Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Der 22-Jährige, der wegen Vergewaltigung einer Frau in Kirchheim am Landgericht angeklagt war (die RNZ berichtete), ist am Mittwoch freigesprochen worden. Der "rechtsstaatliche Fundamentalgrundsatz", im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, habe die Kammer zu dem Urteil geführt, sagte Richter Markus Krumme in der Urteilsbegründung. Sowohl Anklage als auch Verteidigung hatten beantragt, den Mann freizusprechen.
Was am 18. Juni 2020 in dem Park passierte, konnte das Gericht nicht vollständig klären. "Das ist sicherlich unbefriedigend", sagte Krumme. Sicher ist, dass die Frau von einer Feier in der Altstadt kam und kurz nach 23 Uhr in eine Straßenbahn Richtung Kirchheim gestiegen ist. Der 22-Jährige nahm dieselbe Bahn, nachdem er auf der Neckarwiese Bier getrunken hatte. "Sie kamen ins Gespräch, beide waren gut gelaunt, sprachen über Privates", so Krumme. Weil sie sich gut verstanden hätten, stiegen sie an der Haltestelle Ilse-Krall-Straße gemeinsam aus, um noch etwas Zeit zusammen zu verbringen. "Davon ist die Kammer überzeugt." Hier habe sie ihm "sehr wahrscheinlich" Bilder von ihren Kindern, dem Haustier und sich selbst gezeigt. "Was dann passierte, ist in großen Teilen offen." Klar ist, dass es zum Geschlechtsverkehr kam. Auch stehe fest, dass die Frau später "aufgelöst war, zu weinen begann" und den Notruf anrief.
Die Kammer "konnte nicht anders entscheiden", erklärte der Vorsitzende Richter, obwohl sie es "ausdrücklich für nicht unwahrscheinlich hält", dass der Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Frau stattgefunden habe. Doch es bestanden "Zweifel, welche die Kammer nicht überwinden konnte". Bei der Frage, was genau in der Nacht passierte, stand Aussage gegen Aussage. Objektive Beweise fehlten größtenteils. Bevor der Staat einen Angeklagten ins Gefängnis schickt, muss die Kammer deshalb die belastende Aussage genau prüfen – so fordern es die höchsten deutschen Strafrichter am Bundesgerichtshof.
Dieser Überprüfung konnte die Aussage der Frau nach Ansicht der Kammer nicht standhalten. Auffallend sei, dass sie sich an Dinge, die sie bei der Polizei geäußert hatte, nicht mehr erinnerte. Die Richter hätten ihr mehrmals Auszüge aus den Protokollen vorhalten müssen. Ihre Beschreibung sei dann "blass, farblos, wenig anschaulich" gewesen, so Krumme: "Es wirkte nicht wirklich erlebnisbasiert." Mit so starken Emotionen verbundene Ereignisse blieben eigentlich im Gedächtnis: "Es ist kaum vorstellbar, dass man so etwas vergisst."
Die Frau habe ihre Aussage auch immer wieder geändert. Bei der ersten Vernehmung durch die Polizei erzählte sie, sie habe den 22-Jährigen nicht gekannt und er habe sie im Park abgepasst. Bei der zweiten Vernehmung gab sie an, sie kenne ihn vom Basketballplatz am Park, wo er öfter gespielt habe. In der Hauptverhandlung selbst sagte sie aus, sie kenne ihn von der Neckarwiese und erklärte, sie habe mit ihm in der Straßenbahn gesprochen. "Das war die dritte Version, ob und woher sie ihn kannte", fasste Krumme zusammen. Dass sie am Anfang weggelassen hatte, mit ihm in der Straßenbahn gesessen und sich unterhalten zu haben, sei "noch nachvollziehbar aus der Opferperspektive", so Krumme. Aber sie habe in der Verhandlung selbst nicht erklären können, warum sie es verschwiegen hatte.
Wenig plausibel erschien den Richtern zudem der von ihr geschilderte Ablauf des Abends. Für Gespräch, Musikhören, Tanzen und Fotos zeigen – wie sie es in der Verhandlung schilderte – sei die Bahnfahrt zu kurz gewesen. Auch der "plötzliche Stimmungsumschwung", den sie während der Bahnfahrt gehabt haben will, sei schwer nachzuvollziehen. Sie sagte aus, ihr sei plötzlich nicht mehr gut gewesen und dann habe sie nichts mehr von dem 22-Jährigen wissen wollen. Warum sie dann, als sie gemerkt habe, dass er ihr folgt, nicht an der Straße, sondern durch den unbeleuchteten Park gegangen sei, sei ebenfalls unverständlich. Dann soll er sie am Handgelenk meterweit gezerrt haben. Dabei ist die Frau nicht nur größer als der Angeklagte, sondern wiegt doppelt so viel wie er.
Der Richter betonte aber, dass der Frau keinesfalls eine bewusste Falschaussage unterstellt werde. Ihre Betroffenheit vor Gericht und bei der Polizei habe echt gewirkt. Es spreche auch für sie, dass sie noch vom Park aus bei der Polizei anrief und ein Motiv für eine Falschaussage "auf den ersten Blick kaum ersichtlich" sei. Dieses könnte sich aber in ihrer psychischen Verfassung finden: "Es ist denkbar, bleibt aber Spekulation", so der Richter.
Für den Angeklagten sprach, dass seine Aussage "aus sich heraus nicht zu widerlegen ist", sagte Krumme. Auch hätten sich Versatzstücke wie das Zeigen der Bilder als wahr erwiesen. Zwei Zeugen aus der Bahn erklärten ebenfalls, dass er und die Frau nach einem Gespräch gemeinsam ausgestiegen seien. Doch: "In einigen Punkten wirkte die Aussage wie an den Haaren herbeigezogen", so Krumme. Ein Falschbelastungsmotiv zu konstruieren, indem er ihr unterstellte, sie habe ihn aus Unzufriedenheit angezeigt, sei Unsinn. Genau wie die Behauptung, sie habe ihn mit Drogen versorgen wollen, damit er sie für sie verkauft.
Doch auch wenn die Kammer ihm das nicht glaubte, "am Ende blieben unüberwindbare Zweifel" an seiner Schuld, erklärte Krumme. Und es gehöre zum Grundsatz unseres Rechtsstaates, dass sich in der Beweiswürdigung jeder Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken muss.