Helga Bauer zapft seit 30 Jahren Bier in ihrer kleinen Kneipe in der Gartenstraße. Foto: Partner
Von Marco Partner
Mannheim. Einmal im Jahr ist es wieder so wie früher. Wenn am heutigen Freitagabend irische Live-Musik aus der Kneipe in der Gartenstraße ertönt, ist Helga Bauer voll in ihrem Element. Dann steht die 68-Jährige hinterm Tresen – und macht ihrem Lokal-Namen alle Ehre: "Helga’s Zapfhahn" ist eine von über 30 Stationen, welche die Neckarstadt-West bei der Lichtmeile an diesem Wochenende in einen kulturellen Erlebnisparcours voller Musik, Kunst und Lesungen verwandelt.
"Früher war es hier gerammelt voll, da musste man die Leute fast rausprügeln", erinnert sich die Wirtin. Doch früher, das ist auch ziemlich lange her. Im Jahre 1989, kurz vor dem Mauerfall, gründete die gebürtige Lampertheimerin, die zuvor in der Hanfstube in Sandhofen arbeitete, ihre eigene Schänke. In diesem Jahr feiert sie also ihr 30. Jubiläum.
Vor allem in den 90er-Jahren brummte der Laden, der zu Großteilen noch so urig aussieht wie zur ersten Stunde. Mit dunkelbraunen, rustikalen Tischen und Stühlen, einer langen Theke – und ein paar Spielautomaten in der Ecke. Viele, überwiegend männliche Arbeitnehmer gingen nach ihrer Schicht nochmal auf ein Bier zur Helga. Manchmal wurden ein paar mehr daraus. An den Wochenenden wurde groß und lange gefeiert und vier Mal im Jahr spannende Cäsar-Karten-Turniere ausgefochten.
Doch nicht nur das Viertel hat sich über die Jahrzehnte gewandelt, sondern auch die Zeiten – und die Ausgeh-Gewohnheiten. "Viele Stammgäste sind mittlerweile unter der Erde. Und jede Nationalität hat fast ihr eigenes Lokal. Auch Cäsar kennt kaum einer mehr", weiß Helga Bauer, und musste mit den Jahren auch so manche Änderung hinnehmen. Als 2007 das Rauchverbot für Gaststätten und Kneipen aufkam, musste sich die Wirtin entscheiden. Bisher bot sie ihren Gästen nämlich zur Mittags- und Abendzeit ein "Stammessen" an. Doch ihre treue Kundschaft mit den Glimmstängeln wollte sie nicht vor die Tür setzen.
Also wurden die Gerichte aus der Karte gestrichen. Doch in der Küche brutzelt es weiter: Gerade beim jüngeren Publikum ist Helga für ihre Pommes beliebt. Von einem kleinen Kiosk-Fenster aus versorgt die Wirtin tagsüber die Kinder der gegenüberliegenden Humboldt-Grundschule mit Fritten, Süßkram und im Sommer mit Kratzeis. So hat sie die Nachbarschaft immer im Blick, kommt über die Runden, und sieht, wie zahlreiche Geschäfte und Lokale öffnen – und wieder schließen.
"Aber die kleine Kneipe in unserer Straße gibt’s noch immer. Und das ist in der heutigen Zeit ein Hoffnungsschimmer", heißt es in einem Gedicht, das "Helga’s Zapfhahn" zum 25. Jubiläum gewidmet wurde. Wie lange sie selbst noch am Tresen stehen wird? "So lange, bis mir die Hände und Füße abfallen", sagt sie scherzhaft, aber aus Überzeugung. Doch auch sie glaubt nicht daran, dass nach ihr die Kneipe fortbestehen wird.
Ab und an geht es aber auch in der ruhig gewordenen Kneipe wieder richtig laut zu. Im Sommer, alle zwei Jahre, wenn mit der Europa- und Weltmeisterschaft die Fußball-Hochzeit eingeläutet wird. Vor allem das Jahr 2014 hat Bauer in guter Erinnerung. Obwohl der Weltmeister-Titel von "Jogis Jungs" fast den finanziellen Kollaps für ihre Kneipe bedeutete. Dass das Finale gegen Argentinien bis zur 120. Minute spannende blieb und Mario Götze das einzige Tor erzielte, kam der Wirtin gerade recht.
"Bei jedem Deutschland-Tor gab ich eine Runde Freibier aus", verrät sie. Doch als Klose, Kroos und Co. im Halbfinale Gastgeber Brasilien mit 7:1 bezwangen, kam die Wirtin mit dem Ausschenken gar nicht mehr hinterher. Seit Jahren offene Bier-Deckel-Rechnungen sollten beglichen oder zumindest Gutschriften auf die Pappuntersetzer gekritzelt werden. Nicht aber mit Helga, die schneller schaltete als die brasilianische Verteidigung, und fortan nur noch Frei-Schnäpse statt Bier servierte.
Für solche Momente liebt die Wirtin ihre Arbeit. Und freut sich auf die "Neckarstädter Nächte" zur Lichtmeile. Jahrelang ging das kleine Kulturfestival sprichwörtlich an ihr vorbei. Erst seit letztem Jahr ist sie ein Teil davon. "Es war ein absoluter Erfolg, richtig überfüllt", erklärt sie.
In diesem Jahr wird die waschechte Irish-Rock- und Folk-Band J.P. Kennedy für Stimmung sorgen. Zudem gibt es passend zum irischen Setting ein kräftiges Bier von der Grünen Insel. Und natürlich auch Whiskey.
Info: Das Kulturfestival "Lichtmeile" startet am heutigen Freitag von 19 bis 23 Uhr mit "Neckarstädter Nächten". Der Samstag liegt traditionell in den Händen der Künstler. Am Tag des offenen Ateliers gibt es von 18 bis 23 Uhr Malereien, Grafiken und Foto-Ausstellungen zu bestaunen. Am Sonntag, 17. November, gilt es von 16 bis 21 Uhr Literatur an ungewöhnlichen Orten zu entdecken, zum Beispiel gibt es eine Lesung in einer Ausnüchterunsgzelle. Außerdem ist von 13 bis 17 Uhr ein buntes Kinder-Programm mit Figurentheater vorgesehen.