Studienleiter Dr. Andreas Deckert mit einem der kleinen Testkits: Ein Teil der Probanden bekommt ein Röhrchen mit Kochsalzlösung zugeschickt, mit der sie gurgeln sollen. So erzeugen sie eine Speichelprobe, die dann im Labor mit einem neuen Verfahren ausgewertet wird. Foto: Rothe
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Mit einer Großstudie und mehr als 28.000 Probanden testet das Universitätsklinikum Heidelberg jetzt eine neue Strategie zur Entdeckung von mit dem Coronavirus infizierten Personen. Die Studie "Virusfinder" wird vom Bundesforschungsministerium finanziert. Im Erfolgsfall könnte eine daraus folgende Strategie bundesweit eingesetzt werden. Ein Überblick:
Wie ist die Ausgangssituation? Zur Zeit tragen viele Personen ohne Symptome das Coronavirus unerkannt weiter. Nach aktuellem Forschungsstand verlaufen etwa 40 Prozent der Infektionen symptomfrei und werden größtenteils nicht identifiziert. Das macht die Abschätzung der genauen Infektionslage und Prognosen zur Auslastung des Gesundheitssystems extrem schwierig.
Was ist das Ziel der Studie? Gesucht wird eine Strategie, um infizierte, aber symptomfreie Personen frühzeitig zu erkennen. Ziel ist eine leicht umzusetzende und zugleich kostengünstige Teststrategie, mit der ein Anstieg der Infektionszahlen großflächig überwacht werden kann. "Wir benötigen Flächentestungen, um die Rolle der symptomlosen Sars-CoV-2-Infektionen bei der Ausbreitung der Pandemie besser verstehen und Hotspots früh identifizieren zu können", sagt Studienleiter Dr. Andreas Deckert vom Heidelberger Institut für Globale Gesundheit am Uniklinikum. "Wenn wir die tatsächliche Ansteckungsrate kennen, werden wir in der Lage sein, rechtzeitig und, wenn möglich, lokal begrenzte Gegenmaßnahmen zu treffen." Gelinge dies hingegen nicht, "schlittern wir auch zukünftig möglicherweise von einem Lockdown in den nächsten".
Welche Teststrategie wird in der Studie ausprobiert? Die Probanden werden zunächst in zwei Gruppen unterteilt: Im Päckchen, das der ersten Gruppe zugeschickt wurde, liegt ein Röhrchen mit Kochsalzlösung, mit dem die Teilnehmer gurgeln sollen. Diese Speichelprobe schicken sie dann an die Uniklinik zurück. Die zweite Gruppe beantwort zunächst einen Online-Fragebogen zu potenziellen Corona-Symptomen. Nur bei Hinweisen auf eine Sars-CoV-2-Infektion werden diese Teilnehmer ebenfalls um die Speichelprobe gebeten. Jede der beiden Gruppen wird zudem noch einmal geteilt: In der einen Hälfte werden nur Einzelpersonen getestet, in der anderen auch alle, die im selben Haushalt leben – die Studie soll zeigen, welches Vorgehen sinnvoller ist.
Die Abgabe einer Speichelprobe ist im Vergleich zum aktuell bei Coronatests gängigen Rachenabstrich angenehmer – und ist für jeden zu Hause leicht durchzuführen. Diese Probe wird im Labor dann auch nicht mit der jetzt üblichen PCR-Methode ausgewertet, sondern mit dem sogenannten Lamp-Verfahren. Dieses wurde in Heidelberg mitentwickelt und ist bislang nur für die Forschung zugelassen. Laut Deckert ist es fast genauso zuverlässig, aber einfacher zu handhaben als der PCR-Test – und deutlich günstiger. Mit diesem Verfahren kann ein Labor im gleichen Zeitraum viel mehr Personen testen als bisher.
Wie läuft die Studie konkret ab? 28.125 Menschen aus Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis bekommen in diesen Tagen Post vom Uniklinikum – schon letzte Woche gingen die ersten Sendungen raus. Die Probanden aus allen Altersgruppen wurden per Zufallsverfahren aus dem Melderegister ausgewählt. Diese Abfrage ist rechtlich möglich, da die Studie im öffentlichen Interesse liegt (§ 46 Bundesmeldegesetz). Die Teilnahme an der Studie, die bis Weihnachten dauert, ist natürlich freiwillig.
Wieso sollten die angeschriebenen Probanden mitmachen? "Die Probanden leisten einen wichtigen Beitrag zur zukünftigen Kontrolle der Pandemie", betont Studienleiter Deckert. Das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises hat als Kooperationspartner alle zuständigen Einwohnermeldeämter kontaktiert und stellt zudem die Infrastruktur für die Telefonhotline im Rahmen der Studie: Es garantiert allen Teilnehmern neben Anonymität höchste Proben- und Datensicherheit.
Was passiert, wenn Probanden positiv getestet werden? Fällt das Testergebnis mit der neuartigen Labormethode positiv aus, erhalten die Teilnehmer ein vorläufiges Ergebnis, das dann mit der etablierten PCR-Methode überprüft wird. Bestätigt sich das Ergebnis, wird dies dem Gesundheitsamt mitgeteilt, das die Betroffenen dann kontaktiert und über weitere Maßnahmen wie etwa Quarantänebestimmungen informiert.
Welche Erkenntnisse könnte die Studie bringen? Die Forscherinnen und Forscher erhoffen sich viele Erkenntnisse, im Vordergrund stehen aber zwei Fragen: Ist die Haushalts- oder die Einzeltestung sinnvoller? Und ist eine vorgeschaltete Symptomabfrage oder die direkte Abgabe einer Speichelprobe zielführender? Am Ende steht im Idealfall eine Strategie, die den logistischen Aufwand für Flächentestungen möglichst gering (und günstig) hält – und die Anzahl der gefundenen Infektionen zugleich maximal erhöht.
Was passiert mit den Ergebnissen der Studie? Die Ergebnisse werden dem Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt und sollen bei der Einführung geeigneter Methoden zur Flächentestung der Bevölkerung helfen. Wenn alles gut läuft, könnte die Strategie, die sich im Rahmen der Studie bewährt, im Jahr 2021 flächendeckend eingeführt werden.