Moderation Carina Junginger im Gespräch mit Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit. Foto: Stadt Mannheim
Mannheim. (hwz) "Sich der Krise nicht hilflos ausliefern, sondern ihr aktiv etwas entgegensetzen", so lautet zusammengefasst der Rat von Andreas Meyer-Lindenberg zur Corona-Pandemie. Der Psychiater und Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) empfiehlt, sich moderat und nicht mehr als eine halbe Stunde pro Tag aus seriösen Quellen zur aktuellen Lage zu informieren sowie den eigenen Alltag zu strukturieren.
"Halten Sie Routinen ebenso aufrecht wie soziale Kontakte per E-Mail, Telefon oder Video-Call. Trennen Sie Arbeit und Freizeit und überlegen Sie, wie und wo sie andere hilfreich unterstützen können", so Lindenberg im Gespräch mit Moderation Carina Junginger im Anschluss an die Neujahrsansprache von Oberbürgermeister Peter Kurz. Also nicht im Pyjama direkt vom Bett vor den Laptop, sondern anziehen und fertigmachen fürs Homeoffice und gezielt Pausen einlegen.
Dass Corona über verschiedene Wege die Psyche beeinflusst, ist bekannt. "Im Falle einer Erkrankung ganz direkt aufs Gehirn, was sich beispielsweise im Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn äußern kann", so der Leiter des ZI. Aber auch dadurch, dass Schwererkrankte und deren Angehörige den Aufenthalt auf einer Intensivstation mental verarbeiten müssen. Die Angst an Covid-19 zu erkranken, den Arbeitsplatz zu verlieren oder in die soziale Isolation zu geraten, kann sich ebenfalls psychisch negativ auswirken. Gerade hat das Institut untersucht, wie stark sich die Mannheimer Bürger durch die Pandemie belastet fühlen. Nach den Worten von Meyer-Lindenberg ist dabei im Mittel gesehen zwar keine Verschlechterung des psychischen Empfindens festzustellen. "Doch bestimmte Personengruppen sind mehr betroffen als andere", erläutert der Experte. Dass es sich dabei um diejenigen handelt, die im Gesundheitswesen an vorderster Front stehen sowie Menschen, die bereits vor der Pandemie an einer psychischen Störung litten, sei als Ergebnis so erwartet worden. Überraschend sei jedoch, dass nicht die ältere Generation, sondern vor allem junge Menschen, insbesondere junge Frauen, psychische Belastungen zeigen.
Insbesondere dann, wenn sie sich sozial isoliert fühlen. "Jugendlichen das Handy wegzunehmen, ist gerade keine gute Idee", so Meyer-Lindenberg. Insgesamt sei die Kommunikation über Geräte neu zu bewerten. Allerdings in der richtigen Dosis. "Drei Stunden Videokonferenz ist deutlich anstrengender als ein langes Meeting von Angesicht zu Angesicht, weil Interaktion und Mimik des Gegenübers fehlen", erklärt der ZI-Chef. Zu empfehlen sei es, auch ältere Angehörige an die Technik heranzuführen und beispielsweise einen regelmäßigen Video-Chat einzurichten.
Auch das ZI selbst macht sich die neuen Medien zunutze. Da aufgrund der Pandemie weniger Menschen das Institut persönlich aufsuchen, hat man neben zusätzlichen Beratungsangeboten auch Videosprechstunden eingerichtet. Ratsuchende berichten darin beispielsweise von Existenzängsten oder Sorgen um nahe Angehörige. Andere empfinden die häusliche Enge als bedrückend. "Die Videosprechstunden werden gut angenommen, und für uns haben sie den Vorteil, dass wir die Menschen in ihrer Situation abholen und Einblicke gewinnen können, die wir sonst so nicht haben", sagt Meyer-Lindenberg.
Um positiv aus der Krise zu kommen, rät er dazu, in seine Tagesroutine auch körperliche Aktivitäten einzubauen. Dass Sport sich bei Patienten mit einer Depression bewährt habe, sei bekannt. "Doch schon Treppensteigen hilft", sagt er und berichtet von einer aktuellen Studie am ZI, in der gerade die Wirkung von Alltagsbewegung auf die Psyche untersucht wird. Allerdings gibt es auch deutliche Hinweise darauf, dass Sport, Tagesstruktur oder das Gespräch mit Freunden allein nicht helfen. "Wenn jemand sich über gar nichts mehr freuen kann und das positive Erleben komplett wegfällt, sich eine ausgeprägte Schlaflosigkeit abzeichnet oder der Gedanke aufkommt, sich etwas anzutun, dann sollte man umgehend den Arzt kontaktieren", so Meyer-Lindenberg.