Von Alexander Albrecht
Heidelberg/Ilvesheim. "Die Sitzung ist beendet", sagt Christian Mühlhoff nach der Urteilsbegründung. Das war’s. Ab kommenden Montag ist der Vorsitzende der Großen Strafkammer am Heidelberger Landgericht im Ruhestand. Zum Finale hat er einen Fall verhandelt, der ihm während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit so noch nicht untergekommen ist. Auf der Anklagebank sitzt ein 57-jähriger Berufsverbrecher aus dem Elsass, der wegen verschiedener Straftaten mehr als sein halbes Leben in Gefängnissen verbracht hat.
Das Gericht schickt den hageren, unscheinbar wirkenden Mann am Donnerstag wegen erpresserischen Menschenraubs, schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung für weitere zehn Jahre in den Knast. Mindestens. Denn die Kammer ordnet für den notorischen Wiederholungstäter zudem Sicherungsverwahrung an. Das bedeutet: Nach dem Verbüßen der Haftstrafe kommt der Franzose nicht zwingend auf freien Fuß.
Nur wenige Wochen nach der Entlassung aus dem Hochsicherheitstrakt eines Pariser Gefängnisses überfiel der geschiedene Metzger Ende Juni vergangenen Jahres die Filiale der VR-Bank Rhein-Neckar in Ilvesheim. Aus Geldnot, weil er drogenabhängig sei und Entzugserscheinungen hatte, sagte der geständige Angeklagte während der Verhandlung. Die zweite Erklärung nimmt ihm Mühlhoff nicht ab. Der 57-Jährige sei lediglich ein Gelegenheitskonsument gewesen und nach Angaben von Zeugen bei der Tat "besonnen, abgebrüht und hartnäckig" vorgegangen. Nicht wie ein Junkie.
Immer wieder nimmt der Vorsitzende die Opferperspektive ein. Erinnert zum Beispiel an das Schicksal des Filialleiters, der nach seinem Eintreffen von dem Bankräuber überwältigt, später mit einem geladenen Revolver aus dem Ersten Weltkrieg geschlagen und auch getreten worden war.
Der Mann ist wie ein Kollege arbeitsunfähig, hat Schlafstörungen und "Flashbacks", also das blitzartige Wiedererleben der Tat. Sukzessive brachte der mit Perücke und einer Sonnenbrille maskierte Mann fünf Angestellte in seine Gewalt und drohte ihnen mit dem Tod. Obwohl ihm die Banker versicherten, dass nichts zu holen ist. Denn für das Aufschließen der Geldautomaten ist eine Fremdfirma zuständig, der Tresor war damals leer.
Schließlich hatte ein Mitarbeiter die entscheidende Idee. Mit Hilfe von Blankokarten hob er fast 30 000 Euro an den Automaten ab. "Wir wollen uns gar nicht ausdenken, was passiert wäre, wenn der Angeklagte kein Geld bekommen hätte", meint Mühlhoff. Für den Fall, dass der Banker nach dem Abheben davon gerannt wäre, hatte der Räuber gedroht, alle Geiseln und dann sich selbst zu erschießen.
"Hoffentlich siehst Du Deine Kinder heute Abend wieder", soll er einem Banker gesagt haben. Der Franzose sperrte die fünf Angestellten in den Tresorraum ein, floh mit der Beute, versteckte sich zunächst am Neckar und fuhr dann mit dem Bus nach Heidelberg, wo er sich neu einkleidete und ein Zimmer nahm.
Noch am Abend wurde der Räuber von der Polizei geschnappt, als er zunächst per Taxi nach Ilvesheim zurückkehrte und in sein als gestohlen gemeldetes Mietauto stieg. Kurze Zeit später stoppten die Beamten bei Mannheim-Seckenheim den Wagen, an dem zuvor bereits ein Peilsender angebracht worden war. Mühlhoff attestiert dem "vollkommen isolierten" Angeklagten mit seinem "desolaten Lebensweg" einen erheblichen Hang zu schweren Straftaten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters sei er unbelehrbar.
Kritik übt Mühlhoff an der Polizeitaktik und nimmt dabei die Aussagen einer Bankangestellten auf. Als sie gegen 8 Uhr in die Filiale gekommen sei, hätten bereits drei Einsatzfahrzeuge vor dem Kreditinstitut gestanden, hatte die Frau im Prozessverlauf berichtet. "Es waren Polizisten in Rufweite, die mir einen Hinweis hätten geben können", ärgerte sich die Mitarbeiterin, die mit ihren Kollegen drei Stunden im Tresorraum eingesperrt war, bis ein Spezialeinsatzkommando (SEK) die Bank stürmte. Mühlhoff versteht zwar, dass die Lage unklar war und die "örtlichen" Beamten auf das SEK warteten. "Es fällt uns aber schwer, nachzuvollziehen, warum die Angestellte und die Kunden nicht gewarnt wurden."
Der Mannheimer Polizeipräsident Andreas Stenger hatte das Vorgehen der Beamten nach dem Überfall im RNZ-Interview verteidigt. "Wir hatten es mit einem Berufsverbrecher zu tun, der zu allem entschlossen war", erklärte er. Wenn die Kollegen "so jemanden" in eine für ihn ausweglose Situation gebracht hätten, "dann haben wir Gladbeck", sagte der Polizeichef. Natürlich versuche man zu verhindern, dass noch jemand in die Bank gehe. "Das schaffen sie aber nicht immer in der ersten Phase", so Stenger.
Update: Donnerstag, 9. Januar 2020, 21.37 Uhr
Heidelberg. (dpa/lsw) Er hatte mehrere Bankmitarbeiter in einen Tresorraum eingesperrt und ihnen mit einer Waffe Todesangst eingejagt: Das Landgericht Heidelberg hat den Bankräuber von Ilvesheim zu zehn Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Die Kammer sprach den 57-Jährigen am Donnerstag des erpresserischen Menschenraubs, der schweren räuberischen Erpressung und der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Der Mann war mit 30 000 Euro Beute geflohen, aber noch am selben Tag im Juni 2019 von der Polizei gestellt worden.
Das Gericht betonte, dass die Betroffenen noch immer unter dem brutalen Vorgehen des Beschuldigten psychisch litten. Der geschiedene Metzger hatte zum Prozessauftakt die Tat gestanden. Den Urteilsspruch nahm er äußerlich gefasst auf.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung beantragt. Nach Ansicht der Verteidigung hätte eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 10 Monaten genügt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger kündigte an, er werde prüfen, ob er wegen der verhängten Sicherungsverwahrung Rechtsmittel einlege.
Das Gericht begründete die Sicherungsverwahrung damit, dass der Mann trotz Freiheitsstrafen von insgesamt 30 Jahren nach Haftentlassung immer wieder Raubdelikte begangen habe. Den Ilvesheimer Raubüberfall habe er nur wenige Wochen nach dem Ende von 14 Jahren Haft in einem Hochsicherheitstrakt verübt.
Der mit Perücke und Sonnenbrille maskierte Mann hatte an einem Morgen Ende Juni 2019 am Hintereingang der Bankfiliale einen Mitarbeiter abgepasst. Mit einem in den Nacken gedrückten Revolver zwang er ihn, den Eingang zu öffnen, und forderte ihn auf, den Inhalt der Geldautomaten herauszurücken. Der Angestellte erklärte, dies könne nur die Aufstellerfirma.
Weitere eintreffende Beschäftigte bedrohte der 57-Jährige ebenfalls mit der Waffe. Insbesondere als sich herausstelle, dass der von einem Mitarbeiter geöffnete Tresor kein Geld enthielt, wurde er nervös. Einem der Angestellten trat er in die Hüfte und fügte ihm später mit der Waffe ein Platzwunde zu. Schließlich ließ er sich 30 000 Euro aus einem Geldautomaten mit einer speziellen Karte auszahlen. Er schloss fünf Menschen in den Tresorraum ein und flüchtete. Der Mann wurde samt Beute noch am selben Abend in einem gestohlen gemeldeten Wagen in Mannheim gefasst.
Update: Donnerstag, 9. Januar 2020, 14.37 Uhr