In Weinheims "olympischem Dorf"
RNZ besuchte Turner, Helfer und Anwohner auf dem Festgelände und in den Übernachtungsstätten

Auf der Showbühne des Landesturnfests ist bis Samstagabend ständig Programm. F.: Kreutzer
Von Marco Partner
Weinheim. Es wirkt wie ein olympisches Dorf. Hier Akrobaten, die durch die Lüfte fliegen, dort begeisterte Zuschauer, die sich bei den Mitmach-Angeboten ausprobieren. Das Landesturnfest in Weinheim zieht in diesen Tagen Athleten und Besucher von Nah und Fern in seinen Bann. Rund 12.300 Teilnehmer zählt das größte Breitensportevent Baden-Württembergs. Eine Mammutaufgabe, die nur mit über 2000 Ehrenamtlichen gestemmt werden kann.
Der Abend der Eröffnungsfeier am Mittwoch war lang - für Stimmung sorgte auch der Comedian und Wahl-Weinheimer Bülent Ceylan. Bianca und Jule vom TSV Bergheim verstecken ihre morgendliche Müdigkeit hinter Sonnenbrillengläsern. Wie 1474 andere Turner sind sie in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule untergebracht. 106 Klassenzimmer wurden in Schlafräume verwandelt. Ein Meer aus Luftmatratzen, Feldbetten, Isomatten, Schlafsäcken. "Es war warm und laut. Wir werden nachher noch mal ein Nickerchen am See machen", erzählt Bianca.
Doch während sich einige Teilnehmer noch in den Sälen sowie auf dem Schulhof entspannen, macht sich die 20-Jährige gegen 10 Uhr auf zum ersten Aufritt. Zum Show-Tanzen auf dem Gelände des Sepp-Herberger-Stadions. Wobei der Wettkampf diesmal unter anderen Vorzeichen steht: "Sonst ist man nur auf sich fokussiert. Hier verbringt man viel Zeit mit Gleichgesinnten", sagt Jule (18).
Diese Atmosphäre bekommt Kim Pfirrmann nur am Rande mit. Und ist doch mittendrin. Eine Schnittstelle, die das alles erst ermöglicht. Als Organisatorin der TSG Weinheim hält sie nicht nur als eine von 285 Helfern - inklusive Nachtwache - in der Bonhoeffer-Schule die Stellung, sondern pendelt auch zwischen TSG-Halle und Stadion. "Es ist eine Riesenherausforderung", betont sie - und wirkt doch glücklich.
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Entspannt und zufrieden wirken auch die Teilnehmer. "Es ist wie Campen im Klassenzimmer", so Thomas Franke aus Baden-Baden. Er inspiziert am frühen Donnerstagvormittag mit seiner Frau Ilsabé die Mitmach-Angebote. Als Friesenkämpfer (Schießen, Schwimmen, Kugelstoßen, Laufen und Fechten) hat es ihnen das "Jugger" angetan. Eine Art Kampfsport mit Schaumstoffschlägern.
Auch das Faustballturnier mit der deutschen Nationalmannschaft lässt man sich nicht entgehen. "So was sieht man sonst nicht, da es nicht medienwirksam ist", so Ilsabé Franke. Ohnehin mache das Fest nicht nur den Breitensport, sondern die Vielfalt der Nischensportarten sichtbar.
Die Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland, aber auch aus Österreich, Finnland, Dänemark, Kanada und der Schweiz. Die über 70-jährigen Norma und Dieter Hoffmann stammen aus Aarau. Auch sie übernachten in der Schule. "Auf einer Luftmatratze, sonst wäre es kein Turnfest. Es geht um die Atmosphäre: Bei Turnern ist es immer freundlich", erklärt Norma Hoffmann, die wie ihr Mann beim Wahl-Wettkampf mitturnt und seit 2005 kein Landesturnfest verpasst hat.
Von einem friedlichen Ablauf berichtet auch Sascha Zink. Vom Leitungszelt der Malteser Viernheim-Abtsteinach aus koordiniert er per Laptop und Walkie-Talkie die Einsätze. Allein am Donnerstag laufen 35 Kräfte Patrouille. In den kommenden Tagen würden es noch mehr. "Es gab ein paar Kleinigkeiten, aber leider auch schlimme Stürze mit Handgelenksbrüchen." Mit der DLRG, den Johannitern und dem DRK stehe man im Kontakt.
Während Zink sich im Dunklen, und somit etwas kühleren Zelt aufhält, bekommt Karin Kempf die volle Hitze ab. Nicht nur von der Sonne, sondern auch von Pommes, Bratwurst und anderen Verköstigungen, die am Ehrenfried-Stand vor sich hinbrutzeln. Drei Schichten werde sie an den kommenden Tagen noch leisten. Doch: "So ein Fest gibt es hier nicht alle Tage."
Das kann der Einheimische Wolfram Müller bestätigen. Vom Garten aus lauschte seine Familie dem Eröffnungskonzert. Der letzte Impuls, sich das zuletzt 1977 in Weinheim ausgetragene Fest aus der Nähe anzusehen. Erst das Bodenturnen, dann tobt sich die Tochter beim Trampolin-Springen aus, anschließend wird eine Pause an der Showbühne eingelegt.
Vorne zeigen Tänzerinnen ihr akrobatisches Talent. Auch Bianca und Jule vom TSV Bergheim präsentieren ihre Showtänze. Und nach so einem kräftezehrenden Einsatz, wird die nächste Nacht bestimmt geruhsamer.