Von Nicolas Lewe
Heidelberg-Rohrbach. Ferne Länder, fremde Kulturen und unbekannte Landschaften. Die Spannung all dies zu erleben macht das Reisen aus. Ein Erlebnis, auf das Corona-bedingt derzeit vernünftigerweise verzichtet werden muss. Dennoch steht die Zeit nicht still. Jugendliche, die gerade ihre Schulausbildung abgeschlossen haben, stehen vor der Frage, wie es weitergeht. Direkt eine Ausbildung beginnen, Studieren, ein Freiwilliges Soziales Jahr machen oder zur Bundeswehr gehen? Eine weitere Alternative wird auch nach Überwindung der Corona-Pandemie wieder darin bestehen, dem Ruf der Ferne zu folgen. Ein Schritt, der Mut erfordert. Der aber auch die eingangs beschriebenen Vorzüge mit sich bringt.
Die 27-jährige Jasmin Roth und ihr Freund Bastian (30), die im Heidelberger Stadtteil Rohrbach wohnen, haben diesen Schritt gewagt. Die Biotechnologische Assistentin und der Meister für Orthopädie-Mechanik haben gemeinsam die Panamericana in Angriff genommen. Die mit über 45.000 Kilometern längste Straße der Welt verbindet Alaska im Norden Amerikas mit Feuerland ganz im Süden des Kontinents.
Im April endete die Reise des Paares aufgrund von Corona ziemlich unvermittelt in den Anden – einen Monat vor dem eigentlich geplanten Ende der Reise. "Unseren VW-Bus mussten wir unterstellen, wir hoffen, dass wir ihn nächsten Sommer holen können", erzählt Jasmin Roth. Im Gespräch mit der Zeitjung-Redaktion berichtet sie von den Erfahrungen und Eindrücken, die es entlang der Panamericana zu erleben gab.

Der Anfang
Los geht’s am Hafen von Halifax im Osten Kanadas. Während das Paar den Weg von Deutschland per Flieger zurückgelegt hat, hat "Bruno" zwei Wochen auf dem Schiff verbracht. Von Bremerhaven aus ging es für den 34 Jahre alten VW Bus per Containerschiff nach Halifax. Von hier aus führt die Reise in den kommenden Tagen und Wochen über 10.000 Kilometer in den Westen Kanadas. Jasmin erinnert sich an "unzählige Seen, Wasserfälle und niemals endenwollenden Wald". Nach vier Wochen sind die Rocky Mountains erreicht. "Bruno" hat sich in dieser Zeit als "sechs Quadratmeter großes Zuhause auf Rädern" bewährt, wie die 27-Jährige schmunzelnd erzählt. Eine Küche, eine Sitzecke, ein Bett und eine Outdoor-Dusche – es mangelt an nichts. Auch nicht an Zeit. "Einen genauen Plan haben wir nicht. Wir halten an, wenn uns ein Ort gefällt, und fahren weiter, wenn wir uns ins nächste Abenteuer stürzen wollen", sagt Jasmin.
Neun Staaten in zwei Monaten
Nach Begegnungen mit der kanadischen Wildnis in Form von Elchen, Waipiti-Hirschen, Schwarzbären oder Weißkopf-Seeadlern überfahren Jasmin und Bastian bei Seattle die Grenze in die USA. Erstes Ziel: der Yellowstone-Nationalpark. "Überall steigen Dampfschwaden empor, die einzigartige Landschaft ist übersät mit blubbernden Matschlöchern, Geysiren und heißen Thermalquellen", schreibt Jasmin in ihren Reisebericht. Weiter geht’s an der "wunderschönen Küste" des US-Staates Oregon entlang bis San Francisco und von hier ins Landesinnere über Arizona, Utah und Nevada. "Ein Naturphänomen nach dem anderen", staunt Jasmin. Hierzu gehört natürlich auch der Grand Canyon, den das Paar auf der Fahrt Richtung Kalifornien passiert. Ein besonderes Highlight hier: der "Joshua Tree"-Nationalpark mit seinen namensgebenden Josua-Palmlilien.
Über Mexiko Richtung Südamerika
Nach zwei Monaten in den USA beginnt ein neues Kapitel: Mexiko. "Alle Amerikaner haben uns empfohlen, hier eine Waffe zu tragen", berichtet Jasmin. Die 27-Jährige schwärmt stattdessen viel lieber von "spektakulären Kakteenlandschaften" und paradiesischen, einsamen Stellplätzen direkt auf weißem Sandstrand. Kulinarisch locken neben Tacos und Tequila unter anderem fangfrische Austern mit Limettensaft, kulturell begeistern Maja-Ruinen und prachtvolle Kolonialstädte. Die Menschen, so Jasmin, seien "überaus fröhlich" gewesen: "Die Warnungen der Amerikaner haben sich nicht bestätigt." Zwei Monate verbringt das Paar in Mexiko.
Weitere sehenswerte Stationen an der Panamericana sind die mittelamerikanischen Länder Guatemala, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama. Vulkane, Regenwald und Traumstrände sind die Kontraste, welche die Reisenden hier erleben. Zwischen Panama und Kolumbien dann nichts als Dschungel. Kein Durchkommen, "es fehlen etwa 100 Kilometer Straße", sagt Jasmin. Die einzige Lösung: VW-Bus "Bruno" wird verschifft, sie und Bastian nehmen den Flieger nach Kolumbien. Nach acht Monaten und rund 40.000 Kilometern lassen sich die beiden davon nicht aufhalten.
Wälder, Gebirge und Vulkane
In Kolumbien hat "Bruno" auf der bergigen Strecke der Kordilleren das ein oder andere Mal ganz schön zu kämpfen. "Wir kommen nur langsam voran", erzählt Jasmin. Dafür habe man genug Zeit, um die beeindruckende Landschaft in sich aufzusaugen. Besonders in Erinnerung bleibt der Fels von Guatapé, der als steinernes Monument inmitten des Waldes aufragt.
Im Gegensatz zum Grenzübertritt von Panama nach Kolumbien verläuft der von Kolumbien nach Ecuador "schnell und problemlos". Jasmin berichtet von einer Übernachtung "mitten in der Pampa", bei der nachts alles von Nebel verhüllt gewesen sei. Dann der nächste Morgen: "Wir werden von den ersten Sonnenstrahlen geweckt und bereits durch das Seitenfenster sehe ich, den strahlend blauen Himmel, ich springe aus dem Bett und traue meinen Augen kaum. Ein wunderschönes Panorama präsentiert sich uns." Und mittendrin der kegelförmige, 5790 Meter hohe Vulkan Cayambe mit seiner schneebedeckten Kuppe. "Ein Anblick der mit nichts zu vergleichen ist, vor allem weil er so überraschend für uns kam", meint Jasmin.
Doch bei der einen Überraschung bleibt es nicht: In der Finca Sommerwind, die einem deutschen Auswanderer gehört, trifft das Paar auf deutsche und andere Reisende. Bei Currywurst und deutschem Bier werden die Erlebnisse ausgetauscht. In Otovalo auf dem größten Kunsthandwerkermarkt Südamerikas erstehen Jasmin und Bastian Pullis aus Alpakawolle. "Die können wir gut gebrauchen", sagt Jasmin: "In den nächsten Wochen werden wir uns in den Höhen der Anden aufhalten." Doch zuvor steht noch die Überquerung des Äquators an. Von der Nordhalbkugel geht’s auf die Südhalbkugel "und so haben wir schon wieder Sommer", schmunzelt die 27-Jährige. Ganz in der Nähe befindet sich die höchstgelegene Hauptstadt der Welt, Quito. In befremdlicher Erinnerung bleiben "Delikatessen" auf einem Viehmarkt wie Meerschweinchen am Spieß oder Hühnersuppe, inklusive eines darin schwimmenden Hühnerfußes.
Von den kulinarischen Tiefpunkten geht’s in bergige Höhen: Im Cotopaxi Nationalpark ist der schneebedeckte, zweithöchste Vulkan Ecuadors beheimatet. Das Ziel liegt rund 5100 Meter über dem Meeresspiegel. Es ist kalt, windig und es schneit. Der krasse Gegensatz dazu: die Fahrt zur Quilotoa Lagune mit ihrem smaragdgrünen Vulkanwasser des Kratersees. Ein zutrauliches Alpaka posiert mit dem Paar für ein Foto. Dann steht der höchste Berg Ecuadors auf dem Programm: der Vulkan Chimborazo mit 6310 Höhenmetern. "Sein Gipfel ist dank der ellipsoiden Form der Erde am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt", sagt Jasmin. Und "Bruno" meistert seinen Höhenrekord mit 4800 überwundenen Höhenmetern. Es ist gleichzeitig der Abschied von Ecuador, das Jasmin als "atemberaubend" bezeichnet, nicht nur wegen der Höhe. "Wir haben uns in das Land mit seinen Vulkanen und mit seinen indigenen Menschen verliebt. Alles ist noch sehr ursprünglich und traditionell."
Legendäres Machu Picchu
Das nächste Land an der Panamericana ist Peru. Es bleibt erst einmal bergig. Die abenteuerliche Straße windet sich hinauf in die zweithöchste Gebirgskette nach dem Himalaya, die Cordillera Blanca, auch bekannt als die Schweiz Perus. Stockdunkle Felstunnel, besteigenswerte Gipfel und türkisblaue Lagunen liegen an der Route. Und natürlich darf auch ein Abstecher zur legendären Ruinenstadt Machu Picchu nicht fehlen. "Wir staunen über die Ingenieurskunst der Inka und sind von der unbeschädigten Festung fasziniert", berichtet Jasmin. Am Titicacasee wird das Paar von einem Einheimischen mit einem kleinen Boot zu den schwimmenden Inseln aus Schilf gefahren. Auf jeder Insel leben vier bis fünf Familien, insgesamt rund 2000 Menschen. Es gibt hier Kindergarten, Schule und sogar eine Arztpraxis.
Am Titicacasee entlang gelangen Jasmin und Bastian in Perus Nachbarland Bolivien. Von der Hauptstadt La Paz aus bietet sich ein spektakulärer Blick auf den 6439 Meter hohen Illimani. Auf dem berüchtigten Hexenmarkt kann man sich die Zukunft lesen lassen. "Wenn die Zukunft nicht gefällt, kann gegen einen Aufpreis mittels Prozession sogar eine Veränderung vorgenommen werden", staunt Jasmin.
Im Südwesten Bolivien muss die 450 Kilometer lange "Lagunenroute" überwunden werden. Hierfür ist eigentlich ein 4x4-Antrieb und eine Untersetzung erforderlich. "Bruno" hat beides nicht. Von der Offroad-Piste lassen sich Jasmin und Bastian dennoch nicht abschrecken, die Abenteuerlust siegt: "Wir kaufen Bretter und eine Schaufel, füllen den Ersatzkanister mit Diesel und fahren los." Lediglich Reifenspuren und das GPS-Signal weisen die ungefähre Fahrtrichtung durch die einsame Pampa, kontinuierlich auf circa 4000 Höhenmetern. Für die 450 Kilometer benötigt das Paar vier Tage. Am Wegesrand skurrile Felsformationen, dampfende Geysire, heiße Quellen und Flamingos, die in einer roten Lagune Nahrung suchen. Einmal bleibt "Bruno" im Sand stecken. Jasmin erzählt: "Rückwärts und mit aufgezogenen Schneeketten kommen wir aus der brenzligen Situation heraus." Dann ist das Abenteuer Bolivien geschafft. Die Grenze nach Chile ist erreicht.
Das (vorläufige) Ende der Reise
Über den Oasenort San Pedro de Atacama inmitten der Atacama Wüste und die karge Ruta de Desierto führt der Weg ins Naturreservat Pingüino de Humboldt. Pinguine sind hier ebenso heimisch wie Delfine und Seelöwen. Das Ende der Panamericana rückt langsam in Reichweite. Patagonien im Süden Chiles ist nah. Doch dann schlägt Corona zu.
Grenzen schließen über Nacht, eine Weiterreise ist nicht möglich. "Wir waren gezwungen die Reise verfrüht abzubrechen", bedauert Jasmin. "Bruno" blieb auf einem Campingplatz zurück, sie und Bastian flogen nach Hause. "Schweren Herzens" wie Jasmin betont. Doch die beiden wollen zurückkommen und die Panamericana zu Ende fahren. Das Abenteuer ist noch nicht vorbei.