Krimi im Mannheimer Hafenmilieu: Walter Hubert (Peter Weis, links), Albert (Hans Dieter Trayer) und der Schiffsführer (Horst-Werner Loos). Foto: SWR
Von Stefan Otto
Mannheim. Keine drei Monate war die neue Fernsehkrimireihe jung, als vor nunmehr 50 Jahren der "Tatort" zum ersten Mal nach Mannheim führte. So ausführlich und eingehend wie seither nie wieder. Am 7. Februar 1971 eröffnete "Auf offener Straße", der vierte "Tatort" überhaupt, tatsächlich unmittelbar auf offener Straße: mit einer Rangelei im nächtlichen Jungbusch. Einer zückt ein Messer, sticht zu und rennt davon. "Aufgrund von Zeugenaussagen handelt es sich bei dem Täter um einen etwa 24-jährigen Mann in einer Lederhose, mit kurz geschnittenem Haar. Der Täter ist flüchtig", heißt es wenig später im Polizeifunk, noch bevor der "Tatort" so richtig beginnt – auf dem Rhein mit dem Täter noch vor seiner Tat.
Der Norddeutsche Peter Weis, der heute noch Hörspiele einspricht und Filme synchronisiert, spielt Walter Hubert, der im Mannheimer Hafen ankommt. Das nachfolgende Drama entwickelt sich ganz allmählich. Zu langsam, vielleicht, für Fernsehzuschauer, die die heute gewohnte Krimi-Dramaturgie erwarten.
"Auf offener Straße", der erste "Tatort" des SDR (der mittlerweile im SWR aufgegangen ist), schildert mit Bedacht die Vorgeschichte der eruptiven Gewalttat, die am Anfang nur kurz angerissen wird, vorweggenommen, um einzustimmen und Spannung aufzubauen. Was die Kommissare heute meist im Nachhinein aufrollen, zeigt dieser frühe "Tatort" sozusagen in chronologischer Reihung. Die Genese eines Verbrechens, begangen von einem Menschen, der sich gar zu naiv durch Mannheim bewegt.
Vom Frachtschiff aus Oestrich und der Anlegestelle im Rhein zieht es den Matrosen zu Milly (Irmgard Rießen) in der Cha-Cha-Cha-Bar. Ein Besuch, der dem hoffnungsvoll Verliebten viel bedeutet und deshalb verschiedener Vorkehrungen bedarf. In einem Fotoautomaten im Hauptbahnhof lässt er schüchtern lächelnd Passbilder schießen und in einem Laden ersteht er ein Armbändchen mit Anker. Aus reinem Silber, wie die Verkäuferin mit echt Kurpfälzer Sprachmelodie betont. Beides Geschenke für Milly. Weil er damit jedoch bei ihr nicht landen kann und ihm nach dem ersten Abend das Geld schon ausgegangen ist, schlägt er sich den Rest dieser Nacht und den nächsten Morgen ziellos um die Ohren.
Immer wieder nimmt der Mannheimer "Tatort" sich reichlich Zeit für jene Sequenzen, die heute den ganz besonderen Reiz dieses Frühwerks ausmachen. Ganz viel Lokalkolorit und noch mehr Zeitkolorit steckt in den Bildern, wenn der Süßwassermatrose etwa beobachtet, wie ein Gebäude abgerissen wird, über den Marktplatz geht, auf dem ein Mädchen Reste zusammensammelt, oder im alten Eisstadion einem Spiel des Mannheimer ERC gegen den EV Füssen beiwohnt.
Die Ermittlungen der Kriminalpolizei spielen eine untergeordnete Rolle. Kommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher) gibt sein "Tatort"-Debüt erst in der zweiten Hälfte dieses nur knapp 70-minütigen Krimis. Und die Spurensicherung, die aus heutiger Sicht geradezu fahrlässig arbeitet, amüsiert sich darüber, dass er mit einer "Maxdorfer Sommersuppe" einen Kochwettbewerb gewonnen hat. "Neulich hat er mich dazu eingeladen. Du, da vergisst du dich selbst."
Info: Der "Tatort" ist bis 30. Juni täglich von 20 bis 6 Uhr in der SWR-Mediathek unter diesem Link abrufbar.