Heidelberg

Wie die Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs zum Frühsommermärchen wurde

"Eine Brücke zwischen dem alten, romantischen und dem modernen Heidelberg"

28.09.2020 UPDATE: 29.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden
Die RNZ veröffentlichte eine zwölfseitige Sonderbeilage über den neuen Hauptbahnhof. Foto: Repro/Ballarin

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Es war das größte Prestigeprojekt der Heidelberger Nachkriegszeit: der Bau des Hauptbahnhofs. Er trat an die Stelle des Kopfbahnhofs zwischen der heutigen Poststraße und der Bahnhofstraße, der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand. Nach Jahrzehnten der Planung und immer wieder unterbrochenen Bauarbeiten wurde der neue Bahnhof am 5. Mai 1955 von Bundespräsident und RNZ-Gründungsherausgeber Theodor Heuss eingeweiht. Wie die RNZ rund um diesen Tag berichtete:

> Donnerstag, 5. Mai 1955: Für die ganze Stadt ist der neue Bahnhof ein Ereignis – auch für die RNZ. Zur Einweihung veröffentlicht die Zeitung eine zwölfseitige Sonderbeilage, die sich verschiedenen Themen von der städtischen Eisenbahngeschichte bis zu den städtebaulichen Auswirkungen der Bahnhofsverlegung widmet. RNZ-Autor Edwin Kuntz spricht von einem "Festtag der gesamten Heidelberger Bevölkerung". Besonders groß sei der Gewinn des neuen Bahnhofs für die Stadt, denn: Acht Bahnübergänge der Bundesbahn hatten Heidelberg bis zu diesem Zeitpunkt in eine nördliche und eine südliche Hälfte geteilt.

Das führte dazu, dass die Schranken an einzelnen Übergängen wie in der Römerstraße bis zu 16 Stunden am Tag geschlossen waren. "Das Datum ist nahe, an dem die Autofahrer, die Radler und die Fußgänger in Heidelberg nicht mehr die unabweisbare Verpflichtung haben, sich mehrmals täglich dem weltlichen Exerzitium des geduldvollsten Warten-Müssens vor geschlossener Schranke zu unterwerfen", schreibt Kuntz.

RNZ-Autorin Lore Wolf hatte schon vor der Eröffnung Gelegenheit, den neuen Hauptbahnhof zu erkunden. Sie berichtet von einer "Symphonie aus Marmor, Glas und Beton" und preist den Blick auf das größte aller Heidelberger Wahrzeichen, das Schloss: "Fast baut er eine Brücke zwischen dem alten, romantischen und diesem neuen, modernen Heidelberg."

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Bundespräsident Heuss (Mitte) weihte diesen am selben Tag feierlich ein. Foto: Repro/Ballarin

> Freitag, 6. Mai 1955: "Modernster Bahnhof Deutschlands eröffnet", titelt die RNZ am 6. Mai auf Seite 1. Ein Foto zeigt Bundespräsident Heuss, wie er gemeinsam mit Edmund Frohne, Präsident der Bundesbahn, die Sperre des neuen Bahnhofs durchschreitet. Um 10.30 Uhr hatte sich ein elektrisch betriebener Sonderzug in Bruchsal in Bewegung gesetzt, um Heuss und all die anderen Ehrengäste – darunter auch Ministerpräsident Gebhard Müller – nach Heidelberg zu bringen. Um 11.18 Uhr läuft der Zug auf Gleis 8 des neuen Bahnhofs ein. "Die Einfahrt des Sonderzuges am Bestimmungsort Heidelberg erwartete vor dem großen Eingangsgebäude eine große Menschenmenge", heißt es in der RNZ.

Tausende Heidelberger hatten sich schon Stunden vor Einweihung vor dem Bahnhof eingefunden. Sie verfolgen den Festakt dicht aneinandergedrängt durch die gläsernen Eingangstüren auf der Ostseite des Bahnhofs. Im Inneren würdigt Oberbürgermeister Carl Neinhaus seinen Amtsvorgänger Hugo Swart, der sich für den Neubau besonders eingesetzt hatte. Anschließend geht es für die 420 Ehrengäste in den Königssaal des Schlosses, wo zur Feier des Tages der Fanfarenzug der Perkeo-Gesellschaft spielt.

> Montag, 9. Mai 1955: In der Nacht auf den 8. Mai geht der neue Hauptbahnhof in Betrieb – und Heidelberg erlebt ein Frühsommermärchen. "Die schönste Nacht in Heidelberg", lautet der Titel der ersten Lokalseite. Tausende Menschen begrüßen die ersten Züge auf dem Bahnhof, singen, schunkeln und tanzen. Die RNZ schreibt: "Wir übertreiben nicht: dieser Augenblick, diese ereigniserfüllten Stunden waren das Schönste, was wir seit Jahren mit den Tausenden, die die Bahnsteige füllten, gemeinsam erlebten. Nichts, was dieser Stimmung vergleichbar sein könnte. Die Heidelberger überboten sich selbst!"

Als der erste Zug, der D 36 aus München, einrollt, schmettert die Kapelle des Orchestervereins Handschuhsheim "Alt Heidelberg, du feine". Der Heidelberger Otto Schwiperich ist der erste Fahrgast, der den neuen Bahnhof betritt. Er erhält einen Nelkenstrauß und einen Gutschein über 200 Fahrtkilometer in der zweiten Wagenklasse der Deutschen Bundesbahn.

Doch damals wie heute läuft bei der Bahn nicht immer alles glatt. So beobachtet die RNZ: "Daß gestern die Züge zeitweise bis zu zwei Stunden Verspätung hatten und auf allen Stecken nach Heidelberg (...) sich viel Züge stauten, weil Heidelberg nicht zu erreichen war, hat die Reisenden keineswegs freudig gestimmt."

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