Von Anica Edinger
Heidelberg. Man hasst Zuspätkommen. Man hasst, dass es mittlerweile schon im September Lebkuchen gibt. Manchmal hasst man auch einige seiner Lehrer. Oder seinen Ex-Freund. Aber ist das wirklich Hass, was man da empfindet? Oder ist es vielmehr eine tiefe Abscheu, gar schlicht eine einfache Antipathie?
Prof. Thomas Fuchs forscht schon seit einigen Jahren zum Thema "Hass". In letzter Zeit ist dieses Sujet vielleicht so aktuell geworden wie noch nie. "Hasskommentare" im Internet sind in aller Munde, "Hassreden" etwa bei Pegida-Kundgebungen in Dresden sowieso. Hass scheint heutzutage wieder "gesellschaftlich opportun" geworden zu sein, findet das Psychoanalytische Institut der Universität und widmet dem Thema deshalb im Wintersemester eine Vortragsreihe.
In diesem Rahmen spricht im Februar auch Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie. Für die RNZ erklärte der 60-Jährige jetzt schon einmal, was Hass so gefährlich macht - und weshalb er in der Lage ist, ganze Gesellschaften zu spalten.
Herr Prof. Fuchs, wen hassen Sie?
Hassen... nun, es gibt sicher einige Personen, die mich auf die Palme bringen, deren Haltungen und Positionen ich zutiefst ablehne - ich denke da etwa an den US-Präsidenten Donald Trump. Aber für Hass reicht es nicht.
Wieso nicht?
Hass geht in die Tiefe. Er richtet sich gegen das Wesen und den Kern einer anderen Person - das kann oft auch gefährlich werden. Das empfinde ich Gott sei Dank gegenüber niemandem.
Man muss jemanden also persönlich kennen, um Hass zu empfinden?
Nein, das nicht. Tatsächlich richten sich viele Phänomene des Hasses auch gegen bestimmte Gruppen - etwa gegen Migranten oder Minderheiten. Dafür muss man niemanden aus dieser Gruppe kennen oder mit ihm zu tun gehabt haben. Der Hass richtet sich dann vielmehr gegen ein Feindbild, aber auch hier mit hoher Energie.
War Hass auch eines der zentralen Motive für Adolf Hitler und den Völkermord am Judentum?
Mit Sicherheit - und das ist zugleich ein Beispiel dafür, welche Macht und Energie der Hass entfalten kann. Zwar ist ein Geschehen von solcher Tragweite niemals allein psychologisch erklärbar. Doch ohne Hitlers fanatischen Judenhass wäre es sicher nicht so weit gekommen. Dabei hat Hitler selbst, soweit wir wissen, niemals von einem Juden einen persönlichen Nachteil oder Schaden hinnehmen müssen. Die Juden waren für ihn nur der geeignete Sündenbock für persönliche und nationale Kränkungserfahrungen. Ähnlich empfinden fundamentalistische Terroristen Hass meist nicht gegenüber bestimmten Personen, sondern gegenüber der westlichen Kultur und ihren Werte insgesamt.
Sind manche Menschen eher dafür anfällig, Hass zu empfinden als andere?
Ja, Hass entwickelt sich besonders bei Menschen, die Kränkungen, Zurücksetzungen oder - zumindest aus ihrer Sicht - ein Unrecht erlebt haben, die sich oft auch latent minderwertig und ohnmächtig fühlen. Im Hass schlägt ihre Gekränktheit in Feindseligkeit und Rachsucht um. Nach und nach wird der Hass dann zu einem chronischen Gefühl, das sich immer weiter nährt und steigert, das einen förmlich zerfrisst - so lange, bis es schließlich in Rache und Gewalt Bahn bricht.
Und in Vernichtung?
Hass, der wirklich tief greift, ist meist auf die Vernichtung des Hassobjekts aus. In jedem Fall will man den Gehassten schädigen, ihn seinerseits demütigen, Rache nehmen, also ein tatsächliches oder vermeintliches Unrecht vergelten. Der Hass verleiht dabei ungeahnte Energien.
Hassenden Menschen sollte man also lieber aus dem Weg gehen?
Ja, es sind in der Regel keine angenehmen Zeitgenossen. Der Hassende ist fixiert und eingeengt auf das Objekt seines Hasses. Er gewinnt keinen Abstand mehr von seinem Gefühl und verliert daher auch jeglichen Humor gegenüber seinem Hassobjekt. Es ist ihm bitterer Ernst.
Michael Kohlhaas ist dann eigentlich eine Geschichte des Hasses.
Ja, Michael Kohlhaas ist ein gutes Beispiel. Er rächt das Unrecht, das ihm angetan wurde, auf unerbittliche Weise. Zentrale Motive sind Ehrverletzung, Kränkung und Hass. Kleist zeigt eindrucksvoll, wie Hass sich immer weiter steigert und im Verhältnis zum Anlass maßlos wird. Auch bei Amokläufern ist dieses chronisch anwachsende und schließlich vernichtende Moment des Hasses erkennbar.
Amokläufe werden aber doch oftmals mit einer Depression erklärt?
Das stimmt, und depressive Entwicklungen sind auch oft beteiligt, genügen aber nicht zur Erklärung. Denn die Depression als solche schwächt den Betroffenen, sie richtet sich gegen ihn selbst und führt allenfalls zur Selbsttötung. Erst der gegen Kränkungen und Demütigungen aufbegehrende Hass, der Hass gegen die anderen, vermag die Handlung eines Amokläufers zu erklären. Denken wir an den German Wings Piloten Andreas Lubitz: Um es fertigzubringen, mit 149 Passagieren in die Alpen zu fliegen, um sich selbst und sie alle zu töten, genügt eine Depression nicht. Zur Verzweiflung muss ein Gefühl des Hasses gegen eine ungerechte Welt kommen, die einem verwehrt, was einem als das Wertvollste im Leben erschien. Das ist anders als eine bloße Depression. So etwas wie eine "Hass- und Verbitterungsstörung" gibt es als psychiatrische Diagnose allerdings nicht. Ich bin zwar kein Freund von immer neuen Diagnosen, aber vielleicht wäre das hier keine schlechte Idee.
Zumal Hass in der heutigen Gesellschaft eine immer bedeutendere Rolle spielt.
Diesen Eindruck hat man ganz eindeutig. Bei vielen Menschen herrscht derzeit ein hohes Maß an Frustration, Enttäuschung und Ohnmacht gegenüber globalen Entwicklungen. Es entsteht das Grundgefühl, abgehängt zu werden, auf der Strecke zu bleiben, verbunden mit einem mangelnden Gefühl von Anerkennung. Das führt zu Kränkung, Ressentiments und der Suche nach Sündenböcken - und sobald diese gefunden sind zu zunehmendem Hass. Der richtet sich dann einerseits gegen die "Eliten", in Amerika zum Beispiel gegen "die da in Washington", andererseits gegen Minderheiten, die angeblich bevorzugt werden, die "alles geschenkt bekommen und uns die Arbeitsplätze wegnehmen". Die Folgen sind etwa der Brexit, die Wahl Trumps, aber auch die Pegida-Bewegung in Ostdeutschland oder die Erfolge der AfD.
Ist es wirklich schlimmer geworden mit dem Hass in der Gesellschaft - oder ist das nur so ein Gefühl?
Was Hass oder die Zunahme von Hassäußerungen verstärkt hat, ist das Internet. Dort finden Hassende Ventile, um "endlich mal zu sagen", was sie schon lange verbittert hat. Man macht seinem Hass öffentlich Luft und findet auf einmal viele Menschen, die Gleiches empfinden. So verwandelt sich die chronische Frustration in Energie, ja es wird eine Art Lust entfacht, auch das bisher Ungehörige ohne Hemmungen sagen zu dürfen, endlich mal "die Sau rauszulassen". Trump arbeitet genau damit. Wenn man nicht gerade amerikanischer Präsident ist, geschieht es zwar eher im Schutze der Anonymität, aber auch das hat zu einer Verwahrlosung der Sitten geführt. Früher hat man solche Dinge allenfalls am Stammtisch geäußert, jetzt werden sie gepostet oder getwittert. Was da veröffentlicht wird, ist erschreckend.
Welche Folgen hat das für eine Gesellschaft?
Es entsteht ein tiefer Graben, der auf Dauer fatal ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auf der einen Seite stehen die, die dem demokratischen Grundkonsens angehören, und auf der anderen Seite die, die das Grundvertrauen in die demokratischen Institutionen verloren haben und ihre Bitterkeit nähren.
Und die Hass empfinden?
Sicherlich hassen nicht alle von ihnen. Aber der feindselige Angriff gegen den Grundkonsens kann zu Hass führen. Verstärkt wird das von Populisten. Von ihrem Redestil her sind sie Hetzer: Sie hetzen die Frustrierten und Enttäuschten in der Gesellschaft auf, verleihen ihnen neue Energie und nähren zugleich den Hass, der seinerseits zum Nährboden wird für Gewalt.
Oftmals heißt es, man müsse Hass mit Liebe begegnen. Ist das die Lösung?
Einen einmal entstanden Hass zu "heilen", ist sehr schwierig. Rasche Lösungen wird es nicht geben. Drei Dinge sind jedoch wichtig: Erstens den Kontakt zu dem Hassenden nicht abreißen lassen, um ihn nicht noch weiter in die Isolation zu treiben. Hassende sollten mit Menschen im Gespräch bleiben, die ihren Hass nicht teilen, ihnen aber freundlich begegnen und versuchen, ihre Motive zu verstehen. Zweitens kann eine Therapie helfen, um die biografischen Wurzeln des Hasses aufzusuchen und frühere Kränkungen zu verarbeiten. Und drittens ist in chronischen Hasskonflikten die Mediation ein wichtiges Verfahren, um alle Parteien an einen Tisch zu bringen. Reicht aber der Hass wirklich tief, dann wird selbst das oft unmöglich. Dann sind auch nicht Nachsicht und Liebe, sondern eher klare Grenzen und Sanktionen am Platz.
Infos zur Reihe unter www.psychoanalytisches-institut-heidelberg.de Erster Vortrag: Dienstag, 4. Dezember, 20.30 Uhr, im Hörsaal der Medizinischen Psychologie, Bergheimer Straße 20.