Vor rund 40 Jahren hat Professor Frank Brecht die Niederlassung gegründet. Foto: Lenhardt
Von Marion Gottlob
Schwetzingen. Man sieht Peter die psychischen Probleme nicht an: Der Diplom-Betriebswirt hatte jahrelang eine Führungsposition in einer Bank und leitete später seine eigene Firma. Alkoholabhängigkeit und eine psychische Erkrankung führten den 53-Jährigen in seelische Turbulenzen: Er verlor die Arbeit und die Familie. Schließlich suchte er Hilfe in einem psychiatrischen Krankenhaus und kam in ein Heim im Odenwald. Nun ist er in St. Thomas in Schwetzingen zu Hause, das ist eine Einrichtung der Nachsorge für psychisch kranke Menschen. Jetzt schöpft er Hoffnung: "Ich kann ein selbstständiges Leben einüben."
Das hat auch damit zu tun, dass in der Psychiatrie ein Wandel stattfindet: Früher wurden die Einrichtungen auf dem Land angesiedelt, weit entfernt von Städten. Oft zählten sie mehrere Tausend Patienten. Doch allmählich wurden Angebote in Städten mit begrenztem Platzangebot geschaffen. Ein Beispiel ist St. Thomas. Vor rund 40 Jahren hat Professor Frank Brecht als Pionier der Psychiatrie in Heidelberg seine erste Niederlassung gegründet.
"Das Gebäude war früher ein Krankenhaus, ein Nebengebäude war St. Thomas gewidmet. Den Namen haben wir übernommen", erzählt er. St. Thomas liegt nahe dem Ortszentrum und dem Schloss. In Heidelberg wie in Schwetzingen gab es heftigen Widerstand gegen die Psychiatrie, der nun (fast) vergessen ist. "Wir sind voll belegt", sagt Christina White, die Leiterin von St. Thomas. Die 16 Frauen und 22 Männer sind zwischen 22 und 70 Jahre alt. Zu den Erkrankungen zählt vor allem die Schizophrenie. "Menschen mit einer Schizophrenie hören und sehen Dinge, die wir anderen nicht hören und nicht sehen. Das können Stimmen sein, die strafen, ermahnen oder Befehle erteilen möchten", so White.
In St. Thomas finden Betroffene einen Ort zum Leben, Wohnen und Arbeiten. Es gibt ein sehr begehrtes Einzel-Appartement und WGs. Wichtig ist die Tagesstruktur: Das beginnt mit dem Aufwecken, denn manchen Betroffenen fällt der Start in den Tag schwer. Nach Körperpflege und Frühstück nehmen viele Bewohner an der Arbeitstherapie teil. Das sind Montagearbeiten für die Industrie oder die Mitarbeit auf dem Hammberger Hof mit Pferden.
Andere Bewohner beteiligen sich an der Beschäftigungstherapie mit Malen, Töpfern und Basteln. Die Objekte werden auf dem Weihnachtsmarkt verkauft. In Corona-Zeiten ist jedoch alles anders. Auch in St. Thomas begann eine neue Ära. "Mit dem Shutdown durften die Bewohner das Haus nicht mehr verlassen", erzählt Christina White. Die Leiterin war elf Wochen lang rund um die Uhr für "ihre" Einrichtung vor Ort oder im Homeoffice ansprechbar. Dazu gehörten auch nächtliche Anrufe von Mitarbeitern. Alle Angestellten stellten auf einen Sieben-Tage-Rhythmus um. "Wenn ein Mitarbeiter sich infiziert hätte, dann hätte die zweite Schicht einspringen können", berichtet White.
Eigentlich versorgen sich viele Bewohner selbst. Nun entstanden ein Einkaufsservice und ein eigener Kiosk. Die freie Zeit ist genutzt worden: Appartements wurden aufgeräumt und geputzt. Es gab Spiel- und Gesprächstreffs. Täglich durften Bewohner in einer Eins-zu-Eins-Betreuung spazieren gehen: "Gegen den Lagerkoller." Peter sagt: "Die Zeit der Isolation war schwierig. Aber wir haben von Heimen mit Corona-Todesfällen gehört. So hat fast jeder die Maßnahmen eingesehen."
Die Krise stärkte das Gemeinschaftsgefühl: Man war mit der Angst nicht allein, die Mitarbeiter vermittelten Sicherheit. Jetzt sind Beschäftigungs- und Arbeitstherapie wieder möglich. "Das gibt dem Tag einen Rhythmus", meint Peter. "Seit mehr als zehn Jahren habe ich keinen Alkohol mehr getrunken", sagt er stolz. In der Corona-Krise ist er nicht rückfällig geworden.