Manfred Singer (r.) mit einer Kollegin im Zentralen Impfzentrum. Die Arbeit dort macht ihm großen Spaß. Foto: pr
Von Julia Lauer
Heidelberg. Während seiner Zeit als Medizin-Professor am Universitätsklinikum Mannheim entdeckte er bei Forschungsaufenthalten die westliche Welt. Und in den zehn Jahren, in denen der Klinik-Direktor nun im Ruhestand ist, war er auf Auslandseinsätzen in östlichen Ländern unterwegs, in Afghanistan, Nepal, China oder auch in der Mongolei. Die Pandemie machte das Reisen allerdings unmöglich, sodass der Arzt nun eine neue sinnvolle Tätigkeit für sich auftat – gezwungenermaßen vor der Haustür. Seit gut zwei Wochen ist Manfred Singer Impfhelfer in Heidelberg, im Zentralen Impfzentrum in Patrick-Henry-Village.
Montags und freitags, zweimal die Woche also, rückt der Mediziner nun für jeweils acht Stunden von seinem Wohnort Schriesheim aus an, um den Menschen das Vakzin in den Oberarmmuskel zu spritzen. Meist hat er Dienst vor Ort im ehemaligen Supermarkt, seit dieser Woche nun ist er auch mit den mobilen Teams in den Pflegeheimen der Region unterwegs. Nach wie vor geht es momentan vor allem darum, die besonders gefährdete Gruppe der Über-80-Jährigen zu versorgen.
"Ich hatte Zeit und wollte dazu beitragen, dass keine Ärzte von den Kliniken abgezogen werden müssen", begründet der 75-jährige Mediziner seine Motivation. Über das Mannheimer Uniklinikum erhielt er im Dezember eine erste Anfrage, er bekundete Interesse. An Heiligabend dann, drei Tage bevor das Impfzentrum in Heidelberg seinen Betrieb aufnahm, habe er eine E-Mail von Lichtfeld erhalten, einem Personaldienstleister mit Sitz in Hockenheim. Das Unternehmen vermittelt medizinisches Fachpersonal. Diese und jene Schichten seien noch zu besetzen, hätten sie mitgeteilt. Singer zögerte nicht: Er wollte die Dienste übernehmen, das stand fest.
"Ich bin jetzt Leiharbeiter bei der Firma Lichtfeld", erklärt er, sein Vertrag werde von Monat zu Monat verlängert. Die Personalakquise für das Zentrale Impfzentrum erfolgt durch das Haupt- und Personalamt des Rhein-Neckar-Kreises, es greift dafür jedoch auf entsprechende Personaldienstleister zurück. Im Zentralen Impfzentrum Heidelberg sind Personen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen tätig. Die Spanne reicht von Verwaltungskräften über Medizinstudierende und ausgebildetes medizinisches Fachpersonal bis hin zu Ärztinnen und Ärzten. Ihr Stundenlohn bemesse sich nach Qualifikation und Tätigkeit, heißt es beim Landratsamt. Wie viel er genau verdient, will der emeritierte Medizin-Professor nicht verraten. Sein Brutto-Stundenlohn liege jedoch deutlich unter den 140 Euro, von denen man gelegentlich lese, verrät er dann doch. Seine Bezahlung, meint er, sei "okay".
Auch 34 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind im Zentralen Impfzentrum beschäftigt, wie beim Landratsamt zu erfahren ist. "Die Bundeswehr nimmt die Bürger in Empfang und führt sie zügig durch die Impfstationen", erklärt Singer die Arbeitsteilung. "Impfen dürfen nur Ärzte, medizinische Fachkräfte und Medizin-Studenten ab dem siebten Semester." Um die zehn Ärzte, schätzt Singer, seien in zwei Schichten zwischen 6 und 22 Uhr im Einsatz, sie übernähmen in erster Linie Aufklärungsgespräche. Sie stammten aus Berlin, aus Münster, sogar aus der Schweiz. Manche hätten zur Zeit keine feste Stelle, anderen gefalle es, befristete Tätigkeiten an wechselnden Orten auszuüben, wieder andere seien pensionierte Professoren wie er.
Die Arbeit, erzählt Singer, mache ihm großen Spaß, ihm gefalle der Austausch mit den Bürgern und jüngeren Kollegen, und die Stimmung im Impfzentrum sei gut. "Ich impfe nicht nur, ich erfahre eine ganze Menge Lebensgeschichten", sagt er. Die Impflinge haben ein langes Leben hinter sich, entsprechend viel haben sie zu erzählen. "Wenn eine Frau vor mir sitzt, die 1925 im tschechischen Pilsen geboren wurde, wüsste ich gerne, wie sie nach Heidelberg kam", erzählt er. Und auch wenn er mit den mobilen Impfteams in den Heimen unterwegs ist, will er wissen, woher die Menschen kommen.
Mehr als 600 Impfungen verabreichten er und seine Kollegen täglich im Zentralen Impfzentrum – Singer wünschte, es wären mehr. Manchmal komme es vor, dass Menschen einen Termin haben, dann aber nicht erscheinen. "Andererseits impfen wir einen 90-Jährigen, seine 73-jährige Ehefrau, die ihn zum Termin begleitet, aber nicht." Und überhaupt: Die Politik habe die alten Menschen alleine gelassen, kritisiert er. "Es ist ein Skandal, dass meine 81 Jahre alte Nachbarin dabei auf sich gestellt ist, einen Impftermin zu bekommen."
Dass die Europäische Arzneimittelbehörde nun zuließ, einer Ampulle Biontech-Impfstoff sechs Dosen zu entnehmen statt wie bisher nur fünf, findet er in Zeiten der Impfstoff-Knappheit nur richtig. Auch im Zentralen Impfzentrum gehe man sorgsam mit dem Vakzin um. Es würden deshalb nur diejenigen Impffläschchen aufgewärmt, die man voraussichtlich benötige, erzählt er. Die letzte angebrochene Ampulle werde abends an die noch nicht geimpften Mitarbeiter des Impfzentrums verabreicht – sodass nichts verloren geht.