Heidelberg

Wolfgang Erichson ist der neue Chef im Kulturdezernat

Sein Ziel ist die Club- und Jugendkultur zu stärken und Dinge zu "ermöglichen". Ein Gespräch über unkonventionelle Pläne, eine "totale Offenheit" und über den Aufbruch in neue Gefilde.

12.02.2021 UPDATE: 16.02.2021 20:30 Uhr 5 Minuten, 3 Sekunden
Bürgermeister in Heidelberg ist Wolfgang Erichson schon seit dem 10. September 2007. Jetzt hat er auch den Bereich der Kultur übernommen, seit Joachim Gerner in den Ruhestand gegangen ist. Erichson sagt dazu: „Es wird es einen anderen Stil geben.“ Foto: Philipp Rothe

Von Anica Edinger

Heidelberg. Wolfgang Erichson hat schon viele Gemüter erregt. Egal ob Sperrzeiten, Grillplätze auf der Neckarwiese, oder der Streit um den Ausländer- und Migrationsrat: Erichson, ein Grüner, ist ein Mann der klaren Worte – und seit Januar ist er auch der Mann für die Kultur. Nach dem grünen Erdrutschsieg bei der Kommunalwahl im Jahr 2019 wurde die Kultur in Erichsons Dezernat verschoben. So wurde aus dem einstigen Bürgermeister für Umwelt, Bürgerdienste und Integration am 1. Januar 2021 der Bürgermeister für Kultur, Bürgerservice und Kreativwirtschaft. Wie passt das in seinen Lebenslauf? Und was will der neue Kulturbürgermeister bewegen? 

Herr Erichson, wieso sind Sie der richtige Mann für die Kultur?

Ich bin persönlich äußerst kulturaffin, dazu professionell verwaltungserfahren – und mit dem Interkulturellen Zentrum habe ich unter Beweis gestellt, wie mit wenigen finanziellen Mitteln eine Kultureinrichtung ermöglicht werden kann, die auch dank des Engagements von Jagoda Marinic´ inzwischen bundesweite Aufmerksamkeit erzielt.

Sie sind jetzt Ordnungs- und Kulturbürgermeister: Wie passt das denn zusammen?

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Sehr gut! Ordnung und Kultur sind keine Gegensätze, denn in "ordentlichen" Rahmenbedingungen kann sich Kultur frei und gut entfalten. Mit den Erfahrungen aus meiner auch ordnungspolitischen Tätigkeit wird es hilfreich sein, das kulturelle Leben der Stadt nach dem Lockdown wieder zum Laufen zu bringen: unbürokratisch, unkonventionell und mit möglichst geringen Hürden. Und dass in meinem neuen Dezernat auch die Digitalisierung und die Kultur- und Kreativwirtschaft hinzugekommen sind, zeigt, dass es auch um Zukunftsthemen geht, die zusammengeführt wurden.

Was muss ihrer Ansicht nach im Kulturbereich in den nächsten Jahren am dringendsten angegangen werden?

Das dringendste Problem ist meiner Ansicht nach die Aufrechterhaltung der Kunstproduktion. Die Situation der hauptberuflichen und der freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler in Heidelberg ist denkbar problematisch. Es bleibt zu hoffen, dass die Corona-Krise bald bewältigt wird und wir die Kultur in Heidelberg systematisch weiterentwickeln können.

Was genau meinen Sie?

Junge und neue Formate haben es oft schwer, in Heidelberg einen Platz zu finden. Hier müssen wir mehr unterstützen, ermöglichen – und uns überhaupt freuen, dass es so viel Vielfalt in der Stadt gibt. Die Club- und Nachtkultur, Street-Art, Pop-up-Galerien zum Beispiel sind genauso wichtig für die Stadt wie unsere Festivals und etablierten Einrichtungen. Wichtig ist es mir auch, dass sich die Akteure der verschiedenen Kultursparten noch besser vernetzen, um gemeinsam zu arbeiten.

Das klingt nach einem Erichson’schen Aufbruch in Sachen Kultur ...

Aufbruch würde ich es nicht nennen, aber es wird einen anderen Stil geben. Das liegt schon an den unterschiedlichen Erfahrungshorizonten von Joachim Gerner und mir. Er kam aus der Kultur, ich bin dagegen ein alter Verwaltungshase und mache seit Jahrzehnten Kommunalpolitik. Bei aller Wertschätzung für die künstlerische und kulturpolitische Kompetenz meines Vorgängers lege ich meinen Schwerpunkt eher aufs Pragmatische: Ich will der sein, der Dinge ermöglicht, was meiner totalen Offenheit gegenüber Kultur entspricht. Ich sehe mich als starken Akteur, der für die Kultur streitet.

Totale Offenheit – auch für die doch in den letzten Jahren leicht vernachlässigte Sub-, Nacht- und Jugendkultur?

Jede Form von Kultur soll sich entfalten können. Die kulturelle Lebendigkeit der Stadt muss zum Laufen gebracht werden. Natürlich sind dabei auch Kulturformen von gerade jungen Menschen gefragt. Club- und Nachtkultur: Das ist bei mir in guten Händen. Ich werde für die Kultur im Allgemeinen in die Bütt gehen. Und das braucht sie auch.

Also weg von der Hoch- und hin zur Club- und Nachtkultur?

Ich werde den Gegensatz Hochkultur versus Clubkultur nicht aufmachen. Aber klar ist, dass die Clubkultur in den letzten Jahren landesweit zu wenig auf der Agenda stand. Dazu zwei Zahlen: In Baden-Württemberg gibt es 72 soziokulturelle Zentren, die mit rund 4,1 Millionen Euro gefördert werden. Die 15 Staats-, Landes- und Kommunaltheater werden mit rund 217,3 Millionen Euro gefördert. Die Stadt versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen, mit einem Fonds für "Livemusikförderung in Heidelberger Clubs", aus dem die Clubs jährlich 50.000 EUR Fördergelder abgerufen können und der – erweitert auf Online-Livekonzerte – nochmals bis 31. März 2021 verlängert wurde. Hinzu kommt ein Mieterlass für Clubs in städtischen Liegenschaften für sechs Monate oder zinslose Mietdarlehen für Clubs in privaten Liegenschaften und ein Förderprogramm zur Stärkung der Clubs.

Denken Sie, diese Maßnahmen können das Clubsterben in Heidelberg wirklich aufhalten?

Fakt ist: Es gibt in Heidelberg nicht mehr genügend Orte für junge Menschen zum Ausgehen und Feiern. Hier spielt mir wiederum die Vernetzung von Ordnungs- und Kulturbürgermeister in die Karten. Denn nur, wenn es mir gelingt, solche Orte zu schaffen, kann ich auch die Lärmproblematik auf der Neckarwiese und der Altstadt nachhaltig lösen.

Stichwort Ermöglichungskultur: Könnte man in Heidelberg nicht noch viel mehr Flächen unbürokratisch für Kultur zur Verfügung stellen – etwa den Faulen Pelz, die Thingstätte, Räume auf den Konversionsflächen?

Durch die Zuständigkeit für den Bereich der Kultur-und Kreativwirtschaft trage ich auch Verantwortung für die Zwischennutzungsagentur, mit der wir genau versuchen, solche Orte zu identifizieren und zugänglich zu machen.

Ein Konzert oder Tanztheater etwa auf der Thingstätte ist also denkbar?

Das Problem bei der Thingstätte ist, dass für ein Kulturereignis dort die Veranstalter die komplette Infrastruktur nach oben transportieren müssen. Dazu kommen die Anfahrtsschwierigkeiten für das Publikum. Alle Veranstalter, mit denen ich in meinen Jahren in der Stadtverwaltung bezüglich dieses Themas in Kontakt war, sagten mir, es lohne sich finanziell nicht, dort etwas zu veranstalten. Aber unter Ermöglichungskultur verstehe ich im Allgemeinen eine grundsätzliche Offenheit: Wenn mir also Veranstalter sagen, sie wollen an einem ungewöhnlichen Ort etwas ausprobieren, sage ich erst einmal: Warum nicht? Ausgeschlossen ist jedenfalls gar nichts.

Jetzt kommt also der grüne Kulturbürgermeister und will die Heidelberger Kulturlandschaft umkrempeln: Müssen sich die "klassischen" Kulturmacher in der Stadt Sorgen machen?

Auf keinen Fall! Ich selbst bin ein alter Opernfan. Außerdem bin ich ein eifriger Theatergänger, bin dort im Freundeskreis. Ebenso wie beim "Heidelberger Frühling". Heidelberg ist auch eine Stadt der Musik: mit dem "Frühling", zwei Sinfonieorchestern, Enjoy Jazz, vielen Chören, der Liedakademie, dem Streichquartettfest, Bands, dem Klangforum, dem Karlstorbahnhof, der Halle 02 mit hochkarätigen Konzerten, mit DJs und Livemusik-Ensembles – und eine Stadt des Films, der Literatur, des Tanzes. Mir ist es auch ein Anliegen, dass die Stadthalle in einen Zustand versetzt wird, damit auch die großen Orchester, etwa die Berliner Philharmoniker, mal ein Konzert in Heidelberg geben.

Apropos Stadthalle: Hubpodien Ja oder Nein?

Ich denke, dass sich auch bei diesem Thema ein grundsätzliches Problem zeigt. Entscheidungen des Gemeinderates, die oft nach langen Debatten gefallen sind, werden zunehmend von einzelnen Personen und Initiativen nicht akzeptiert. Ich habe die Entscheidungen des Gemeinderates – unter Beachtung der Empfehlungen des Landesamtes für Denkmalpflege – umzusetzen.

Der Kulturbegriff ist immer mal wieder Streitthema, es gibt ganz individuelle Definitionen von "Kultur". Was beinhaltet für Sie der Kulturbegriff?

Ich stehe zu dem Ansatz des Multikulturalismus des kanadischen Philosophen Charles Taylor, der auf den Schutz und die Anerkennung kultureller Unterschiede durch den Staat abzielt. Durch meine langjährige Arbeit in den Bereichen Integration, Diversity und Chancengleichheit ist das mein Kulturbegriff geworden. Dies bedeutet, die Gesamtheit der Kultur in Heidelberg abzudecken, von Hip-Hop bis Hölderlin, von Street-Art bis Staatstheater. Dabei darf es nie darum gehen, diese verschiedenen Ausdrucksformen von Kreativität gegeneinander aufzuwiegen oder gar gegeneinander auszuspielen, sondern allen Strömungen die notwendige Aufmerksamkeit und Unterstützung zu bieten. Dies entspricht auch der Unesco-Konvention zum Schutz der Förderung der kulturellen Vielfalt und steht für eine Ermöglichungskultur; denn was Kultur letztlich ist und was sie ausmacht, wird jeder Mensch in erster Linie für sich selbst erkunden. Gerade jetzt in der Pandemiezeit und dem Lockdown zeigt sich besonders deutlich der wichtige Stellenwert von Kultur als verbindendes Element für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Kultur in Corona-Zeiten: Was fehlt Ihnen ganz persönlich am meisten?

Es beginnt normalerweise ja eigentlich schon morgens, wenn ich aufstehe und weiß, dass ich abends zum Beispiel in eine Premiere oder ins Konzert gehe. So gehe ich in den Tag hinein, der für mich spannungsgeladener ist, weil der Abend ins Haus steht. Solche Tage fehlen mir.

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