Von Alexander Albrecht
Stuttgart/Sinsheim. Wer recht hat, muss bekanntlich nicht recht bekommen. Und wenn dem doch so ist, kann es dauern. Lange, manchmal sehr lange. Zwölfeinhalb Jahre nach dem Radunglück einer Frau in Sinsheim hat das Landessozialgericht Stuttgart Mitte Dezember entschieden, den Fall als Arbeitsunfall einzustufen. Somit muss die Unfallkasse Baden-Württemberg in die Bresche springen. Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines Streits mit absurd erscheinenden Zügen. Das letzte Wort ist in der Angelegenheit aber noch nicht gesprochen.
Wie das Gericht mitteilt, pflegte die Kraichgauerin ihre Eltern, die Tätigkeit war bei der Pflegekasse angemeldet. An einem Sonntag im Mai 2008 radelte sie zu einem befreundeten Arzt, der ihr Medikamente für den Vater und eine kleine Menge Wildfleisch mitgab. Auf dem Rückweg passierte es: Die Frau stürzte vom Rad und verletzte sich am Knie. Der Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig. Womöglich hatte der Unfall erhebliche bleibende Schäden hinterlassen, teilt ein Gerichtssprecher mit.
Schmerzmittel für Vater besorgt
Bereits kurz nach dem Vorfall wandte sich die Frau mit einem Antrag an die Unfallkasse, schließlich habe die Fahrt dazu gedient, die Eltern mit Schmerz- und Nahrungsmitteln zu versorgen. Bei einem späteren Gespräch mit einem Kassenmitarbeiter rückte sie die Medikamente in den Vordergrund. Das Fleisch habe sie bei dieser Gelegenheit eben auch mitgenommen. Daraufhin lehnte die Unfallkasse den Antrag ab. Das Argument: Eine ehrenamtlich arbeitende Pflegeperson sei lediglich beim Besorgen von Nahrungsmitteln versichert, nicht aber von Medikamenten.
Es folgten mehrere juristische Auseinandersetzungen vor dem Sozialgericht Mannheim, dem Landessozialgericht und – wegen Verfahrensfragen – vor dem Bundessozialgericht. Dabei stritten die Parteien nicht nur darum, welche der beiden Verrichtungen "wesentlicher" war, sondern auch darum, ob das Wildfleisch wirklich für die zu pflegenden Eltern bestimmt und für deren Versorgung erforderlich war.
Die Mannheimer Richter gaben der Klägerin zuletzt recht: Die unstreitig unfallversicherte Besorgung des Fleisches sei der wesentliche Zweck der Fahrradfahrt gewesen. Dieser Entscheidung, allerdings nicht der Argumentation, folgte nun der 1. Senat des Landessozialgerichts. Keiner der beiden Zwecke, also Fleisch und Schmerzmittel, habe im Vordergrund gestanden, weil diese kaum voneinander abzugrenzen seien. Darauf kommt es nach Ansicht der Stuttgarter Richter allerdings gar nicht an, denn auch die Medikamentenbeschaffung sei versicherungsrechtlich abgedeckt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der "grundsätzlichen Bedeutung" des Falls wurde die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Sollte dieses diese Entscheidung bestätigen, muss die Unfallkasse entscheiden, ob sie der Frau die Behandlungskosten erstattet, ihr eine Reha ermöglicht oder eine Verletztenrente zahlt.