Blick auf die Teile des Skeletts, die in einem Garten in Dielheim gefunden wurden. Foto: aot
Von Anton Ottmann
Dielheim. 1. August 2020, strahlend blauer Himmel: Horst und Birgit Maier (richtige Namen der Redaktion bekannt), haben im Wohngebiet "Baiertaler Berg" vor einiger Zeit ein Haus gekauft und möchte nun den Garten neu anlegen. Nachdem ein Bagger das Grobe erledigt hat, geht es für das Ehepaar an die Feinarbeit. Beim Umgraben stößt der neue Hausherr mit dem Spaten auf einen festen Gegenstand und macht, als er ihn freilegt, große Augen: Vor ihm liegt ein ansehnlicher Knochen.
"Tier oder Mensch", rätselt die auf seine Rufe herbeigeeilte Kinderschar. Mit einem weiteren Spatenstich kommt erneut ein Knochen zum Vorschein. Der Oberschenkel eines Menschen, vermutet der Hobbygärtner, der sich von Berufs wegen mit menschlichen Knochen auskennt. "Wir rufen die Polizei, die weiß, was zu tun ist", meint die Ehefrau. Inzwischen treibt die Fantasie der Kinder Blüten. Es könnte sich um ein vergrabenes Mordopfer handeln oder einen römischen Soldaten, schließlich gibt es einen "Römerweg" ganz in der Nähe.
Die Beamten des Polizeireviers Wiesloch nahmen den Fund in Augenschein, wie im Polizei-Protokoll nachzulesen ist, und stellten ihn sicher, mit anderen Worten, sie packten ihn ein. Die Gartenarbeit musste pausieren, und die Fundstelle abgedeckt werden, damit kein Tier in Versuchung kommen sollte, hier weiter zu graben.
Danach übernahm die Kriminalpolizei in Heidelberg die Ermittlungen. Nachdem festgestellt wurde, dass der gefundene Oberschenkel und das dazugehörige Beckenteil keine Verletzungen aufwiesen und auf jeden Fall nicht neueren Datums sind, holte man die archäologische Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Stuttgart mit ins Boot. Diese schickte zwei Mitarbeiter, die mit großer Vorsicht die nur schwer erkennbare Grabgrube und die Reste eines Skelettes freilegten. Der Fund wurde fotografisch dokumentiert, die Knochen geborgen. Vom Hausbesitzer erfuhr die RNZ, dass an dem vom Bagger beschädigten Kopf ein "gut erhaltener Zahnstatus" festzustellen war, was Rückschlüsse auf das Alter des Toten erlaube.
Der Anthropologe des Landesamtes beschrieb den Toten als "ein rund 1,70 Meter großes männliches Individuum zwischen 18 und 22 Jahren". Am rechten Oberschenkelkopf stellte er eine Nekrose (abgestorbenes Knochengewebe) fest, vermutlich die Folge einer Durchblutungsstörung im Kindesalter, die aber nicht zum Tod führte. Die eigentliche Todesursache konnte er nicht feststellen, unter anderem, weil das Skelett keine Spuren von Gewalt aufwies.
Da es sich offensichtlich um einen archäologischen Fund handelte, wandte sich die RNZ an Dr. Ludwig H. Hildebrandt aus Wiesloch und bat um seine Einschätzung. Der Diplomgeologe gilt in der hiesigen Gegend als ausgewiesener Experte und Kenner des geschichtlichen Hintergrundes bei solchen Funden. Seiner Meinung nach könnte es sich um ein Grab aus der "Jüngeren Merowingerzeit" (600-741 n. Ch.) handeln. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Ortschronik von Harald Gomille, in der von einer Siedlung auf Dielheimer Boden aus der Zeit vor 600 die Rede ist, deren Friedhof bisher nicht ausgemacht werden konnte.
Die fehlenden Grabbeigaben seien kein Widerspruch, diese seien gegen Ende der Merowingerzeit infolge der Christianisierung nicht mehr üblich gewesen. Die Lage des Fundorts am Hang über dem Dorf stelle ein weiteres Indiz dar, da man sowohl in Nussloch als auch in Wiesloch in ähnlicher Lage Gräber aus dieser Zeit gefunden habe. Hildebrandt betonte, dass dies aber nur Vermutungen seien. In Wirklichkeit könne sich alles ganz anders zugetragen haben, so wie im Fall des 2014 in Baiertal gefundenen Skeletts – dieses stammte von einem Soldaten der napoleonischen Kriege (1800-815).
Um den Fund chronologisch einordnen zu können, wurde er in einem Mannheimer Labor mit der aufwendigen C 14-Methode untersucht. Dabei wird aus der vorhandenen Restmenge leicht radioaktiver Kohlenstoffteilchen auf das Alter der Knochen geschlossen. Danach trat der Tod mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in der Zeitspanne zwischen 1672 und 1943 ein, mit weiteren Eingrenzungen wird die Zeit zwischen 1673 und 1778 vermutet.
In der Stellungnahme des Landesamtes von Ende Oktober ist ausgeführt, dass die irreguläre Bestattung abseits eines Friedhofs für den Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen am Oberrhein und der damit verbundenen Auflösung kirchlicher und herrschaftlicher Ordnung spreche. Gemeint sind der Pfälzische (1688-1697) und der Spanische (1701-1714) Erbfolgekrieg sowie der erste Koalitionskrieg (1792-1797), bei dem die europäischen Großmächte Preußen, Österreich, Spanien und weitere versuchten, die "Französische Revolution" rückgängig zu machen.
Bei dem Toten vermutet man ein ziviles Opfer der Kriegsfolgen durch Hunger und Seuchen (beispielsweise Pest), da man keine Verletzungen am Skelett gefunden hat, und im Falle eines toten Soldaten Reste von Uniformteilen oder Uniformknöpfe zu finden gewesen wären.
Hildebrandt geht weitgehend konform mit der "wissenschaftlich sehr guten Darstellung" des Landesamtes. Zu den Jahreszahlen 1792-1797 merkt er an, dass noch 1799 ein Reitergefecht nördlich und östlich von Wiesloch stattgefunden hat, wie ein Grabstein auf dem Wieslocher Hauptfriedhof beweist. Der Wortlaut: "Grabsteine für die Leutnante Graf v. Frohberg und Baron von Bubenhofen, gefallen im Jahr 1799 im Gefecht bei Wiesloch zwischen österreichischen und französischen Truppen."
Abweichend von der Stellungnahme des Landesamtes könnte es sich seiner Meinung nach bei dem Toten durchaus um einen Soldaten dieses Kampfes handeln. Gefallene fremde Soldaten seien oft geplündert und ihrer Kleidung beraubt worden, was die fehlenden Knöpfe und Kleidungsreste erklären könnte. Auch könne er Wunden im Bauch- und Oberschenkelbereich nicht ausschließen, da hier das Skelett "stark gestört" gewesen war. Die Untersuchungsergebnisse der Knochenfunde durch die "Anthropologie im Fachgebiet der Archäobiowissenschaften des Landesamtes für Denkmalpflege" lassen noch einigen Spielraum für weitere Theorien.
Auf jeden Fall wird der Knochenfund im "Osteologischen Archiv" in Rastatt aufbewahrt, sodass jederzeit Nachforschungen mit neueren Untersuchungsmethoden durchgeführt werden können.