Schon als Kind war der gebürtige Ziegelhäuser verrückt nach Handball. Eine "Schnapsidee" beim Geburtstag seiner Eltern brachte ihn in die "Bütt" - und machte ihn bald darauf für fast 40 Jahre zum "Till" der Ziegelhäuser Karneval Gesellschaft. Foto: Philipp Rothe
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Es herrschen zweistellige Minusgrade. Volker Lieboner friert, es ist vier Uhr morgens, sein Wille aufzustehen - weg: "Da habe ich gemerkt: Jetzt bist du am Limit." Auf 5270 Metern Höhe liegt Lieboner 2013 im Himalaja in einer Hütte und hat sich vorgenommen, noch höher zu kommen. Über das Basiscamp auf 5400 Metern hinaus, das er am Tag zuvor erreichte. "Es war vorher zu neblig - und ich wollte den Mount Everest nochmal aus der Nähe sehen." Er schaffte es nicht.
Trotzdem: "Es war eines meiner schönsten Erlebnisse." Am Limit war Lieboner zeitweise auch bei seinem ehrenamtlichen Engagement. Jetzt hört der 63-Jährige auf: Am Freitag feierte er seinen Abschied als Vorsitzender der Badischen Sportjugend - und auch als "Till" in Ziegelhausen wird er nicht mehr auftreten. Ganz abgeschlossen mit dem Ehrenamt hat Lieboner allerdings nicht.
DAS PORTRÄT
Der Hauptbahnhof wurde gerade an seinem heutigen Standort eingeweiht, als Lieboner 1955 in Ziegelhausen das Licht der Welt erblickt. Er erlebt die Sechzigerjahre als Kind und Jugendlicher in der Brahmsstraße - "eine unheimlich schöne Zeit". Da habe es noch Schnee gegeben in Ziegelhausen, mit dem Schlitten sei er den Brechhol hinunter zur katholischen Kirche gefahren, habe den halben Tag im Wald verbracht, beim Versteckspiel drei Stunden auf den großen Wasserrohren unter der Brücke gehockt.
"Da hat meine Mutter als ich heimgekommen bin aber mit dem Kochlöffel dagestanden", lacht Lieboner und erinnert sich an seinen Vater, der ihn mal mitnahm in ein Volkswagen-Werk, "wo die Motoren und Teile an Ketten an der Decke hingen und alles schwarz war vor Öl". Oder daran, wie sein Opa ihn beim Kirschenessen ermahnte, die Früchte nicht ohne Stiel abzureißen, weil sonst keine nachwüchsen. "Er wollte sie allerdings verkaufen. Und das ging nur, wenn der Stiel dran war. Das habe ich erst später verstanden", grinst Lieboner.
Die Dampflok ist immer noch unterwegs, als der damals 16-Jährige zu seinem Arbeitgeber, der BASF in Ludwigshafen, fährt. "Ich war häufig spät dran, sodass ich oft laufen musste. Wenn ich die Rauchschwaden über Neckargemünd gesehen habe, musste ich mich beeilen." Lieboner machte eine Ausbildung zum Physiklaboranten: "Denn weil ich immer auf dem Sportplatz war, hat es nur für die Mittlere Reife gereicht."
Der Sportplatz war Lieboners zweites Zuhause: Er spielte so lange Handball, bis eine Verletzung ihn 1980 dazu zwang, aufzuhören. Bereits ein Jahr später ist er als Schiedsrichter auf dem Feld: "Um auch mal wieder auf dem Platz zu stehen." Neben dem Platz steht er seit 1978, seit er die Damenmannschaft trainiert. Mit 30 Jahren steigt Lieboner als Jugendvorstand in die Sportjugend Heidelberg ein, ist auch bei der badischen Sportjugend im Fachausschuss Jugendpolitik aktiv. Dort wird er ab 1995 Zweiter und 2007 schließlich Erster Vorsitzender.
Seine berufliche Karriere geht derweil bei der BASF weiter: Lieboner holt die Fachhochschulreife nach, studiert nebenher Betriebswirtschaft und geht in den Vertrieb. "Ich dachte, ich würde in BASF-Pension gehen." Doch es kommt anders: Die Sparte Magnetbänder wird ausgegründet, später an das Unternehmen Emtec verkauft - das 2003 Insolvenz anmeldet. Über ein Jahr ist Lieboner noch als "General Manager" tätig, unterstützt den Insolvenzverwalter.
Von 3000 Mitarbeitern ist er unter den letzten fünf, muss selbst viele Kollegen entlassen. Auch Freunde. "Das hat mich sehr belastet. Mir wurden Fragen gestellt, auf die ich keine Antworten hatte." Und dann muss sich Lieboner die gleiche Frage stellen wie die Kollegen wenige Monate zuvor: "Und jetzt?" Auch er wird schließlich entlassen.
"Ich hatte Existenzängste damals", erzählt Lieboner. Keine zehn Jahre zuvor hatte er sich mit seiner Frau Doris ein Reihenhaus in Wilhelmsfeld gekauft, er hat einen 17- und einen 14-jährigen Sohn. 400 Bewerbungen schreibt er allein in einem Jahr. Erst kurz zuvor sind die Hartz-Reformen verabschiedet worden. Nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit hätte Lieboner mit einem Schlag alles verloren. Es dauert insgesamt 14 Monate bis er wieder eine Anstellung findet.
Doch ein Kollege vom Sportbund hilft ihm und erkundigt sich, ob Bekannte einen Vertriebsfachmann bräuchten. "Es hat zwar nichts genützt, aber es war eine große Unterstützung", erzählt Lieboner. "Das hat mich dann auch dazu bewegt, den Vorsitz zu übernehmen."
Auf die Beine kommt Lieboner dann wieder bei einer kanadischen Firma, wo er optische Medien vertreibt. Statt Videokassetten geht es jetzt um DVDs. Ob er damit nicht wieder auf einem absteigenden Ast saß? Lieboner lacht: "Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte." In der Firma habe man damals auch eine Solarsparte gehabt. Lieboner sei deshalb zweigleisig unterwegs gewesen: "Es hieß ja, Solar sei die Zukunft." Allerdings nicht für seine Firma. Als die chinesischen Konzerne den Markt mit ihren Billigprodukten überschwemmt hätten, habe man nicht mehr konkurrieren können. Die DVDs laufen noch heute.
Sein zweites Standbein im Privaten war neben dem Sport auch immer seine Rolle als "Till" bei der Ziegelhäuser Karnevalsgesellschaft. Vor 39 Jahren steht er erstmals in der "Bütt". Überredet wurde er von Walter Wünsch und Heiner Schmidt beim Geburtstag seiner Eltern. "Sie kamen auf die Schnapsidee, dass ich die Büttenrede halte." Als verarmter Ehemann startet Lieboner seine Karnevals-Karriere: "Hab hinter mich gebracht drei Ehe’, doch jetzt, jetzt muss ich betteln gehe’", endet er damals.
So weit ist es in seinem richtigen Leben nie gekommen. Lieboner hat sich gerade ein Wohnmobil gekauft und freut sich auf die Ausflüge mit seiner Frau. Jetzt wird er etwas mehr Zeit haben, nachdem er viele Ämter abgelegt hat. Es könnte jedoch bald ein neues dazu kommen: Für die Freien Wähler kandidiert der 63-Jährige auf einem "aussichtsreichen Listenplatz" für den Gemeinderat.
Wie es ihm jetzt damit geht, das langjährige Engagement in der Ziegelhäuser Karneval-Gesellschaft und für den Sport aufgegeben zu haben? "Ich würde ja gerne weiter machen - vom Wissen her - aber das wäre ein schlechtes Signal nach außen. Als Jugendvertreter mit 63 Jahren", schmunzelt Lieboner. Er hat sich früh um seine Nachfolger gekümmert. "Und wenn gute Leute nachkommen, wieso soll ich da im Weg stehen?"