Ein tröstlicher Kontrast zu schweren Gedanken: An den Radwegen längs der Bergstraße stehen viele Bäume zurzeit in voller Blütenpracht. Foto: Dorn
Von Carsten Blaue
Weinheim/Heidelberg. Die Arbeitnehmer sollen Busse und Bahnen meiden. Auto und Fahrrad seien sicherer in der Coronakrise, heißt es. Und da die Fahrpläne sowieso ausgedünnt sind und das Auto nur im Notfall in Frage kommt, ab aufs Rad nach Heidelberg! Es ist der erste Tag mit den neuen Einschränkungen.
Dass man beispielsweise nur noch zu zweit raus darf, wenn es nicht die eigene Familie ist. Die Frage beim Losfahren: Wie und woran wird man es merken zwischen Weinheim und der Neugasse in der Heidelberger Altstadt? Die Sonne scheint, die blühende Bergstraße erwacht. Welch ein Kontrast zur Krise! Und welch ein Trost in Zeiten der Unsicherheit!
In der Weinheimer Straße in Lützelsachsen fällt er schon länger auf, der silberfarbene Wagen mit dem "Tirol"-Aufkleber. Zum Schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre. Es ist so ruhig in den Straßen. Erstaunlich nur, wie viele Kinder mit den Familienhunden draußen unterwegs sind. Sonst sieht man morgens eher die Mütter oder ganz früh die Väter beim Gassigehen. Aber jede Beschäftigung und jede Ablenkung vom "Homeschooling" sind willkommen. Unten an der Bundesstraße 3 ist es mit der Ruhe vorbei. Es herrscht mehr Verkehr als erwartet.
Auf dem Rad- und Fußweg längs der Schienen der RNV-Linie 5 nach Hirschberg ist wenig los. Zwei Senioren, die hier fast jeden Tag spazieren gehen, sind auch heute da. Ein Gruß, ein Lächeln. Alles wie immer, und sogar am Bahnhof in Großsachsen stehen Menschen, halten Abstand und warten auf die Bahn. Wenn die DFI, die "Dynamische Fahrgastinformation", stimmt, dann warten sie noch zehn Minuten. Eine junge Mutter ist froh, dass überhaupt noch was fährt. "Ich bin drauf angewiesen", sagt sie.
Abstand halten und warten
Vor dem Großsachsener Friedhof steht eine Frau im warmen Anorak auf dem Parkplatz, hat ihre Arme ausgebreitet und dreht sich immerzu im Kreis. Sie lächelt. Nur schnell weiter durch die Weinberge zur Oberen Bergstraße und dann durch Leutershausen in Richtung Schriesheim. Zeit für einen Blick in die Rheinebene. Es ist kalt, recht klar und windig. Aus den Schloten des Mannheimer Großkraftwerks weht der Dampf in nordöstlicher Richtung.
Es sieht aus, wie immer. Als würde das Leben gerade so weitergehen. So scheint es auch in Schriesheim zu sein. Doch die kleinen Details, die anders sind, fallen dadurch umso mehr auf. Winzerwirt Wilhelm Müller fährt mit seinem VW-Bus über die Leutershäuser Straße raus zu seinen Weinbergen. Er lächelt und winkt. Doch bestimmt hat auch er es schwer, weil seine Weinstube geschlossen sein muss.
Dicht ist auch der Branichtunnel, weil es drinnen in der Röhre einen Defekt gab. Vor der Sonnen-Apotheke stehen zwei Kunden geduldig vor der verschlossenen Tür. Sie halten Abstand und warten, bis sie den Verkaufsraum betreten dürfen. Derweil fährt ein Mann im Mercedes vorbei. Er hat seinen Mundschutz unters Kinn gezogen für die Fahrt.
Bis Dossenheim geht es längs der Bundesstraße B3 immer geradeaus. Einzelne Jogger sind unterwegs, viele Radfahrer. Zeit, um über das große Schild nachzudenken, das bei Großsachsen in einem Feld steht. Der Hegehof in Ladenburg kündigt darauf seine erste "Mondscheinnacht" am Maislabyrinth für den 4. Juli an. Mit Live-Musik. Cris Cosmo und Band sollen spielen. Heute klingt das so unrealistisch, gar nicht mehr vorstellbar. Wer weiß, was bis dahin ist. "Und die Welt steht still" passt da als Slogan gerade irgendwie besser.
Auch wenn er auf der großen Zigarettenwerbung, die an der Litfaßsäule in der Dossenheimer Beethovenstraße klebt, ganz anders gemeint sein soll. Und schaut man sich dazu den entspannten, fröhlichen Typ auf dem Plakat an, dann wirkt der fast schon zynisch. Richtig eklig wird es dann auf dem Weg bei den Schrebergärten zwischen Dossenheim und Handschuhsheim. Ein anderer Radfahrer bemerkt nicht, dass sich jemand von hinten nähert und spuckt erst mal nach rechts in die Hecke. Dabei nimmt er den "Verfolger" doch noch wahr, ist völlig überrascht, zieht den Kopf ein und tritt noch etwas kräftiger in die Pedale. Hoffentlich ist ihm selbst sofort klar, dass er gerade was Falsches gemacht hat.
Doch es ist zu schön, um sich lange damit aufzuhalten. Lieber noch in Ruhe durch Handschuhsheim rollen, an der Tiefburg vorbei in die Steubenstraße. Es überrascht wenig, dass es hier so chaotisch zugeht mit dem Begegnungsverkehr wie sonst auch. In der Brückenstraße hat der Blumenhändler viele Obst- und Gemüsekisten vor dem Laden aufgestellt. Frische Lebensmittel gehen zurzeit offenbar besser als Blumen.
Jetzt noch über die Brücke mit einem Blick auf die verwaiste Neckarwiese, dann runter zum Hemingway’s in der Fahrtgasse, das einen mit seinen verrammelten Läden einfach nur frustriert, vorbei am Teeladen meines Vertrauens. Danach absteigen und das Rad durch die stille Fußgängerzone in die Neugasse schieben. Dabei fällt mir ein, dass mein Teevorrat in der Redaktion zur Neige geht. Wenn’s weiter nichts ist.