Nach den Bombenangriffen amerikanischer und britischer Flugzeuge auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 werden die zahlreichen Leichen, die auf der Straße liegen, geborgen. Foto: dpa
Mosbach/Dresden. (nip/zg) Erika Schwab aus Mosbach hat den verheerenden Bombenangriff auf Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 erlebt. Ihre Erlebnisse hat sie in einem Beitrag für die RNZ-Serie "Meine Stadt 1945" niedergeschrieben, der auch im Buch "Unsere Schicksalsjahre 1944/45" veröffentlicht wurde. Anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung von Dresden nachfolgend noch einmal der Augenzeugenbericht.
Ein Erlebnis gegen Ende des Krieges hat sich meinen Geschwistern und mir tief in die Seele eingebrannt. Das Elternhaus in Berlin war schon 1943 durch Bomben zerstört worden und wir (Vater, Mutter – beide Physiker – und drei Töchter) hatten in Schönberg/Görlitz in der Oberlausitz ein wenig Ruhe gefunden. Vaters Institut mit Werkstätten und Labor konnte hier zum Teil seine Aufgaben wieder wahrnehmen.
Dann rückte die Ostfront näher, und die Eltern mussten erneut packen – Maschinen und Geräte, die Bibliothek und all die privaten wertvollen Dinge, von denen später auf der Flucht das meiste durch Plünderungen verloren ging.
Der Zug, der die Instituts-Familien in den Westen bringen sollte, war schon in Zittau restlos überfüllt. Nach einer kalten Übernachtung auf den Tischen und Fußböden eines Büros konnten wir die Fahrt Richtung Dresden fortsetzen. Die Männer waren zum "Volkssturm" geholt worden, die Frauen mit ihren Kindern waren auf sich allein gestellt. Mit Säugling, Kinderwagen, Koffern und Rucksäcken, fünf Schulkindern – ich war mit meinen zwölf Jahren das älteste Kind – fuhr unser Zug beim Heulen sämtlicher Sirenen in absoluter Dunkelheit in den Dresdener Hauptbahnhof ein.
Der Schreck und das Chaos in dem großen Bahnhof waren unbeschreiblich. Die Menschenmassen strömten schreiend in die Bahnhofskeller. Familien wurden auseinandergerissen, auch ich mit meiner kleinen Schwester Bärbel an der Hand verlor die Mutter mit dem jüngsten Kind, das Gepäck blieb irgendwo liegen. In den Sekunden zwischen den Detonationen der Bomben entstand eine angstvolle Stille – da, ein Schrei, ein Ruf mit unser beider Namen – es war unsere Mutter, wir antworteten und schließlich fanden wir sie und unser Schwesterchen.
Wenige Minuten später erfolgte ein zweiter Angriff. Ohne Pause detonierten die Bomben. Das riesige Glasdach des Bahnhofs stürzte mit ohrenbetäubendem Krachen herunter auf Menschen, Gleise und Bahnsteige. Wir rannten um unser Leben und schafften es, ins Freie zu kommen. Dort warfen wir uns mit anderen Menschen längs auf die Gleise und den Schotter. Ich hatte Brandwunden im Gesicht und an den Händen, beide Mäntel waren durchnässt und von schwarzen Brandstellen durchlöchert.
Die uralten, mächtigen Bäume rechts und links der Bahngleise brannten lichterloh. Die hohen Bürohäuser glühten, dazwischen die schwarzen Fensteröffnungen, aus denen die Flammen schlugen. Helfer entdeckten uns, rissen uns hoch und stemmten uns über einen Drahtzaun. Sie schoben uns zu einer Erdöffnung im Hang, in einen Schutzgang, absolut dunkel, jedoch voll weinender Menschen, die dicht an dicht an den Erdwänden auf dem Boden hockten. Wir fanden auch noch Platz und verbrachten so den Rest der Höllennacht. Ein Helfer, der mit der Taschenlampe in der Hand den Gang abschritt, fragte, als er bei uns war, mit Blick auf die schlafende Hanni: "Ist das Kind tot?" Nein, es schlief vor Erschöpfung.
Am Morgen suchte unsere Mutter unser Gepäck in Rauch und Chaos und fand es. Ich war überglücklich, meine geliebte Alt-Blockflöte wieder zu haben, das tröstete mich. Mutter berichtete, dass ein Mann sich auf unserem Gepäck wälzte und wie irr ununterbrochen das "Ave Maria" schrie. Mit Hilfe eines jungen Mannes, der uns das Gepäck abnahm, schleppten wir uns in Richtung Sedan-Platz auf einer Straße, an deren Rand andere Helfer schon die verbrannten Körper toter Männer, Frauen und Kinder gelegt hatten. Ich werde das nie vergessen.
Der Sedan-Platz, den es im heutigen Stadtbild nicht mehr gibt, war voll Tausender verstörter Menschen aus den Lazaretten, Krankenhäusern und Kellern der Umgebung. Unser Helfer steuerte auf einen Lastwagen zu, und mit dem lauten Ruf "Deutsche Mutter mit drei Kindern" erstürmte er für uns einen Eckplatz. Er schob uns heftig auf die Ladefläche, wir konnten uns nicht einmal bedanken. Außerhalb der brennenden Stadt wurden wir umgepackt in das Stroh eines kleinen Panjewagens mit Bauer und Pferdchen, der mit uns eilig davonfuhr.
Wir erhielten von diesem hilfsbereiten Menschen jeder ein Stück Brot und einen Apfel. In einem Kiefernwäldchen hielt er an, und wir sahen und hörten mit Entsetzen den dritten Angriff eines großen Geschwaders auf die bereits sterbende Stadt. Bomben und Flugzeuge blitzten wie Silber am wolkenlosen blauen Februarhimmel. In Dippoldiswalde, einem Dorf oder Städtchen bei Dresden, fanden wir nach einer heißen Suppe in der Turnhalle einer Schule auf Stroh die erste Ruhe. Am nächsten Morgen, wir lagen mit den Mänteln im Stroh, entdeckte meine Mutter entsetzt, dass wir beim Schlafen bestohlen worden waren. Sie weinte bitterlich, sie hatte wertvollen Familienschmuck im Mantel eingenäht, er war herausgeschnitten worden.
Erst eine Woche später, nach einem angstvoll überstandenen Tieffliegerangriff bei Bayreuth, bei dem wir unter den Waggons liegend Sicherheit suchten, kamen wir nach Nürnberg, wo uns dann mein Vater bei Freunden schließlich wiederfand.