Anstellungs- und Niederlassungsoptionen während oder nach der Facharztweiterbildung und berate über Fördermaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Denn bis zu 120.000 Euro Zuschuss bei der Neugründung oder Übernahme einer Praxis können Ärzte im Neckar-Odenwald-Kreis von der KV bekommen, wie das Landratsamt in einer Pressemitteilung schreibt.
Ein zentrales Element auf der Internetseite des Mediziner-Netzwerkes bildet die Stellenbörse. Dort finden sich die neuesten Ausschreibungen zu Pflegepraktika, Famulatur, dem Praktischen Jahr im Medizinstudium sowie der Facharztweiterbildung im Kreis. "Hierbei soll ein enger Austausch mit Lehrpraxen im Landkreis sowie den NO-Kliniken stattfinden, um die Stellen immer aktuell zu halten", erklärt Bundschuh. Zudem werden Stellen für Ärzte in Anstellung im stationären Bereich oder Niederlassungs- und Übernahmemöglichkeiten in verschiedenen Gemeinden ausgeschrieben.
Die vielversprechendste Maßnahme, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken, bildet jedoch das Landarzt-Stipendium des Neckar-Odenwald-Kreises. Dabei werden jährlich bis zu vier Stipendiaten ausgewählt, die dann monatlich 500 Euro für eine Förderdauer von maximal vier Jahren erhalten. "Im Gegenzug verpflichten sich die Studierenden dazu, nach Erteilung der ärztlichen Approbation so lange im Landkreis tätig zu werden, wie sie das Stipendium bezogen haben, oder ihre Facharztweiterbildung hier zu absolvieren", betont Bundschuh.
Allerdings gingen für das aktuelle Wintersemester nur drei Bewerbungen ein – und nur zwei Medizinstudentinnen wurden schließlich ausgewählt. Die nächste Ausschreibung soll im Frühjahr 2021 beginnen. Dr. Christoph Ellwanger, leitender Oberarzt der Allgemeinchirurgie am Neckar-Odenwald-Klinikum und Jurymitglied bei der Vergabe des Landarzt-Stipendiums, hofft, dass sich dann mehr Medizinstudenten bewerben. "Das eigentliche Problem liegt in der deutschen Hochschulpolitik", sagt er und fordert "20 Prozent mehr Studienplätze". Nur so könne man dem bundesweiten Ärztemangel entgegenwirken.