Mozart erobert das Collini-Center
Bekenntnis zur offenen Gesellschaft beim Auftakt - Kulturparade führte durch die Stadt

Mit der großen Parade "The School of Narrative Dance" begann der "Mannheimer Sommer". Das Musikfestival präsentiert sich nun vielfältiger, Mozart bleibt aber ein wesentlicher Schwerpunkt. Vor der Kunsthalle tanzten zahlreiche Kinder mit. Foto: Christian Kleiner
Von Harald Raab
Mannheim. Adieu Mozart-Sommer. Es lebe der neue Mannheimer Sommer. Der wurde am Donnerstag mit viel Spaß und wunderbarer Abendsonne eröffnet. Sonne auch auf den T-Shirts der meist weiblichen Helferschar des Nationaltheaters. Die Sonne der Aufklärung soll über dem Festival bis 22. Juli leuchten. Natürlich noch mit Mozart, aber mit starken Energieströmen bis hin zu Pop und was speziell junge Menschen heute bewegt.
Das große europäische Werk der Aufklärung ist ja nicht als vollendet zu betrachten. Aufklärung ist stets neu zu erringen und tut not in Zeiten der Demokratieverzagtheit, dumpfer Fremdenfeindlichkeit und Angst vor einer offenen Gesellschaft. Der neuen Aufklärung fühlen sich die Mannheimer Theatermacher verpflichtet. Theater gibt sich wieder offensiv. Ästhetik mit politischem Anspruch.
Theater muss fröhlich-spannend wie Fußball sein. So der Appell des Altmeisters der Mitmach-Kultur, Dario Fo. Der Nobelpreisträger für Literatur dürfte mit Wohlgefallen vom Gauklerhimmel herab auf Mannheim geblickt haben. Seine Nachfahrin, die italienische Performance-Künstlerin Marinella Senatore, brachte zum Auftakt Mannheimer Bürgersinn in Bewegung.
Sie präsentierte, besser gesagt, sie ließ Mannheimerinnen und Mannheimer sich selbst darstellen: "The School of Narrative Dance". Diese ist eine sehr lebendig-quirlige "Skulptur". Von New York bis Paris, von London bis Miami inszeniert sie ihre Paraden: Power to the People. Nun auch in Mannheim.
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Los ging es in der Kunsthalle, die ja, wie Direktorin Ulrike Lorenz bei der Begrüßung emphatisch betonte, ein Haus der Bewegung sein will - offen für alle und alles im Sinn eines weiten Kulturbegriffs. Opernintendant Albrecht Puhlmann setzt auf die Kraft des Theaters, das Freude bereitet und zum Denken und Fühlen anregt. Im Ausstellungsformat "Box" gab es die filmische Dokumentation des weltweiten Senatore-Engagements zu sehen.
Die ganze Kunsthalle wurde zur Bühne. Da tanzten größere und kleinere Mädchen in Ballett-Röckchen und auch eine echte feingliederige Primaballerina, Einradfahrer flitzten durch das weite Atrium, Bälle wurden jongliert, Keulen geschwungen. Die Marching-Band "Brass2go" in ihrem roten Outfit mischte das Publikum mit New-Orleans-Swing und Evergreens aus Pop und Rock auf.
Die Drummer des "Trommlerpalasts" brachten den Rhythmuspegel in voller Lautstärke zum Vibrieren. Die "Mamas und Papas" aus Heidelberg ließen deutsches Liedgut erschallen, der "Bahnhofshelfer-Club Mannheim/Ludwigshafen" stimmte international ein und der "Junge Kammerchor Mannheim" trug die klassische Note bei. Der "Tausendfüßler-Club" sorge mit seiner Spontanität für Fröhlichkeit.
Die ganze singende, klingende, tanzende, jonglierende Rasselbande bildete einen Zug, der sich durch die Straßen zum Nationaltheater bewegte, mit Zwischenstopps, um die Passanten mit ihrer guten Laune anzustecken. Der Gaudiwurm endete in einem stilisierten Barockgarten vor dem Theater. Hier wurde weiter gefeiert. Von der Bläserphilharmonie Mannheim kam schließlich auch noch Mozart mit seiner Serenade in c-Moll zu seinem Recht.
Insgesamt eine sehr leichtfüßige, unprätentiöse Eröffnung eines Festivals - ganz im Sinne Schillers, bei dem der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt. Der große Gegenzauber wird beschworen, um Verzagtheit des Volkes und die Macht der Mächtigen weg zu lachen.
Szenenwechsel und doch auch Teil des großen Spiels. Kontrastprogramm war am selben Abend im "Roadmovie: Requiem" geboten. Im morbiden Baumonster Collini-Center haben die Regisseurin Clara Hinterberger und der Alphabet-Chor unter der Leitung von Julian Schwarz in die ehemalige Kantine im Dachgeschoß zu einem sinnlich-besinnlichen Leichenschmaus gebeten.
Je nach Perspektive, auch zu einer poetischen Totenmesse. Musiktheater anders zu denken, zu erleben, gilt das intensive und erstaunlich erfolgreiche Bemühen der jungen Münchner Regiehoffnung Clara Hinterberger. Das Publikum ist an lange Tische gebeten, wird mit Brot, Wein und Wasser bedient, das scheidende Abendlicht taucht die Szenerie in Vanitas-Stimmung. Dann flackern Kerzen.
Die Sänger des Chors sitzen zwischen den Gästen, stehen auf, formieren sich zu Prozessionen, singen auch einmal aus dem Treppenhaus heraus - wie aus der Unterwelt. Mozarts Mythen umranktes "Requiem" benötigt keinen Sakralraum, keinen Konzertsaal. Das wird hier eindringlich vorgeführt.
"Kyrie eleison", "Dies irae", "Lacrimosa" und "Dona eis requiem sempiterium" (Gib ihnen die ewige Ruhe): Mozarts musikalische Feier eines würdigen Todes ist ergänzt durch eigene Arrangements und den Song "I will survive", kraftvoll-einfühlsam vorgetragen von Anna Lukasiewicz. Als Pianist wirkt Michael Wilhelmi, als Posaunist gibt Philipp Krechlak der Aufführung Glanz.
Eingewirkt in das musikalische Erlebnis sind Erfahrungsberichte mit dem Tod, zwischen Wunsch und profaner Realität: Die Hoffnung, schnell und plötzlich zu sterben, erfüllt sich nur für fünf Prozent, für all die anderen ist Leiden bis hin zu Demenz das zu erwartende Schicksal. Was macht Sterben mit den Angehörigen? Wie sieht es in Palliativstationen aus? Mit wie viel mehr Solidarität und Anteilnahme trauert man in anderen Kulturen. Im Tod das Leben feiern: Auch das ist eine Botschaft des neuen Festivalformats Mannheimer Sommer.
Info: Alle Termine und Karten unter www.nationaltheater-mannheim.de