Erinnerungsstücke: Marvin Kuhn und Melissa Bangert im Zeitstrom-Haus. Foto: Gerold
Von Manfred Ofer
Mannheim. Die Zukunft eines Orts gründet auch auf seiner Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund hat die städtische Entwicklungsgesellschaft MWSP auf den Konversionsflächen Taylor, Turley, Franklin und Spinelli ein ehrgeiziges Projekt ins Leben gerufen. Unter dem Titel "Maemories" soll die amerikanische Vergangenheit der Areale, aber auch der ganzen Stadt, erlebbar gemacht werden. So soll ein Bewusstsein für das damit verbundene historische Erbe entstehen. Der Name basiert auf dem Zusammenspiel der Worte Mannheim und "Memories", das im Englischen für Erinnerungen steht.
"Der bewusste Umgang mit der Geschichte ist ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung unserer Flächen", macht Melissa Bangert bei einem Gespräch im Clockhouse (Uhrenhaus), einem der vielen Bestandsgebäude aus der Zeit der US-amerikanischen Stationierung an der Bensheimer Straße, deutlich. Bei der MWSP ist sie für den Bereich der Unternehmenskommunikation zuständig. Das aktive Geschichtsprojekt ist für sie auch ein Bildungsauftrag.
"Maemories" ist eine Mammutaufgabe. Für die inhaltliche Betreuung ist Bangerts Kollegin Lea Schmitt verantwortlich. Die Kulturwissenschaftlerin ist mit der Bündelung und Umsetzung einer Vielzahl von Ideen befasst, die im Weißbuch für die Konversion zusammengetragen wurden. Das Buch entstand aus einem offenen Dialog mit Bürgern und intensiver Diskussionen mit Experten."Im Mittelpunkt stand die Frage, wie sich Stadt und Gesellschaft die Zukunft der besagten Flächen vorstellen", geht sie auf die Anfänge im Jahr 2011 ein.
Im Rahmen des Projekts soll die US-Geschichte in Mannheim insbesondere anhand von persönlichen Erzählsträngen veranschaulicht werden. Deshalb arbeiten die Verantwortlichen eng mit ehrenamtlich Engagierten und Zeitzeugen zusammen. Als Projektpartner ist das Marchivum mit im Boot, das einmal die Trägerschaft des Projekts übernehmen soll.
Nach dem Abzug der US-Streitkräfte aus Mannheim wurden die frei gewordenen Flächen einer zivilen und gewerblichen Nutzung zugeführt. So entsteht auf dem Gelände von Franklin derzeit ein modernes Stadtquartier für bis zu 10.000 Menschen. Die bauliche Gestaltung der Zukunft soll mit einer würdigen Außendarstellung der Vergangenheit anhand der auf dem Gelände vorhandenen Relikte aus amerikanischer Zeit einhergehen. Das soll zum Beispiel mithilfe von Führungen und mit Infopunkten an relevanten Orten geschehen.
In diesem Zusammenhang wird auch das Zeitstrom-Haus in "House of Maemories" umbenannt. Bereits 2016 wurde dort unter der Leitung der Kulturellen Stadtentwicklung eine Dauerausstellung untergebracht. Die MWSP hatte das Gebäude – die ehemalige Vorschule – zuvor aufwendig als permanente Ausstellungsfläche hergerichtet. Auf 300 Quadratmetern Fläche wird das Leben der US-Soldaten und ihrer Familien veranschaulicht. Zwei weitere Räume stehen für Workshops zur Verfügung. Der Kitt, der das neue Projekt zusammenhält, sind die Menschen. Eine Reihe von unterschiedlichen Perspektiven sollen dabei vermittelt werden. Einmal die Sicht der Deutschen auf die US-Amerikaner und deren Rolle. Zu Beginn waren die GIs die Sieger, die im Lauf der Zeit zu Bündnispartnern und Freunden wurden. Auch der Blick der Amerikaner auf die Deutschen veränderte sich.
Zu den Anekdoten, die aufgegriffen werden sollen, gehören auch die Disziplinarmaßnahmen, die manche US-Soldaten über sich ergehen lassen mussten. Das Rasenschneiden mit der Nagelschere gehörte zu den skurrilen Sanktionen von Alkoholmissbrauch, die auf der Wiese an der einstigen Franklin-Kapelle vollzogen wurden. Oder das alljährliche Nervenspiel um die Sitzordnung bei der deutsch-amerikanischen Nikolausfeier am Platz der Freundschaft. Zwei Beispiele für die Inhalte geplanter Outdoor-Info-Punkte.
Marvin Kuhn, der als Flächenverwalter für die MWSP arbeitet und sich mit seiner Familie ehrenamtlich um eine der Ausstellungsvitrinen im Zeitstrom-Haus kümmert, hat eine sehr persönliche Bindung zu diesem Thema. Seine Mutter arbeitete als deutsche Zivilangestellte für die US-Streitkräfte. Sie spielt auch eine Rolle in einem der Dokumentarfilme, die von der MWSP im Juli gedreht wurden.
Dabei entstanden Interviews mit sieben Zeitzeugen auf den Konversionsflächen Taylor, Turley, Franklin und Spinelli. Die Kurzfilme sind als Beitrag für das "Maemories"-Projekt gedacht und sollen – ebenso wie ein Printmagazin – zum Ende des Jahres veröffentlicht werden. Als ein Aspekt des Bildungsauftrags, als den die Verantwortlichen ihr Projekt verstehen.