John Samuel Raj ist ordinierter Pfarrer der Church of South India. Nun wird er als Gastpfarrer drei Jahre mit einem halben Dienstauftrag in der evangelischen Kirche Heidelberg tätig sein. Foto: Philipp Rothe
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Professor John Samuel Raj wartet auf den Frühling. Dann will er sich Heidelberg so richtig anschauen. Der Theologe aus Bangalore in Indien ist für drei Jahre als Pfarrer in die Altstadtgemeinde gekommen. Da füllt er eine halbe Stelle aus, da wird er erst einmal Gottesdienste abhalten und Hausbesuche machen und die Aufgaben später ausweiten; predigen ist derzeit noch eine sprachliche Herausforderung für den Inder. Die andere Hälfte seiner Arbeitszeit gilt der ökumenischen Mitarbeit in der Badischen Landeskirche. Er wird Vorträge - etwa bei Pfarrerfortbildungen - halten und von Leben und Kirchengemeinden in seiner Heimat berichten.
Der 61-Jährige spricht jetzt noch lieber Englisch als Deutsch, aber er ist nicht zum ersten Mal in Deutschland. Von 1995 bis 2000 lebte er mit seiner Frau Bissy, einer promovierten Philologin, in Hamburg. Dort erwarb er mithilfe eines Stipendiums an der Universität den Doktor der Theologie im Fach Altes Testament. Seine Frau bekam als Begleiterin keinen Sprachkurs finanziert, lernte aber selbst Deutsch und begann, Texte für Gesangbuch und Liturgie aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Die beiden Töchter, heute 32 und 27 Jahre alt und in Indien und Dubai lebend, wollten in Hamburg gleich wieder kehrtmachen: Sie sahen erstmals im Leben eine Menge Schnee und rutschten gleich darauf aus.
In Rajs Arbeitsleben war Deutschland von Anfang an präsent. Bei seinem Theologiestudium am United Theological College (UTC) in Bangalore in den Jahren 1979 bis 1983 etwa, sagt Raj, lehrten Professoren aus Deutschland. Es war kein strenges Auswendiglernen wie in Indien üblich, sondern die Studenten konnten frei reflektieren. Praktika öffneten dem Lehrersohn auch die Augen für die sozialen Realitäten in seinem Land, die Diskriminierungen durch das Kastenwesen, dem sich die christlichen Missionare etwa durch die Gründung von Schulen widersetzt hatten. Raj sagt, er fühle sich der Befreiung von Männern und Frauen durch Erziehung verpflichtet, weil er selbst durch die Missionare frei wurde und sein Leben leben konnte.
Ein deutscher Missionar, Hermann Gundert, war es auch, der 1853 in Rajs Heimatstaat Kerala die erste Grammatik seiner Muttersprache Malayalam anfertigte. Der Theologe berichtet stolz, dass dieser Missionar der Großvater des Schriftstellers Hermann Hesse war.
Die Badische Landeskirche, so sagt die Heidelberger Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez, verstehe sich als Teil der Weltkirche und wolle ihren Blick über die deutschen Grenzen hinaus richten: "Wie leben und glauben Christen in anderen Teilen der Welt? Was können wir von ihnen lernen?" Die Pfarrer seien froh über die Impulse, die John Raj als Teil des Teams der Altstadtgemeinde geben könne.
"Früher gingen Pfarrer als Missionare nach Indien", erklärt auch Anne Heitmann, die Leiterin des Amtes für Mission und Ökumene bei der Landeskirche in Karlsruhe. Seit 30 Jahren sei es umgekehrt, würden Pfarrer eingeladen, in deutschen Kirchengemeinden mitzuarbeiten. "Uns tut der Austausch gut." Die Landeskirche pflegt ihn mit Ländern wie Indonesien, Südindien, Südkorea, Japan, Ghana oder Südafrika. So lebte und arbeitete im Stadtteil Kirchheim vor einigen Jahren auch ein Ehepaar aus Südafrika. Die evangelische Kirche in Heidelberg baut derzeit eine Partnerschaft mit der Diözese Malabar im Norden Keralas auf.
Bis September war der Alttestamentler Raj acht Jahre lang Rektor seiner Universität, des UTC in Bangalore, seine Frau Bissy arbeitete dort als Dozentin für Sanskrit und Literatur. Weil die Wahlperiode zu Ende ging, nutzten sie noch einmal die Gelegenheit, nach Deutschland zu kommen. In der Universitätsstadt Heidelberg, findet Anne Heitmann, könnten sich die beiden wohlfühlen.