Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Ein Jahreswechsel ist immer auch ein Anlass, zurückzublicken. Wir wollen an dieser Stelle einen etwas anderen Rückblick wagen – einen auf unvergleichliche und mitunter auch skurrile Jahreswechsel und die entsprechende Berichterstattung unserer Zeitung in 75 Jahren RNZ-Geschichte.
> "Warum Prosit?": Anstoßen auf das neue Jahr – dazu gibt es beim ersten Jahreswechsel nach dem Krieg noch keinen Anlass. "Kalendermäßig nehmen wir Abschied von 1945, erinnerungsmäßig nie!!!", heißt es in der RNZ vom 1. Januar 1946. "Aufgaben harren unser an allen Ecken und Enden, wenn wir unser nacktes Leben verdienen wollen", mahnt der Autor die Leserschaft. Man trete mit vertrauender Hoffnung in das neue Jahr, aber diese Hoffnung sei mit Leid und Würde und größter Bescheidenheit gepaart. "Warum", fragt der Autor, "also Prosit?"
Bescheiden zeigt sich auch Oberbürgermeister Ernst Walz im RNZ-Gespräch. Als Ziel für das kommende Jahr gibt er den Wiederaufbau der Alten Brücke aus. Darüber hinaus, erinnert Walz den Reporter, liege aber noch zu viel im Ungewissen, die kommenden Entwicklungen seien noch zu schwer durchschaubar, als dass man sich schon mit festen Plänen befassen könne.
> Ein Bild wie aus Tausend und einer Nacht: Einige Jahre später geht es schon ausgelassener zu. "Noch gestern Nachmittag roch es auf den Straßen der Stadt Heidelberg nach abgebrannten Feuerwerkskörpern", heißt es in der RNZ vom 2. Januar 1953. "Wer zu mitternächtlicher Stunde auf die Höhe des Heiligenbergs gestiegen war, und hinunter auf die Stadt blickte, erschaute ein Bild wie aus ,Tausend und einer Nacht’. (...) Es rumste, ballerte und jaulte, als ob ein Hexensabbat losgelassen worden wäre."
Auch wenn die fetten Wohlstandsjahre noch bevorstehen, zeichnen sie sich in der Silvesternacht 1952/53 bereits ab. Denn die Heidelberger trinken nicht mehr nur selbst gebrauten Glühwein, auch "knallten die Sektpropfen, so dass man durchaus nicht mehr vom Sekt als einem ,Plutokratengetränk’ sprechen kann". Doch es ist nur ein kurzer Moment des Genusses. "Auch im kommenden Jahr", schreibt der RNZ-Autor, "werden wir immer noch mit Wasser kochen, werden harte Nüsse zu knacken haben. Daran ist nicht zu tüfteln: bereits heute Morgen hat uns der Alltag wieder in der Hand!"
> Frisch geimpft: Der Jahreswechsel 1958/59 steht noch unter dem Eindruck einer unschöne Begegnung mit einem Virus – wenn auch nicht so intensiv wie 2020. Im Dezember 1958 waren in der Ludolf-Krehl-Klinik in Bergheim die Pocken ausgebrochen. Stationsarzt Dr. Josef Krump hatte die lebensgefährliche Infektionskrankheit aus Indien mitgebracht. Doch schnell gab es die ersten Impflokale, noch kurz vor dem Jahreswechsel waren mehr als 27.000 Heidelberger geimpft.
Die Spuren des Nadelstichs zeigen sich in der Silvesternacht: "Wo der dunkle Anzug und das Abendkleid dominierten, gab das Dekolleté der Damen meist ein kleines Pflästerchen am Arm frei", beobachtet ein RNZ-Reporter – und formuliert einen Satz, der so oder so ähnlich auch in unserer Neujahrsausgabe 2021 stehen könnte: "Es gehörte zu diesem Jahreswechsel wie der Sekt, in dem wohl überall die Hoffnung perlte, dass uns das neue Jahr das Ende des Schreckens bringen werde, der durch die plötzlichen Erkrankungen ausgelöst worden war."
> Willkommen Ziegelhausen: Das neue Jahr 1975 beschert Heidelberg einen weiteren Stadtteil: die bisherige Nachbargemeinde Ziegelhausen. Zum Jahreswechsel findet aus diesem Anlass ein Stehempfang mit Vertretern beider Gemeinderäte und des öffentlichen Lebens statt. Mit Ziegelhausen sei Heidelberg nicht so sehr größer, "aber sehr viel schöner, die Gesamtaufgabe reizvoller geworden", erklärt Oberbürgermeister Reinhold Zundel. Er überreicht Ziegelhausens bisherigem Bürgermeister Richard Bollschweiler die Ernennungsurkunde zum technischen Direktor.
Der Schilderdienst der Gemeinde hat seine Aufgabe da bereits erfüllt: Bereits am 1. Januar weisen die Straßenschilder Ziegelhausen als einen Ortsteil von Heidelberg aus.
> Lauter Matsch und Dreck: 1977 beginnt für die Heidelbergerinnen und Heidelberger mit einer Enttäuschung. "Freudig waren viele ausgezogen, die zu Weihnachten neu geschenkten Schlittschuhe, Skier oder Rodel endlich auszuprobieren", ist in der RNZ vom 3. Januar zu lesen, "da setzte das Wetter diesen Erwartungen ein energisches ,Jetzt nicht’ entgegen." Regen und milde Temperaturen zur Jahreswende hatten Schnee und Eis der vergangenen Tage tauen lassen. "Die (...) groß angekündigten Eislaufflächen beim Haus der Jugend in der Römerstraße und auf dem Neckarvorland fielen ins trübe Wasser eines winterlich diesigen Neujahrstages. Auch auf den Bergen war mit Ausnahme einiger Waldschneisen am Königstuhl nichts mehr zu machen. Lauter Matsch und Dreck", schreibt die RNZ. Dies führt dazu, dass viele, die in freudiger Erwartung eines schönen Wintertages auf den Königstuhl, den Kohlhof oder zur Posseltslust gefahren waren, wieder den Heimweg antreten müssen.
> Eine Stadt in Froststarre: Zwei Jahre später sieht die Situation ganz anders aus. "Kältesturz an Silvester und Neujahr: Heidelberg von Frost und Schnee aufs Eis gelegt", titelt die RNZ in ihrer Ausgabe vom 2. Januar 1979. Der Winter meldet sich zurück – "mit all seinen Schrecken". In nur wenigen Stunden fallen die Temperaturen in der Silvesternacht bis auf minus 14 Grad, Schneeregen und Glatteis "scheuchten Verkehrsteilnehmer von den Straßen". Städtische Arbeiter werden von der Silvesterfeier im Familienkreis abberufen. "Um die Froststarre zu sprengen" müssen Split und Sand herhalten. Doch es bleibt rutschig: Um den Jahreswechsel registriert die Heidelberger Polizei 44 Unfälle mit sechs Verletzten.
Empfindlich trifft die Witterung auch die Tiere im Heidelberger Zoo. Am Vormittag des 1. Januar werden im Tiergarten minus 17 Grad gemessen, weshalb sich Zoodirektor Dieter Poley dazu entschließt, die Freigehege weitgehend zu räumen.
> Eisbahnen überall: Ein "krachendes Spektakel über Altstadtdächern" ereignet sich in der Nacht vom 31. Dezember 1995 auf den 1. Januar 1996. "Geradezu verschwenderisch" seien die Heidelberger mit ihren pyrotechnischen Spielereien umgegangen, berichtet die RNZ. Ob es an der Vorfreude auf den 800. Geburtstag der Stadt liegt? Gut hinein rutscht man in dieser Nacht jedenfalls leicht. Eisregen, berichtet die RNZ, hatte in kürzester Zeit "Bürgersteige und Straßen im gesamten Stadtgebiet und im Rhein-Neckar-Kreis in Eisbahnen verwandelt".
Für Autofahrer wird jeder Kilometer zur Zitterpartie, während Fußgänger "alle Mühe" haben, sich auf den Beinen zu halten. Der lokale Streudienst ist pausenlos im Einsatz, bis zum Neujahrstag versprüht er 100 Tonnen Salz und 10.000 Liter Lauge im Stadtgebiet. Abhilfe schafft dies kaum. Die Bilanz am Ende der Silvesternacht: 70 glättebedingte Unfälle mit einem Sachschaden von 285.000 Mark, 20 Personen mit Knochenbrüchen und Platzwunden.
> Ein vernebeltes Millennium: Der Glanz des neuen Jahrtausends verschwindet in Heidelberg im Pulverdampf. "Ganze Völkerwanderungen", heißt es in der RNZ vom 3. Januar 2000, waren in Richtung Theodor-Heuss-Brücke gezogen, um die Jahrtausendwende live mitzuerleben – "mit Sekt und Thermoskanne, Raketen und Böller, Kind und Kegel". Als der Zeiger die 0 Uhr erreicht hat und die Beleuchtung in der Altstadt ausgeht, "kannte das Kreischen und Jubilieren kein Halten mehr".
Von einem Feuerwerk ist da schon nicht mehr viel zu erkennen. Dunst und Rauchschwaden berauben das geplante "Superfeuerwerk" seiner Strahlkraft. "Die Alte Brücke war nun nicht einmal mehr schemenhaft zu erahnen", schreibt die Autorin. "Ein bis zwei Mal erstrahlte in der Ferne eine besonders schöne Rosette am Himmel. ,Das muss wohl das Feuerwerk sein’, sagte da der eine ergriffen zum anderen."
Spektakulärer geht es in der Universitäts-Frauenklinik zu, wo knapp eineinhalb Stunden nach Mitternacht die ersten Drillinge Deutschlands in diesem Jahrtausend geboren werden. Sie heißen Lena, Luisa und Sarah. Da die "Milleniumsdrillinge" deutlich zu früh dran sind, müssen sie die ersten Tage des neuen Jahres allerdings im Brutkasten verbringen.
> Schlachtfeld oder alles wie immer?: Mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit ist es manchmal so eine Sache, gerade in einer feucht-fröhlichen Silvesternacht. Erik Bertram, Vorsitzender der CDU Altstadt/Schlierbach, verbringt den Jahreswechsel 2018/19 auf der Theodor-Heuss-Brücke. Was er erlebt, schockiert ihn derart, dass er sich dazu veranlasst sieht, am Tag darauf eine Pressemitteilung in die Welt zu schicken. "Auf beiden Seiten der Brücke standen rivalisierende Clans, die sich schon vor Mitternacht gegenseitig mit Raketen beschossen", schildert Bertram darin seine Beobachtungen. Er spricht von Häusern und Straßenbahnen, die unter Dauerbeschuss standen. "Es war das reinste Chaos", so Bertram, "das waren Szenen wie auf einem Schlachtfeld."
Die Heidelberger Polizei widerspricht Bertrams Beobachtungen. Dass es im Bereich der Theodor-Heuss-Brücke zu solchen Vorfällen gekommen sei, könne man nicht bestätigen, sagt ein Sprecher. "Es war keine ruhige Nacht, aber eben auch keine schlimme Nacht."
Bertram fordert anschließend ein allgemeines Feuerwerksverbot in der gesamten Heidelberger Innenstadt. Doch seine Forderung verraucht schneller als so manches Feuerwerk – auch weil nicht einmal die eigenen Parteifreunde hinter Bertrams Aussagen stehen. Fraktionsvorsitzender Jan Gradel war in der Silvesternacht selbst auf der Theodor-Heuss-Brücke. Davon, was Bertram von dort berichtet hatte, habe er nichts mitbekommen. Es sei "eigentlich alles wie immer" gewesen, sagt Gradel gegenüber der RNZ.
Der Jahreswechsel 1978/79 gerät zur Rutschpartie. In nur wenigen Stunden fallen die Temperaturen in der Silvesternacht auf minus 14 Grad. Die Folge: 44 Unfälle mit sechs Verletzten. Foto: RNZ-Repro