Heidelbergs OB Würzner geht mit Impfgegnern hart ins Gericht
Eckart Würzner befürwortet eine Impfpflicht und die 2G-Regel. Im Interview geht es auch um die Pfingstrandale, Gratis-Nahverkehr und die Wahlen.

Von Sebastian Riemer & Holger Buchwald
Heidelberg. Für das große Sommerende-Interview traf die RNZ Oberbürgermeister Eckart Würzner (59) am Neckarort an der Ernst-Walz-Brücke. "Hier ist immer was los, viele junge Leute, direkt am Fluss – ein toller Ort", sagt er. Das parteilose Stadtoberhaupt ist mit dem Rad gekommen. Er zieht den Helm ab, dann das Sakko aus, setzt sich mit einer Cola in den Strandstuhl – und schon geht’s los.
Herr Würzner, was war der Höhepunkt Ihres Sommers?
Mal wieder entspannt Urlaub machen zu können. Wir waren bei traumhaftem Wetter mit der kompletten Familie in Holland am Meer. Besser geht’s nicht.
In Heidelberg schlug im Sommer das Thema Neckarwiese hohe Wellen. Nach den Pfingstkrawallen am 22. Mai hat die Stadt ein abendliches Aufenthaltsverbot verhängt. Halten Sie das in der Rückschau noch immer für den richtigen Weg?
Auch interessant
Sonst halte ich wenig von Verboten, aber hier war es richtig. Das Pfingstwochenende hat uns alle geschockt. Da wurden über 20 Streifenwagen beschädigt, Flaschen auf Beamte geworfen: Das waren hochaggressive, teilweise polizeibekannte Personen – die haben in Heidelberg nichts zu suchen. Also haben wir konsequent reagiert, um die Neckarwiese wieder sicher zu machen.
Die Wiese war an sieben Wochenenden abends gesperrt, teilweise schon ab 21 Uhr. Das ist ein drastisches Vorgehen bei dieser beliebten Freizeitfläche.
Mein Ziel war, die Sicherheit so schnell wie möglich wieder herzustellen. Auch wegen der Aufrufe in sozialen Medien, für Krawalle an die Neckarwiese zu kommen, ging es leider nicht kürzer.
Aber wurde das Problem nicht lediglich verlagert? Die Krawallmacher trieben stattdessen in der Altstadt ihr Unwesen.
Deshalb haben Polizei und Stadt ihr Aufgebot massiv erhöht – und haben auch in der Altstadt die Lage in den Griff bekommen.
Viele jüngere Heidelberger fanden das Signal des Aufenthaltsverbots fatal zu einer Zeit, als endlich wieder mehr soziales Leben draußen möglich war.
Ich bin bestens vernetzt mit jungen Menschen, nicht zuletzt auch durch meine Familie. Da bekam ich eher die Rückmeldung, dass viele sich gar nicht mehr auf die Neckarwiese trauten – und jetzt froh sind, dass es dort wieder sicher ist.
Am 31. Juli feierten erstmals Hunderte Teenager im Feierbad im Neuenheimer Feld. Warum kam dieses Angebot so spät?
Das sehe ich anders: Ich habe schnell eine Arbeitsgruppe aufgesetzt, wir haben mit den Jugendlichen gesprochen und eine Alternative in kürzester Zeit auf den Weg gebracht.
Aber Sie haben das Thema einer alternativen Fläche zum Feiern für Jugendliche doch erst viele Wochen nach den Pfingstkrawallen überhaupt aufgegriffen.
Um ehrlich zu sein: Es hat mich überrascht, dass kein anderer solche Angebote geschaffen hat. Die öffentliche Hand kann nicht alles übernehmen. Es gibt viele Einrichtungen, die so etwas in kürzester Zeit auf die Beine stellen können. Aber da kam nichts.
Es ist ja auch ein Minusgeschäft: Die Stadt hat viel Geld ausgegeben, damit die Jugendlichen sich das Feierbad leisten können. Ein Clubbetreiber könnte die Getränke doch gar nicht so günstig anbieten.
Der Karlstorbahnhof wird für 25 Millionen Euro neu gebaut, die Halle 02 mit fast sieben Millionen Euro saniert, um nur zwei große Beispiele zu nennen. Wenn wir so viel Geld in die Hand nehmen, erwarte ich von diesen Partnern auch, dass sie günstige Angebote für diese Zielgruppe schaffen.
Was heißt das für den Herbst? Sollen die Jugendlichen wieder in der Halle 02 und im Karlstorbahnhof feiern?
Ja, mit 3G-Regel geht das wieder. Wir fragen auch, was Veranstalter brauchen, um mehr für diese junge Zielgruppe machen zu können. Da müssen wir vielleicht finanziell noch stärker unterstützen. Zudem habe ich vor, einen festen Raum zu schaffen, den man günstig für Geburtstagsfeiern und Partys für bis zu 100 Leute mieten kann.
Und wie geht es mit dem Feierbad weiter?
Wir prüfen, ob wir dort eine Art überdachten Tanzbereich schaffen, den man auch im Herbst noch nutzen kann.
Das grundsätzliche Problem ist doch viel älter. Im Kampf für ein selbstverwaltetes Jugendkulturzentrum haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten viele junge Leute aufgerieben. Das Zentrum gibt es bis heute nicht. Fällt Ihnen diese Politik jetzt auf die Füße?
Man muss sich da ehrlich machen: Wir sind als Stadt in Konkurrenz gegangen zu privaten Clubs, indem wir Karlstorbahnhof und Halle 02 stark unterstützt und so zu großen Magneten für junge Leute gemacht haben. Das ist ein schmaler Grat: Früher hatten wir viele kleine Clubs in der Altstadt, weil die Studenten – überspitzt formuliert – von Dienstag bis Samstag feiern gingen. Im Bachelor- und Mastersystem können sie das gar nicht mehr. Unter der Woche ist nicht viel los. Und nur vom Freitags- und Samstagsgeschäft kann ein Club kaum leben.
Das war jetzt aber nicht die Antwort auf unsere Frage. Warum hat es die Stadt denn nicht geschafft, den vielen Initiativen Räume zu geben für ihre Projekte?
Es stimmt, wir müssen noch mehr machen. Wir haben mit den Jugendlichen vereinbart, dass wir jetzt mehr ausprobieren, damit so etwas wie das Feierbad keine Eintagsfliege ist. Auch ein selbstverwaltetes Jugendkulturzentrum wäre eine gute Sache. Wir müssen schneller und flexibler werden, damit engagierte junge Leute nicht die Stadt verlassen, bevor wir zu Potte kommen.
Themawechsel: Die Schule hat wieder begonnen. Was sagen Sie Eltern, die sich wegen Corona sorgen: Sind die Schulen in Heidelberg sicher?
Ja, sie sind so sicher, wie es aktuell geht. Mehr als die Hälfte der Heidelberger Schülerinnen und Schüler über zwölf Jahre sind schon geimpft. Alle Räume, die schlecht oder nicht belüftbar sind, haben Belüftungsgeräte. Und wir haben jetzt noch für die Klassen 1 bis 6 Geräte bestellt. Aber diese Geräte sind nicht das Allheilmittel, lüften ist viel effektiver. Zudem sind weiter Masken und Tests notwendig. Aber das allerbeste Gegenmittel ist und bleibt die Impfung.
Jüngere Schulkinder und die Kleinen in Kitas und Kindergärten können doch noch gar nicht geimpft werden.
Das stimmt, aber dafür haben wir dort eine hohe Impfquote in der Belegschaft. Bei den Kleinsten gibt es eine klare Gruppentrennung. Ich mache mir mehr Gedanken um die Gruppe der impffähigen Kinder ab zwölf Jahren – denn die haben ja viel mehr Kontakte. Da kann ich nur appellieren: Nutzt die Chance, euch impfen zu lassen.
Sie kennen ja die halbe Stadt persönlich, darunter sicher auch einige, die sich nicht impfen lassen wollen. Was sagen Sie denen im persönlichen Gespräch?
Das ist jetzt nicht höflich, aber da sage ich: Schalt’s Hirn ein! Weil ich es einfach unverantwortlich und unsozial finde. Da liegen Menschen mit Luftröhrenschnitt in der Klinik, weil einer in der Familie gemeint hat, er müsse sich nicht impfen lassen. Da krieg’ ich zu viel, das kann ich nicht akzeptieren.
Sind Sie für eine Impfpflicht?
Ja. Wir hatten früher die Impfpflicht gegen Pocken – und haben damit diese gefährliche Krankheit ausgerottet. Die Impfung gegen Corona ist sicher und wirksam. Wer diese nicht in Anspruch nimmt und so Menschen in Gefahr bringt, die sich nicht impfen lassen können – etwa aus gesundheitlichen Gründen oder kleine Kinder –, für dessen Verhalten fehlt mir jegliches Verständnis.
Demzufolge müssten Sie auch für eine 2G-Regel etwa in der Gastronomie sein.
Ja, das fände ich nur konsequent.
Mit Corona kam auch die Ausweitung der Außengastronomie, die vielen Restaurants in der Krise half. Dürfen die Tische auf Parkplätzen und Gehwegen auch nach dem Ende der Pandemie stehen bleiben?
Wir sind definitiv kulanter als vor Corona, und das bleibt vom Grundsatz her jetzt auch so. Das macht die Stadt lebendiger. Manchmal gibt es Zielkonflikte in der Nachbarschaft, da geht es dann eben nicht mehr. Und ich wünsche mir eine optische Aufwertung – diese Warnbaken müssen ja nicht sein. Das sollte nicht nach Baustelle aussehen.
Mehr Planungssicherheit würde den Gastronomen sicher helfen, ihre Außenterrassen optisch aufzuwerten.
Diese Planungssicherheit wollen wir schaffen. Dort, wo es problemlos geht, sollen aus den provisorischen Restaurantterrassen ruhig dauerhaft optisch schöne Bereiche werden. Das wertet das Stadtbild auf.
Wird es dieses Jahr einen Weihnachtsmarkt in der Altstadt geben?
Ja, mit Zugangskontrolle und 3G-Regel. Den bewerben wir dann nicht in Japan und den USA, sondern nur regional.
Sie haben gerade eine Kooperationsvereinbarung mit Heidelbergs Partnerstadt Montpellier geschlossen. Da steht drin, dass Heidelberg Montpellier auf dem Weg zum kostenlosen Nahverkehr folgt. Was bedeutet das konkret?
Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen. In Zeiten des Klimawandels müssen wir so viele wie möglich zum Umstieg bewegen. Es ist aber auch eine soziale Frage: Deshalb wollen wir die entlasten, die sowieso schon ihren Beitrag leisten – indem sie mit teuren Monatstickets täglich zur Schule oder zur Arbeit fahren.
In Montpellier ist der Nahverkehr an den Wochenenden bereits gratis. Genau das wurde in Heidelberg auch schon im 30-Punkte-Klimaschutzaktionsplan beschlossen. Wann wird das hier umgesetzt?
Noch dieses Jahr möchte ich das umsetzen. Das ist der erste Schritt. Dann kommt Stufe 2: 2022 sollen die Unter-18-Jährigen und die Rentner gratis fahren. Danach Stufe 3: 2023 sollen Busse und Bahnen für alle gratis sein.
Ohne riesige Fördersummen vom Bund schafft Heidelberg das nicht. Ist der Plan nicht Augenwischerei, wenn Sie dessen Umsetzung gar nicht in der Hand haben?
Nein, wir müssen jetzt dieses Zeichen setzen. Aber es stimmt: Wenn wir keine Co-Finanzierung des Bundes bekommen, können wir es nicht so machen. Wenn aber der Bund die Mobilitätswende will, muss er die Nahverkehrsförderung komplett neu aufstellen.
Gratis-Nahverkehr ist doch nicht der einzig richtige Weg zur Mobilitätswende.
Aber wenn die Mobilitätswende sozial ausgewogen sein soll, dann ist das der beste Weg. Denn wir brauchen für Klimaschutz die Akzeptanz der Bevölkerung. Und dafür müssen wir eben auch den Schüler und die Krankenschwester entlasten. Ihnen helfen keine Prämien für Lastenräder.
Die Krankenschwester braucht morgens um fünf Uhr einen Bus, der sie in die Klinik bringt. Ein besseres Liniennetz kostet viele weitere Millionen.
Wir könnten jetzt drei Jahre diskutieren, welcher Weg der beste ist. Oder wir fangen einfach mal an, dieses Modell nach und nach umzusetzen – und sehen dann, wie groß die Akzeptanz der Bevölkerung und die Bereitschaft des Bundes, das mitzufinanzieren, ist.
Apropos Bund: In weniger als zwei Wochen ist Bundestagswahl. Haben Sie Ihre Wahlentscheidung schon getroffen?
Nein.
Sie wissen also weder welchen Kandidaten noch welche Partei Sie wählen?
Ich kann Ihnen sagen, was mir wichtig ist: Ich bin für eine konsequente, starke Wirtschaftspolitik, da haben CDU und FDP gute Antworten. Ich halte aber auch viel von der Sozialpolitik der SPD und der Klimaschutzpolitik der Grünen, die allerdings etliche Fragen offen lassen. Es ist also eine schwierige Entscheidung. Ich finde allerdings, die CDU sollte nicht zu schwach werden, sie wird im Moment aus sehr situativen Gründen heraus unterbewertet. Ich halte ihren Wertekanon – Familie, Bildung, soziale Marktwirtschaft, Sicherheit – für eine Grundsäule unserer Gesellschaft.
In gut einem Jahr, im Herbst 2022, ist ja auch schon wieder OB-Wahl ...
(denkt nach) ... ja, stimmt!
Mussten Sie darüber jetzt wirklich nachdenken, wann die OB-Wahl ist?
(lacht) Kurz, ja, wann genau.
Lassen Sie uns doch dazu noch ein kleines Spiel machen. Wir beginnen Sätze für Sie – und Sie ergänzen den Rest: "Mein Hauptthema im OB-Wahlkampf wird ..."
... das soziale Miteinander in der Stadt zu stärken.
"Wenn ich die OB-Wahl gewinne, will ich bis 2030 in Heidelberg ..."
... die Klimaneutralität erreichen und zeigen, dass wir das in dieser Stadt auch sozial und wirtschaftspolitisch hinkriegen.
"Wenn ich die Wahl verliere, werde ich ..."
(überlegt) ... ein Jahr segeln gehen. (lacht) Nein, ich konzentriere mich auf das, was ich erreichen möchte.