Prof. Andrea Wanka bringt ihren Studenten bei, dass die Arbeit mit Taubblinden den Entdeckungen gleicht, die man als Betrachter eines abstrakten Gemäldes macht. Sie sagt auch: "Der direkte Kontakt mit Betroffenen gibt mir Motivation und Lebensfreude." Foto: Hentschel
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Wer taub ist, konzentriert sich auf das Sehen. Wer blind ist, auf das Hören. Wie aber wächst ein taubblindes oder hörsehbehindertes Kind auf? Wie kann man es fördern? Andrea Wanka weiß es und will es den Lehrern vermitteln. Sie hat seit Oktober an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PH) die einzige Professur für Taubblinden-/Hörsehbehindertenpädagogik in Deutschland inne (s. Hintergrund). Am heutigen Mittwoch findet die Auftaktveranstaltung zum neuen Studienbereich der Sonderpädagogik statt. Finanziert wird diese erste Stiftungsprofessur an der PH drei Jahre lang von der Friede-Springer-Stiftung.
Für die junge Professorin ist es eine Herzensangelegenheit. Sie sieht in den Kindern, die oft auch noch körperlich oder geistig behindert sind, "eine Persönlichkeit stecken, die ich entdecken will". Ihr Interesse war geweckt, als sie - vor ihrem Studium der Sonderpädagogik mit Fachrichtung Blinden- und Gehörlosenpädagogik in Heidelberg - im Praktikum an einer Blindenschule einem taubblinden Schüler begegnete. "Wir machen in der Blindenschule alles übers Hören", stellte sie damals fest, "aber der Junge hört ja gar nichts!" Es gab keine richtige Förderung, und die Konsequenzen für das Erwachsenenalter waren in ihren Augen dramatisch.
Rund 1300 taubblinde Kinder im Schulalter gibt es in Deutschland. Wanka hält das für eine konservative Schätzung. In den vier Kompetenzzentren in Potsdam, Hannover, Würzburg und Heiligenbronn im Schwarzwald, so stellte sie fest, geht es den Kindern und ihren Betreuern einigermaßen gut. "Sie haben das richtige Handwerkszeug und schaffen entsprechende Rahmenbedingungen." Doch viele andere Kinder seien in Schulen für geistig Behinderte untergebracht, da sie oft auch noch andere Behinderungen aufwiesen. Und dort wisse man wenig von Spezialmethoden.
Wie kommuniziert man mit diesen Kindern, wenn sie frisch auf der Welt sind? Wanka spricht von Körperwärme, von Vibration, vom Geruchssinn. Das Baby müsse lernen, dass es ein Ich und ein Du gebe, "dass es selbst irgendwo endet und ein anderer Mensch beginnt". Später geht es um Fingerspiele, Hände wechseln, Bewegungen, denen man Bedeutung zuschreibe: "Reden ist: taktil im Austausch miteinander sein." Vielen Eltern falle das schwer, sie träten nicht intuitiv in Kontakt mit ihrem Neugeborenen: "Wir sind inkompetent. Wir sind auf Sehen und Hören eingerichtet."
Über das Charge-Syndrom hatte Andrea Wanka 2011 ihre Promotionsarbeit geschrieben. Bei diesen Kindern sind alle Sinne betroffen: Hören, Sehen, Geruch, Gleichgewicht, Temperaturempfinden ... Die 37-Jährige lächelt: "Wenn man diese Kinder fachlich richtig begleitet, glaube ich, dass sie überdurchschnittlich lebensfrohe Menschen werden." Sie hätten einen speziellen Humor und machten viele Menschen, die mit ihnen zusammen seien, glücklich.
Die Zukunftsperspektiven als Erwachsene, die die Kinder mit ihren verschiedenen Behinderungen haben, sind Wanka extrem wichtig. Deshalb bietet sie immer auch ein Seminar an, das sich mit dem Thema Erwachsensein befasst und damit, welche Kompetenzen Sonderpädagogen einem Schüler und dessen Familie mitgeben müssen, damit ein gutes Leben möglich wird.
Fragt man Wanka nach ihrer künftigen Forschung, sagt die Mutter einer 14 Monate alten Tochter: "Am liebsten alles. Sofort." Sie will etwa aufarbeiten, was Mitarbeiter aller deutschsprachigen Kompetenzzentren aus Weiterbildungen mitgenommen haben. Sie will in Schulen für geistig und körperlich Behinderte in Baden-Württemberg Diagnostik und Beratungsangebote für die betroffenen Kinder entwickeln. Und sie will Menschen mit Charge-Syndrom zu ihren Lebenskonzepten befragen und mit jungen Betroffenen Biografiearbeit machen.