Spielplätze sind normalerweise ein Segen für Alleinerziehende. Denn hier können sie abschalten, während ihr Kind mit Altersgenossen tobt. Doch aktuell sind die Spielstätten gesperrt und leer – so wie hier in der Bahnstadt. Foto: Philipp Rothe
Von Anna Müller
Heidelberg. Susanne (*) beginnt seit dem 17. März jeden Morgen um kurz vor fünf mit der Arbeit. Der Wecker hat nicht geklingelt. Die Unruhe hat sie geweckt. Wenn sie Glück hat, schläft ihr Sohn bis um sieben, dann hat sie zwei Stunden Arbeit geschafft. Zwei von sechs und damit ein Drittel des Arbeitspensums, das sie eigentlich erledigen muss an diesem Tag. Susannes Sohn Felix ist vier. Die beiden haben großes Glück. Sie wohnen in einer hübschen Wohnung in Heidelberg, Susanne hat einen Teilzeitjob in der Umgebung. Sie kann finanziell keine großen Sprünge machen, aber sie kommt sehr gut zurecht.
Persönlichen Kontakt zu Felix’ Vater gibt es nicht. Er hat kein Interesse. Meistens zahlt er Unterhalt. Manchmal nicht, immer nur sehr wenig. In diesen Wochen rechnet Susanne mit nichts. "Er jobbt in der Gastronomie, aber alles hat geschlossen. Er hat ja jetzt selber kein Geld", sagt die 41-Jährige.
Susanne ist eine von rund 2,17 Millionen alleinerziehenden Müttern und 407.000 alleinerziehenden Vätern in Deutschland. Sie hat ihr Leben gut im Griff. Aber, wer Kinder hat, weiß, dass es anstrengend ist, ein Kleinkind 24 Stunden am Tag zu betreuen – Liebe hin oder her.
Wer Kinder und Familie hat, hat aber meist dennoch nur eine vage Vorstellung davon, was es bedeutet, alleinerziehend zu sein. Allein die gesamte Verantwortung für sich und einen weiteren Menschen zu tragen, die dauerhafte Aufmerksamkeit, immer zu 100 Prozent. "Das ist schon im normalen Alltag eine permanente Herausforderung. Aber es geht, wenn alles normal läuft", sagt Susanne. Normal heißt in ihrem Fall: zahlreiche soziale Kontakte, Eltern, Freunde, ein Kindergartenplatz. Auf Letzteren war schon in den vergangenen Monaten kein Verlass. Zu wenig Erzieher, großer Krankenstand. "Bitte holt eure Kinder so früh wie möglich ab" – diesen Satz hörte sie mehrfach.
Seit Montag vor einer Woche ist nun für niemanden mehr irgendetwas normal und auf gar nichts ist mehr Verlass.
Für Familien, die plötzlich ihre Kinder daheim betreuen und gleichzeitig arbeiten müssen, ist die Situation enorm schwierig. Für Alleinerziehende wie Susanne ist sie eine Katastrophe. Der Kindergarten ist geschlossen, ihren Arbeitsplatz hat sie ins Homeoffice verlegt. Ihr Beruf ist nicht systemrelevant. Eine Notbetreuung für Felix gibt es deshalb nicht. Freunde können kaum helfen, sie haben selber Kinder, außerdem gilt eigentlich Kontaktverbot. Eigentlich dürfte Felix auch seinen Opa nicht sehen. Abwägen: Mit dem Vierjährigen rasch ins Büro fahren, weil die Technik für daheim nicht läuft oder das Kind kurz bei Opa absetzen?
Oma fällt aus, Oma war Skifahren und darf selber nicht raus.
Susanne hat Glück. Ihr Chef hat selbst ein kleines Kind. Er weiß, wie schwierig es ist, konzentriert zu arbeiten, während ein Vierjähriger gelangweilt um einen herum turnt. Weiß, dass Arbeiten nur dann funktioniert, wenn das Kind schläft oder vor dem Fernseher geparkt ist. Letzteres will eigentlich niemand. Susanne hat ihre selbst aufgestellten Regeln in Sachen Medienzeit längst über Bord geworfen.
Und die Zeit, in der das Kind schläft, die bräuchte jeder alleinerziehende Mensch genau jetzt ganz besonders zur Erholung. Um die Kraft zu tanken, die notwendig ist, um dem Kind auch am nächsten Tag Stunde um Stunde liebevoll zu begegnen. Größtenteils in den eigenen vier Wänden. Nur hier und da schafft eine Stunde im Wald oder auf dem Feld Ablenkung.
Die Erholung funktioniert aber nicht, wenn die Hälfte der Nacht für die Arbeit benötigt wird. Wer müde ist, ist ungeduldig. Und das ausgerechnet in Zeiten, in denen besonders viel Geduld notwendig wäre, weil die Situation auch für die Kinder nicht einfach ist. Weil sie nicht verstehen, warum sie weder in den Kindergarten dürfen, noch mit Freunden spielen.
Die Angst, das alles nicht zu schaffen, die Angst, den Job zu verlieren, die Angst, vor Hartz 4 ist zusätzlich immer im Hinterkopf. Susanne hat drei Jahre gebraucht, bis sie diesen Job gefunden hat, der alle Bedürfnisse vereint. Teilzeitjobs sind in ihrer Brache rar.
Und dann sind da noch ganz praktische Fragen: "Die Kindergartengebühren werden weiter abgebucht, kann ich den Dauerauftrag unterbrechen?"
In Heidelberg haben sich – mit Beginn der Krise – rasch viele Freiwillige zusammengefunden. Sie bieten über soziale Netzwerke beispielsweise an, Einkäufe für ältere Menschen oder Menschen mit Immunschwäche zu übernehmen, sie könnten auch Susanne beim Einkauf unterstützen. Das ist großartig. Nur, das braucht sie gar nicht. Susanne braucht eine Kinderbetreuung. Egal, ob ihr Beruf systemrelevant ist, oder nicht. Die Kombination Homeoffice und Kinderbetreuung überfordert schon Familien. Für Alleinerziehende ist es unmöglich, das über Wochen zu schaffen – egal wie gut organisiert und strukturiert sie sind.
*Namen von der Redaktion geändert